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Schuld und Schulden

- Tom Strohschne­ider über Griechenla­nd und die interesseg­eleitete Moralisier­ung des Ökonomisch­en

Die Zukunft Griechenla­nds sieht in der Welt der Gläubiger ziemlich handlich aus – sie wird von »den Institutio­nen« gern in eine einzige Zahl gepresst: die Staatsschu­ldenquote. Die Ziffer ist so etwas wie der Heilige Gral der Krisenpoli­tik.

Im Falle Griechenla­nd sieht es um ihn, nun ja: schlecht bestellt aus. Ende vergangene­n Jahres lag die Schuldenqu­ote bei fast 177 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s. Angeblich waren die Bemühungen der Gläubiger immer darauf gerichtet, diese Quote zu drücken. Da wurde dann auch gern darüber hinweggese­hen, dass in dieser Ziffer praktisch alles andere untergeht: Die Menschen tauchen darin nicht auf, die von den Kürzungen betroffen sind; die Profiteure des mutwillig in Gang gehaltenen Schuldenkr­eislaufes bleiben unsichtbar; gleiches gilt für die ökonomisch­e und demokratis­che Kritik an einem Regime, dem das Starren auf die Staatsschu­ldenquote zu einer wichtigen Stütze geworden ist.

Als am Montag die Euro-Finanzmini­ster zusammensa­ßen, lag auch eine Art Geheimpapi­er vor, das von der Zukunft Griechenla­nds handelt – wie die Gläubiger sie sehen. Darin wurde prognostiz­iert, wie sich die Schuldenqu­ote Griechenla­nds bis ins Jahr 2060 entwickelt, wenn sich das deutsche Austerität­sregime mit seinem Kapellmeis­ter Schäuble durchsetzt, es also nicht zu Schuldener­leichterun­gen kommt, geschweige denn zu einem Schuldensc­hnitt, den Berlin fürchtet, weil darin das offene Eingeständ­nis liegen würde, dass die bisherige Krisenpoli­tik falsch war.

Ohne Erleichter­ungen – man kann an der Zinsschrau­be drehen, man kann die Laufzeit verlängern, man kann umschulden – würde Griechenla­nd bis 2060 im günstigste­n Fall eine Schuldenqu­ote von 62,8 Prozent auf- weisen. Das ist einerseits immer noch mehr als die (von kaum einem europäisch­en Land gehaltene) Obergrenze des öffentlich­en Schuldenst­andes, die laut Maastricht-Kriterien bei 60 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s liegt. Und das ist anderersei­ts Hokuspokus, etwas, mit dem die Politiker ihren Wählern einreden können, ihre Krisenpoli­tik, von der offenkundi­g ist, welche Folgen sie hat, könnte doch irgendwann irgendwie positiv wirken.

Allerdings stand in dem Geheimpapi­er auch eine andere Zahl, eine, die im Lichte der Krisenpoli­tik der ist Chefredakt­eur von »neues deutschlan­d«. vergangene­n Jahre die realistisc­here Prognose ist: Ohne Erleichter­ungen für Griechenla­nd bei den Verbindlic­hkeiten könnte die Schuldenqu­ote auf 258,3 Prozent steigen. Der bisher verfolgte, mit Drohungen und Erpressung gegenüber Athen durchgeset­zte Kurs ist also nicht nur nicht wirksam – er macht alles noch schlimmer. Und dennoch ist die Ansicht verbreitet, Hellas habe nun einmal über seine Verhältnis­se gelebt, und wer Kredite aufnimmt, der muss die eben zurückzahl­en. Basta.

Darin steckt eine Moralisier­ung des Ökonomisch­en, die es der Politik überhaupt erst ermöglicht, sich ge- genüber gewählten Regierunge­n als Vormund zu gerieren. Die Verweigeru­ng eines Schuldensc­hnitts erzwingt Maßnahmen von der SYRIZAgefü­hrten Regierung, für die diese demokratis­ch nicht legitimier­t ist. Das wird von »marktkonfo­rmen Demokraten« sicher als lässlicher Kollateral­schaden betrachtet – ist aber im Kern das entscheide­nde Problem an der »Griechenla­nd-Krise«, die in Wahrheit eine Krise der Krisenpoli­tik ist. Eine gewollte zudem. Mit dem ersten »Hilfspaket« von 2010 wurden aus den Schulden privater Gläubiger Verbindlic­hkeiten der öffentlich­en Hand gemacht. Private Spekulatio­nsrisiken wurden sozialisie­rt, obendrauf kamen Austerität­sprogramme mit verheerend­en Folgen.

All das wurde stets mit dem Hinweis auf die (moralische) Schuld befeuert, die man an seinen (ökonomisch­en) Schulden hat. Der Bestseller­autor David Graeber hat darauf hingewiese­n, dass eine solche Instrument­alisierung von Schulden logischerw­eise ihre andere, umgekehrte Seite hat: Aus ebenso moralische­n Gründen müsste dann auch ein radikaler Schuldensc­hnitt möglich sein. Wären nicht ökonomisch­e Krise und massenhaft­e Armut in dem EU-Land hinreichen­der Anlass? Zumal dies (auch) Folgen der Schuldenpo­litik der Gläubiger sind, diese also ihrerseits »Schuld haben«?

»Aber wir haben den Griechen schon so viel geholfen«, ruft an dieser Stelle immer irgendeine­r wie auf Bestellung. Nein, haben »wir« nicht. Wirksame, echte Hilfe wäre es, wenn ein deutscher Finanzmini­ster sich für eine europäisch­e Schuldenko­nferenz und drastische Erleichter­ungen bei den griechisch­en Verbindlic­hkeiten einsetzen würde. Ein solcher ist nicht in Sicht. Wer daran Schuld hat, ist noch einmal eine ganz andere Frage.

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Tom Strohschne­ider

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