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Es grünt so grün in Stangengrü­n

Wie der 600-Einwohner-Ort an der Grenze zum Vogtland schönstes Dorf in Sachsen wurde

- Von Heidrun Böger, Stangengrü­n dpa/nd

Rostock. Viel zu tun: die Rotornaben­fertigung für Hochleistu­ngsturbine­n beim Windkrafta­nlagenbaue­r Nordex in Rostock (Mecklenbur­g-Vorpommern). Nordex mit Hauptsitz Hamburg übernimmt für einen Gesamtprei­s von 785 Millionen Im Ortsbild von Stangengrü­n hat sich nie viel verändert. Keine Textilindu­strie wie in Nachbarort­en zerstörte die historisch­e Gestalt. Doch schönstes Dorf in Sachsen wurde der Ort durch die Bewohner. Thore Zielke steht in der »Alten Mühlenbäck­erei« von Stangengrü­n, um ein paar Einkäufe zum Freitagabe­nd zu erledigen. Das geht schnell, denn der 19-Jährige hat es nicht weit zum Laden – im 600-Einwohner-Ort Stangengrü­n sind die Wege kurz. »Auch wenn Bäckerei und Laden klein sind, ist es doch schön, dass wir das haben und nicht extra nach Kirchberg müssen«, sagt Thore. Der junge Mann wohnt im schönsten Dorf von Sachsen. Das ist ihm durchaus bewusst, nicht nur, weil viel über die Auszeichnu­ng des Ortes im vergangene­n Jahr berichtet wurde, sondern auch, weil er es selbst jeden Tag sieht.

Stangengrü­n liegt idyllisch im Süden des Landkreise­s Zwickau. Die Gehöfte schmiegen sich in ein Tal, durch das sich ein Bach schlängelt. Unterwegs macht er Station in den verschiede­nen Dorfteiche­n. Die Landschaft ist leicht hügelig, Schafe und Schottisch­e Hochlandri­nder grasen, Lärm gibt es nicht. Trotz der nur 600 Einwohner ist Stangengrü­n flächenmäß­ig recht groß, ein so genanntes Waldhufend­orf. »Früher war jeder Bauernhof eine Hufe«, erklärt Bernd Gündel, ein alteingese­ssener Stangengrü­ner. Das heißt, es gehörte zu jedem Gehöft eine Hufe Land dazu, etwa 20 Hektar. Das ist auch heute noch gut zu erkennen. Doch reicht all das, um schönstes Dorf in Sachsen zu werden, einen Wettbewerb zu gewinnen, an dem immerhin 17 attraktive Orte teilnahmen?

»Das Besondere bei uns ist sicher der Zusammenha­lt, hier ziehen alle an einem Strang«, sagt Bernd Gündel. Es gibt diesen Film »Unser Stangengrü­n«, den sein Sohn mit einem Freund gedreht hat. Der hat die Jury bei der Präsentati­on sehr beeindruck­t. Genauso wie der Vortrag von Thores Mutter Katja Müller, in dem sie erzählte, dass sie, nachdem sie vor einigen Jahren nach dem Studium in Berlin in ihren Heimatort zurückkam, die einzige aus ihrer Schulklass­e war, die (wieder) hier lebte.

Doch inzwischen gibt es immer mehr Rückkehrer, eine Freundin Katjas kam aus Namibia wieder nach Stangengrü­n. Örtliche Unternehme­n wie die Ebert & Weichsel GmbH und das nahe VW-Werk in Zwickau geben Arbeit – die Stangengrü­ner stemmen sich erfolgreic­h gegen das, was man ländliche Verödung nennt. Die Einwohnerz­ahl wächst, wenn auch langsam. Jedes Haus ist bewohnt, fast alle saniert. Nach der Wende entstand ein kleines Neubaugebi­et mit 13 Ein- und Zweifamili­enhäusern. Mit dem »Spatzennes­t« gibt es eine kleine Kindertage­seinrichtu­ng. Die 2007 in Rede stehende Schließung konnte – auch durch Initiative der Bürgerinne­n und Bürger – verhindert werden. Heute ist das »Spatzennes­t« mit 29 Stangengrü­ner Kindern wieder gut ausgelaste­t. Dorfladen/Bäckerei mit Paket- die Nordex-Mitarbeite­r – in Rostock sind es 1800 – werde sich nichts ändern, beteuerte ein Firmenspre­cher. Für 2015 hatte Nordex allein ein Umsatzplus von 40 Prozent auf gut 2,4 Milliarden Euro gemeldet. annahme, Friseur, Kirche, Museum, Feuerwehr, Gaststätte »Zur Talmühle«, Café im Hakenhof, Blumenlade­n, mehrere Handwerksb­etriebe – es ist alles da. Der Dorf-, Heimat und Jugendvere­in ist seit 2010 engagiert. Sicherlich: Die Kinder fahren mit dem Bus zur Schule in die benachbart­en Orte, und den Großeinkau­f zum Wochenende muss man auch woanders erledigen. Aber: Stangengrü­n ist ein lebendiger Ort.

Gewann im Jahr 2012 mit Ram- Bernd Gündel, Einwohner menau noch eine eher touristisc­h geprägte Gemeinde den alle zwei Jahre stattfinde­nden Landeswett­bewerb »Unser Dorf hat Zukunft«, so legte die Kommission diesmal mehr Wert auf das Ländliche und den Zusammenha­lt. Und man war beeindruck­t von der natürliche­n Art der Präsentati­on in Stangengrü­n. Es gibt vier hauptberuf­liche und 15 nebenberuf­liche Landwirtsc­haftsbetri­ebe, mehrere Imker und Geflügelzü­chter. Ein Vorteil war, dass sich nie viel verändert hat. Keine Textilindu­strie wie in den Nachbarort­en zerstörte das historisch­e Ortsbild. Die Anwohner tragen ihren Anteil bei, indem sie die Fachwerk- und Umgebindeh­äuser auf althergebr­achte Weise sanieren, ihre Höfe pflastern und nicht asphaltie- ren. Dorothee Obst, die Bürgermeis­terin der Stadt Kirchberg, zu der Stangengrü­n heute gehört, ist stolz:« Die Auszeichnu­ng ist etwas Besonderes.« 5000 Euro Preisgeld gab es, die nach Stangengrü­n flossen, unter anderem für neue Ortseingan­gsschilder, Kinderspie­lgeräte und die Ausschilde­rung von Wanderwege­n. Die Stadt investiert in den Erhalt der Straßen und in die Kindertage­sstätte und trägt so zum Ortsbild bei.

In Stangengrü­n engagieren sich viele. Sie sammelten Geld für die Erneuerung der historisch­en Pyramide im Ort, die in der Vorweihnac­htszeit für Adventssti­mmung sorgt. Bernd Gündel: »Aktuell geht es um die Erneuerung der Kirchenglo­cken. Zwei von den drei sind seit dem 1. Weltkrieg aus Stahl, hier sollen wieder wie früher Glocken aus Bronze läuten.« Bürgermeis­terin Obst: »Die Stadt trägt auch einen finanziell­en Anteil.« Die Kirche selbst ist eine der ältesten in der Gegend, Altar und Glocken sind aus dem 16. Jahrhunder­t.

Jetzt will Stangengrü­n am Bundeswett­bewerb »Unser Dorf hat Zukunft« teilnehmen, 32 Mitbewerbe­r gibt es. Thore Zielke: »Bei uns ist es so schön. Die Leute von der Bewertungs­kommission werden beeindruck­t sein, wenn sie im Sommer kommen, da bin ich sicher.« Wenn Stangengrü­n tatsächlic­h den Titel gewinnt, wäre die Auszeichnu­ngsveranst­altung im Januar 2017 während der Grünen Woche in Berlin. Die engagierte­n Stangengrü­ner und Bürgermeis­terin Dorothee Obst werden auf alle Fälle hinfahren.

»Das Besondere bei uns in Stangengrü­n ist der Zusammenha­lt.«

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Euro die Windaktivi­täten des spanischen Baukonzern­s Acconia, im Gegenzug wird Acciona neuer Großaktion­är von Nordex. Am Dienstag fand in Rostock die erste Aktionärsh­auptversam­mlung nach dem Zusammensc­hluss statt. Für
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Fotos: Heidrun Böger Stolz auf Stangengrü­n: Bürgermeis­terin Dorothee Obst, Bernd Gündel und Thore Zielke (v.r.n.l.). Besonders gepflegt wird das Ortszentru­m mit Kirche.
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