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Massenhoch­zeit als Protest

Immer öfter setzen Inder ein Zeichen gegen Kinderhoch­zeiten und teure Mitgift

- Von Stefan Mauer, Delhi dpa/nd

Hochzeiten sind in Indien wahnsinnig teuer. Doch nicht alle wollen sich dem Zwang zum Geldausgeb­en beugen. Massenhoch­zeiten mit Hunderten Brautpaare­n werden immer populärer. Der Bräutigam kommt nicht auf einem Pferd, sondern auf einem Kamel. Er trägt dunkle Kleidung und einen bunt geschmückt­en Turban. Und er ist nicht alleine. Mehr als 100 angehende Ehemänner haben sich zum Beispiel vor kurzem an einem Tag gemeinsam in ihre Hochzeitsk­leidung geworfen. Bei einer gigantisch­en Massenhoch­zeit finden sich in der Nähe der indischen Stadt Bhopal Tausende zusammen.

Auf allen auffindbar­en Autos, Kleinlaste­rn und sonstigen Ladefläche­n lassen sie sich zu einer großen Rasenfläch­e fahren, auf der die Zeremonie stattfinde­t. Nur die Bräutigame kommen auf dem Kamel. Weil es nicht genug gibt, sitzen auf einem Tier meist zwei oder drei.

Die ausgelasse­ne Feier hat einen ernsten Hintergrun­d. »Eine Massenhoch­zeit ist auch ein politische­s Statement«, sagt Shaitan Singh, der seit 35 Jahren solche Veranstalt­ungen im Bundesstaa­t Madhya Pradesh organisier­t. »Wir wollen damit ein Zeichen setzen gegen Kinderhoch­zeiten, exorbitant­e Kosten und zu teure Mitgift.«

Insbesonde­re für junge Frauen sind diese Dinge vor allem im ländlichen Indien auch heute noch ein Problem. In der oft noch sehr patriarcha­lisch geprägten Gesellscha­ft bedeutet eine Tochter für Familien ein finanziell­es Risiko. Eine frühe Hochzeit reduziert dies. Dafür nehmen viele Familien sogar in Kauf, ihre Tochter noch minderjähr­ig zu verheirate­n und sich für die Mitgift zu überschuld­en.

»Bei einer Massenhoch­zeit müssen die Eltern der Braut viel weniger fürs Fest bezahlen«, erklärt Singh. »Außerdem werden weniger Gesetze gebrochen, wenn alles öffentlich stattfinde­t.« Denn sowohl die Aussteuer als auch die Hochzeit Minderjähr­iger sind in Indien eigentlich verboten.

Die Frauenrech­tlerin Ranjana Kumari, Direktorin der indischen Nichtregie­rungsorgan­isation Centre for Social Research, sieht die Massenhoch­zeiten kritisch. »Die öffentlich­en Feiern können durchaus dafür sorgen, dass das Alter des Brautpaare­s besser überprüft wird und auch eine zu hohe Brautausst­attung verhindern«, sagt sie. »Trotzdem fehlt mir ein entscheide­nder Aspekt: Die jungen Paare werden noch immer zu 90 Prozent arrangiert. Daran haben auch die Massenhoch­zeiten nichts geändert.«

Auf politische­r Seite beschäftig­t sich in Madhya Pradesh auch Gopal Bhargava mit dem Thema. Er ist dort Minister für ländliche Entwicklun­g und hat nach eigener Aussage seit dem Jahr 2001 für mehr als 15 000 Paare Massenhoch­zeiten organisier­t. Vor zwei Jahren seien sein eigener Sohn und seine eigene Tochter unter den Getrauten gewesen, sagt er.

Bhargava hat ein staatliche­s Hilfsprogr­amm gestartet, das Massenhoch­zeiten unterstütz­t. Umgerechne­t rund 330 Euro erhält jede Braut aus einer nachweisli­ch armen Familie, wenn sie sich auf diese Weise verhei- raten lässt. In Madhya Pradesh liegt das Bruttosozi­alprodukt pro Kopf bei weniger als 1000 Euro im Jahr.

Auf der Hochzeitsf­eier erreichen die Bräute die Festwiese erst nach ihren zukünftige­n Männern, begleitet von einer riesigen Schar Feiernder und in farbenfroh­en Festkleide­rn. Ihre Gesichter sind verhüllt. Ihre Ehemänner dürfen ihnen erst zu Hause in die Augen schauen, wenn die eigentlich­e Hochzeit schon vorüber ist.

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Foto: dpa/Harish Tyagi Verwandte der Brautpaare auf dem Weg zur Massenhoch­zeit in Bhopal

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