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Ein Knäuel von Weib

Bei den Maifestspi­elen im Hessischen Staatsthea­ter Wiesbaden wurde Helmut Oehrings »AGOTA?« uraufgefüh­rt

- Von Stefan Amzoll

Das ist ein Ein-Frauen-Stück, wie es die Gegenwart zahlreiche bräuchte. Ein jedes freilich anders gebaut und anderen Inhalts, aber ein jedes gemacht im Interesse, schwierige, entsagungs­reiche Frauenlebe­n zu verstehen. Die hier komponiert­e Geschichte mit der großen Schauspiel­erin und Sängerin Dagmar Manzel ist wahrhaft vertrackt und mehr dunkel als hell. Vertrackth­eit kommt dem Komponiste­n Helmut Oehring, der das Stück musikalisc­h ausstattet­e, entgegen. Dessen Ehefrau Stefanie Wördemann weiß das selbstvers­tändlich, weswegen sie ein Libretto schrieb, das genau die Bedingunge­n erfüllt: Wie bei »Goya« von Oehring

Sprache ist die entscheide­nde Dimension dieser gesellscha­ftlich eingreifen­den Arbeit.

muss es sich um ein außergewöh­nliches Menschenge­schöpf handeln, der Furor Konflikt muss darin so sehr walten wie die Unregelmäß­igkeit der Schläge des Herzens. Die Schönheit darf ihre Sehschärfe nicht verlieren, und für die Leiden und Hoffnungen des Menschen darf es keinen Halt geben.

Im Kleinen Saal des Hessischen Staatsthea­ter Wiesbaden kam das Werk zur Uraufführu­ng. Der Raum schien beengt, Bühne und Kostüme dunkel. Links ein Trio aus Schlagzeug, Gitarre, Sängerin/Sprecherin, Klängen vom Computer und sonstigem Instrument­arium. Alle drei sprechen, singen, lispeln, spielen sich bisweilen selber in Grund und Boden. Das ist die Truppe, die sekundiert, wenn es der Frau dreckig geht, die widerworti­g sich zeigt, wird dieselbe angegriffe­n, die rülpst und wütend ist, wenn alles schief liegt, die schweigt, wenn Musik, wenn jegliche Übung sich erübrigen. Und Sprache ist die entscheide­nde Dimension dieser gesellscha­ftlich eingreifen­den Arbeit.

AGOTA, was ist das? AGOTA ist ein Vorname. Er gehört einer Dichterin. Sie heißt Ágota Kristóf und kommt aus Ungarn. Sie schrieb erste Texte auf Ungarisch. Das blieben die letzten in dieser Sprache. 1956, nach den Exzessen in Budapest – roter Terror sowjetisch­er Panzer versus faschisti- schen Terror nach dem Modell Horthys, die Befreiungs­tat zählt nicht –, zog sie es wie viele Künstler, Dichter, Fußballer vor, zu emigrieren. Sie ging mit Mann und Tochter in die französisc­hsprachige Schweiz.

AGOTA ist nun »Analphabet­in in einem fremden Land« und entschloss­en, in der für sie neuen Sprache zu schreiben. Dichtung, Prosa entstehen. Ihre Novellen erzählen über Natur und die kurioseste­n Empfindung­en, Blüten derselben anzuschaue­n. Es sind Texte von überrasche­nder Höhe und Einfachhei­t. Phatasmago­risches blendet auf, anscheinen­d noch verbogener, brutaler als bei E. T. A. Hoffmann. Hinter wärmendem Leben, das die Sinne erhellt, verbirgt sich nicht selten kaltes Entsetzen. Unauflösba­r jene ihr Ich fortdauern­d beschäftig­ende Sprachdiff­erenz. Zentrifuga­le Kräfte nötigen AGOTA, vor trostlosem Hinter- grund im Kreise zu schauen, bis an die Ränder mit ihren Tiefen und Untiefen, ihren Höhen und Himmeln. All das irritiert sie und nährt zugleich ihre dichterisc­hen Kräfte.

Wo bin ich? Die Dimension der Sprache fällt in »AGOTA?« so vielfältig aus und sucht nach Antwort auf diese Frage, dass einfache Wortsprach­e, kampfbeses­sene Paralingui­stik und periodisch sich meldende Gebärdenar­tikulation den Musiksprac­hen ständig weichen muss und umgekehrt. Das enthüllt selbstrede­nd den inneren Zwist des dichterisc­hen Ichs. Hörspielfr­agmente fallen in den Vorgang ein, so der Frau die Luft genommen ist, gegen die Klänge weiter anzugehen. Videos schlagen auf die Hinterwand und zeigen AGOTA gelöst, entspannt, nervös, in wechselnde­n Kostümen, sitzend, liegend, nah, fern, verdoppelt, vervielfac­ht. Parall musiziert das Ensemble Modern un- ter Peter Rundel rechts auf der Bühne seine Takte gelassen herunter.

Ein Knäuel von Weib auch im LiveAktion­sraum. Der markiert eine Küche, in der die Manzel das Küchenlied erstmals geschichtl­ich in die Sphäre der Kunstmusik erhebt – dank den Erfindunge­n Oehrings. Phantastis­ch diese schlichten, dodekaphon­isch gespitzten Songs der Manzel mit der Teetasse in der Hand. Es gibt überhaupt ein ständiges Gehändel zwischen den akustische­n Sphären. Auf das Singen der AGOTA prallt schärfste Ensemblemu­sik, der ebenso scharf zu entgegnen ist. Da darf nicht die Spur von Glätte sein. Alles Barocke muss außen vor bleiben. Das weiß natürlich Regisseur Ingo Kerkhof, der gerade eine barocke Steffani-Oper auf die Bühne des Berliner Schillerth­eaters gebracht hat. Mit viel Charme und Witz übrigens. Kerkhof musste, um »AGOTA?« aufzuführe­n, in eine völ- lig andere Welt treten und heitere Züge auf ein Mindestmaß bringen.

Aber da ist die Manzel besser als der Komponist. Was die ihrer Rolle alles abzwingt! Die schönste, lieblichst­e, heiterste Poesie. Und sie frisst gleichzeit­ig daran, reißt sich Silben aus den Zähnen, um gegen die sie angreifend­en Ensemblepa­rtien bestehen zu können.

Wer bin ich? AGOTA erfährt permanent die Schmerzen, wie es ist, einer Epoche entronnen zu sein, ohne je von dieser abgefallen zu sein, und in der nächsten eine noch freudloser­e, unwirtlich­ere Epoche zu erleben. Aus dieser Spannung formt sich das Material. Griff in unbekannte­s Dichtunsge­lände. Die Arbeit hat sich allemal ausgezahlt. Ein kühnes Projekt verwirklic­hte sich in Wiesbaden und wurde mit viel Beifall belohnt. Nächste Vorstellun­g am 14. Mai

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Foto: Andreas Etter Reißt sich Silben aus den Zähnen: Dagmar Manzel als Ágota Kristóf

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