Vom Tabakarbeiter zum »König von Hamburg«
Der Gewerkschafter, Genossenschafter und Sozialdemokrat Adolph von Elm prägte um 1900 die Hansestadt – vor 100 Jahren starb er
Adolph von Elm kann als Theoretiker der jungen Gewerkschafts- und Genossenschaftsbewegung gelten. Nun gibt es eine Biografie über den fast vergessenen Sozialdemokraten, der vor 100 Jahren starb. »Der Junge wird keine 30 Jahre«, musste er im zarten Jünglingsalter ungewollt im Elternhaus mithören. Diese Prophezeiung erfüllte sich nicht: Adolph vom Elm, Tabakarbeiter aus verarmten Adel, starb 1916 vor nunmehr 100 Jahren. Er wurde mit 59 Jahren fast doppelt so alt wie ihm vorausgesagt wurde.
Heutzutage ist von Elm so gut wie vergessen, doch er schuf ein gewerkschaftliches und genossenschaftliches Imperium, dessen Spuren bis in die heutige Zeit nachwirken. Mindestens drei Straßen und Wege sowie eine Wohnsiedlung sind in Hamburg nach von Elm benannt worden. Burchard Bösche, Rechtsanwalt, Sozialdemokrat und Leiter des Hamburger Genossenschaftsmuseums, hat Ende 2015 die erste Biografie von Elms vorgelegt. »Der ungekrönte König von Hamburg« lautet ihr Titel.
Diesen Ruf als »ungekrönter König« der Hansestadt erwarb sich von Elm im erbittert geführten Hafenarbeiterstreik Ende 1896. Rund 18 000 Schauerleute, Kesselreiniger, Schiffsreiniger, Ewerführer, Seeleute und Kranführer boten elf Wochen lang den »Pfeffersäcken« die Stirn. Obwohl von Elm ein Gegner spontaner Streikaktionen ohne gut gefüllte Gewerkschaftskassen war, unterstützte er die Aktion der Hafenarbeiter, organisierte aus dem Stand heraus eine umfangreiche Spendenaktion und sorgte dafür, dass der Ausstand nach Ausbleiben eines Erfolgs organisiert ab- gebrochen wurde. Geboren wurde Adolph von Elm 1857 im damals noch dänischen Wandsbek bei Hamburg als Sohn eines Zigarrenheimarbeiters – der Weg des Jungen schien vorgezeichnet. Auch er würde in einer engen, dunklen Wohnung leben und arbeiten und früh, wie viele andere, an Tuberkulose sterben. »Die meisten (Tabakheimarbeiter) hausten mit einem, höchstes zwei oder drei Gehilfen in einem der elendsten Löcher, in Dachstuben, auf Böden, in Kellerräumen oder wie mein Vater, in alten, verfallenen, feuchten Buden«, beschrieb der Hamburger Sozialdemokrat Julius Bruhns die Lebensbedingungen in seiner Jugend.
Dieses Schicksal blieb von Elm erspart. Der spätere Sozialdemokrat – er trat noch dem von Lassalle 1863 gegründeten Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins (ADAV) bei – gilt seinem Biografen zufolge als Theoretiker der jungen deutschen Gewerkschafts- und Genossenschaftsbewegung. »Von Elm hat früh Sachen gesehen, die andere erst viel später erkannt haben. Er hat früh den Gedanken der politischen Neutralität formuliert, heute unstreitige Grundlage der Einheitsgewerkschaft«, urteilt Bösche. »Er kam dadurch in Konflikt mit vielen Theoretikern der Arbeiterbewegung, wie etwa auch mit Rosa Luxemburg.«
Besondere Bedeutung erlangte der einstige Tabakarbeiter durch seinen maßgeblichen Anteil an der Gründung der GEG, der Großeinkaufsgesellschaft Deutscher Consumvereine, im Jahr 1894. Schon zwei Jahre vorher war von Elm beteiligt an der Gründung der Pensionskasse des Zentralverbandes deutscher Konsumvereine, der heute noch existierenden Ham- burger Pensionskasse von 1905. Bösche: »Und er war einer der Gründer und der erste Geschäftsführer der Volksfürsorge und hat sie zum Erfolg geführt. In diesem Sinne war von Elm ein genialer Unternehmer und Gewerkschafter, der etwa auch den Verband der Zigarrensortierer und Kistenbekleber organisierte.«
Die GEG entwickelte sich zu einem riesigen Unternehmen innerhalb des deutschen Kaiserreichs, angefeindet vor allem von örtlichen Kaufleuten und Krämern, die den Arbeitern häufig schlechte und überteuerte Waren verkauften. Die »eigenen« Genossenschaften lieferten hingegen gute Qualität aus eigenen Produktionsstätten zu günstigen Preisen. Doch der Kapitalismus wurde durch die Genossenschaften ganz offensichtlich nicht aus- gehebelt. Im Gegenteil. Im Ersten Weltkrieg wurde die genossenschaftliche »Produktion« der größte Lieferant für Fleischkonserven an das kaiserliche Militär. Viele Genossenschaften wurden vom Staat beschlagnahmt und dienten der deutschen Kriegswirtschaft. Der offiziellen SED-Geschichtsschreibung galt von Elm als einer der »Wortführer des Opportunismus«. Tatsächlich verfocht auch von Elm, beschreibt Bösche, die Politik des »Burgfriedens« der Mehrheitssozialdemokratie. Die organisatorische Spaltung der Sozialdemokratie 1917 hat er dann nicht mehr miterlebt.
Soweit die Historie. Mancher mag sich die Frage stellen: Macht der Genossenschaftsgedanke heutzutage noch Sinn? »Als traditionelle Konsumgenossenschaft mit Blick auf die Discounter an jeder Ecke sicherlich nicht mehr«, so Biograf Bösche. »Aber es gibt Bio-Läden, Dorf- und Stadtteilläden und Weltläden, die als Genossenschaften funktionieren. Auch Zeitungen aus dem linken Spektrum sind als Genossenschaften organisiert.« Darüber hinaus existiere noch »eine beachtliche Zahl von Genossenschaften der ehemaligen DDR, die die Wende überlebt haben, wie etwa die Konsumgenossenschaften in Dresden, Leipzig, Haldensleben oder Seehausen. Die Konsumgenossenschaft Burg-Genthin-Zerbst, die bereits 1866 gegründet wurde, ist heute die älteste deutsche Konsumgenossenschaft.« Burchard Bösche: Adolph von Elm, »Der ungekrönte König von Hamburg« / Gewerkschafter – Genossenschafter – Sozialdemokrat. Eine Biografie, Herausgegeben von der Heinrich-Kaufmann-Stiftung, Norderstedt 2015, 180 S., 15 Euro