Kiew will auf Zeit spielen
OSZE-Polizeimission als politisches Projekt
»Es wird nicht so viel geschossen wie früher. Das ist schon eine Errungenschaft.«
Die Ukraine gibt sich kämpferisch. Doch wirkliche Hoffnungen auf das »NormandieFormat« sind im politischen Kiew längst geschwunden.
»Wir setzen auf den politischen und diplomatischen Weg, wenn es darum geht, die Kontrolle über die besetzten Gebiete zurückzuerlangen«, sagte der ukrainische Präsident Petro Poroschenko, als er am Sonntag auf das für den 11. Mai angesetzte Außenministertreffen zur Ukrainekrise im »Normandie-Format« angesprochen wurde. Neu sind die Aussagen nicht, sie zeigen allerdings deutlich, wie wenig Kiew von der Runde in Berlin erwartet. »Es wird wie immer darum gehen, wie die aktuelle Lage im Donbass aussieht und was wir gerade unternehmen können«, kündigte Dmytro Kuleba, der Sonderbeauftragte des ukrainischen Außenministeriums, an.
Nachdem das Osterwochenende im Donbass relativ ruhig lief, verschlechterte sich die Lage wieder. »Es war kurz ruhig. Nun beobachten wir aber, dass die Tendenzen der letzten Monate wieder zurückkehren.« In einigen Zonen scheinen die Kämpfe erneut aufzuflammen, berichtet OSZE-Generalsekretär Lambero Zannier. Deswegen überrascht es nicht, dass die Ukraine in Berlin vor allem die Sicherheitsfragen besprechen will. »Wir brauchen mehr Fortschritte bei der Sicherheit im Donbass. Nur dann kann richtig über das Politische diskutiert werden«, betonte Präsident Poroschenko.
Zu den Schlüsselfragen des Treffens zählen allerdings auch die Aussichten für die Kommunalwahlen im Donbass, die laut den Minsker Vereinbarungen noch 2015 stattfinden sollten. Auf dem letzten »Normandie-Treffen« im März forderten Deutschland und Frankreich die Durchführung der Wahlen bis Juni, doch die Ukraine lehnte diesen Vorschlag ab. Nun zeigt Kiew offenbar Bereitschaft, wieder über mögliche Wahlen zu sprechen. »Wir sind bereit, ein entsprechendes Gesetz zu erarbeiten, um die Abstimmung noch schnell in diesem Sommer durchzuführen«, sagte Ende April Wadym Pristajko, stellvertretender Außenminister der Ukraine.
Mehrere Medien berichten aus regierungsnahen Quellen, dass die Aussagen von Pristajko nur ein Teil der aktuellen politischen Ansichten sind. »Alle – Pristajko eingeschlossen – verstehen, dass die Wahlen in den okkupier- ten Gebieten in diesem Jahr unmöglich sind«, betont ein hochrangiger Mitarbeiter des ukrainischen Außenministeriums. Die Ukraine will jedoch das Thema der Kommunalwahlen in Berlin selbst ansprechen. Ein Weg wäre für Kiew die Erweiterung der OSZE-Mission im Donbass. Es wird viel über eine Polizeimission gesprochen, die auch die Wahlen beobachten könnte. Ein weiterer Streitpunkt: Die Ukraine will die Grenze zu Russland noch vor Kommunalwahlen unter Kontrolle nehmen, obwohl dies laut Minsk erst nach dem Votum geschehen soll.
Die meisten Experten glauben jedoch nicht, dass eine Polizeimission der OSZE die Lage in der Ostukraine grundsätzlich verändern kann. »Es ist eher ein politisches Projekt Kiews, um
Petro Poroschenko, Präsident der Ukraine
den Mangel an Fortschritten im Minsker Prozess zu verstecken«, glaubt der ukrainische Politologe Bohdan Jaremenko. Auch der Diplomat Wassili Filiptschuk ist skeptisch: »Eine Polizeimission kann weder die Durchführung der Wahlen noch den Waffenstillstand sichern. Es ist eher ein weiterer Versuch, Zeit zu gewinnen.« Präsident Poroschenko wird allerdings optimistisch bleiben und setzt auf Fortschritte: »Es wird nicht so viel geschossen wie früher. Das ist schon eine Errungenschaft.«
Neben den üblichen Themen will der ukrainische Außenminister Pavlo Klimkin über den Gefangenenaustausch – vor allem über Nadija Sawtschenko – in Berlin sprechen. »Alle Gefangenen müssen in die Ukraine zurückkehren, das ist ein Teil der Minsker Vereinbarungen. Den Fall Sawtschenko wird der Außenminister in Berlin ganz besonders ansprechen«, versprach Dmytro Kuleba im Vorfeld. Doch es ist mittlerweile wohl das einzige Thema, bei dem Fortschritte erwartet werden. Das »Normandie-Format« wird in der Ukraine längst als nutzlos kritisiert. »Die Außenminister werden diesen Konflikt nie lösen können, das ist nicht erst seit heute klar«, betont unter anderem der Politologe Jaremenko.