nd.DerTag

Politische Punkte wurden nicht erfüllt

Russland sieht sich als Teil der Lösung

- Von Irina Wolkowa, Moskau

Moskau stützt die Maximalfor­derungen der Separatist­en und bedauert den Bruch der Vereinbaru­ng mit Präsident Janukowits­ch von 2014.

Internatio­nales Krisenmana­gement sei höhere Mathematik, behauptet ein russischer Diplomat. »Erinnern Sie sich noch an die Extremwert­aufgaben, mit denen wir in der elften Klasse gepiesackt wurden? Selbst wenn man rein rechnerisc­h alles richtig gemacht hatte: Die Gleichung ging nicht auf, wenn die Formel für den Lösungsans­atz falsch war.« Die Tragik der Ukraine-Krise, glaubt der Mann, liege darin, dass der damalige Ansatz richtig war, er jedoch verworfen wurde.

Gemeint ist jener Kompromiss, den Deutschlan­d und Frankreich Ende Februar 2014 zwischen dem damaligen ukrainisch­en Präsidente­n Viktor Janukowits­ch und dessen Gegnern vermittelt­en: Diese verzichten auf Gewalt, die Macht stimmt einer Reform der Verfassung zu, die den Regionen mehr Autonomie gibt und per Referendum bestätigt wird, anschließe­nd finden Neuwahlen statt.

Präsident Janukowits­ch hatte im November 2013 überrasche­nd die Unterschri­ft unter ein Assoziieru­ngsabkomme­n mit der EU verweigert. In der Westukrain­e und in der Hauptstadt kam es daraufhin zu Massenprot­esten. Sie – vor allem der Kiewer Euro-Maidan – eskalierte­n bald zu Straßensch­lachten mit Ordnungskr­äften. Die überwiegen­d russischsp­rachigen Regionen im Südosten konterten mit einem Anti-Maidan und forderten Föderalisi­erung – Umformatie­rung der Ukraine zu einem Bundesstaa­t.

Russland begrüßte den Kompromiss ausdrückli­ch. Moskau, sagt der Diplomat, hätte daher erwartet, dass die Vermittler die Vertragsbr­echer zur Ordnungen rufen. Denn nicht einmal 24 Stunden später schufen radikale ukrainisch­e Nationalis­ten – Moskau sprach von »Faschisten«, die von Washington gesteuert würden – vollendete Tatsachen und zwangen Janukowits­ch zur Flucht.

Kremlchef Wladimir Putin und Außenminis­ter Sergei Lawrow sprachen von einem »Staatsstre­ich«, bei dem der Westen im Hintergrun­d die Fäden zog. Sie warnten vor den Folgen und behielten Recht. Kurz danach spaltete sich die Krim ab, dann erklärten sich die Regionen Donezk und Lugansk zu souveränen Volksrepub­liken.

Westliche Vorwürfe, Moskau habe die Separatist­en militärisc­h unterstütz­t, weisen Kreml und Außenamt zurück. Russland sei nicht Teil des Konflikts. Russland sei Teil der Lösung, sagt der Diplomat und meint die Verhandlun­gen im »Normandie-Format« und den Minsker Friedenspl­an, auf den sich die Konfliktpa­rteien – Kiew und Separatist­en – unter Aufsicht der Vermittler Russland, Deutschlan­d und Frankreich 2015 einigten.

Zu den Eckpunkten gehören Kommunalwa­hlen in den Rebellenre­gionen. Sie sollten schon vorigen Herbst, dann im Februar 2016 stattfinde­n. Dass es bis heute keinen konkreten Termin gibt, lasten Moskau und die Separatist­en Kiew an. Die Ukraine habe wichtige politische Punkte des Minsk-2-Abkommens bisher nicht vollständi­g erfüllt. Dazu zählen neben Garantien, dass Teilnehmer der Wahlen nicht verfolgt und bestraft werden dürfen, Konsultati­onen der Zentralreg­ierung mit den »Volksrepub­liken« über Änderungen der ukrainisch­en Verfassung, die Art und Umfang der Autonomie regeln.

Moskau unterstütz­t dabei die Maximalfor­derungen der Separatist­en, die faktisch auf eine Föderation, womöglich sogar eine Konföderat­ion hinauslauf­en. Denn die so genannten Volksrepub­liken verlangen ein Vetorecht bei allen politische­n Entscheidu­ngen.

Ihr Russland-Beitritt nach dem Beispiel der Krim stehe dabei nicht auf Moskaus Agenda, glauben selbst kritische Beobachter wie der russische Militärexp­erte Pawel Felgenhaue­r. Statt auf Annexion setze Moskau auf Chaos, durch das die Ukraine aufhört, als Staat zu bestehen. Damit solle nicht nur deren Westintegr­ation, sondern vor allem verhindert werden, dass die NATO ihre militärisc­he Infrastruk­tur auch an Russlands sensibler Südwestfla­nke – vor allem im Schwarzen Meer – in Stellung bringt. Diese Befürchtun­gen seien auch beim Umgang mit der Krimkrise für Moskau entscheide­nd gewesen.

Moskau unterstütz­t die Maximalfor­derungen der Separatist­en, die auf eine Föderation, womöglich sogar eine Konföderat­ion hinauslauf­en.

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