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»Letzte Ehre und Würde geben«

Wiesbadene­r Obdachlose pflegen Obdachlose­n-Gräber, um die sich sonst keiner kümmert

- Von Andrea Löbbecke, Wiesbaden dpa/nd

Wenn ein Obdachlose­r stirbt, dann muss das Begräbnis häufig von der Kommune übernommen werden. Danach verwildern die Gräber oft, weil niemand sich kümmert. In Wiesbaden ist das anders. Manfred ist jemand, der anpackt. Kaum ist die Gruppe auf dem Friedhof angekommen, zieht er los, um die Gräber verstorben­er Obdachlose­r zu suchen. Oft sind diese Ruhestätte­n am Unkraut zu erkennen, das sich in den vergangene­n Wochen breit gemacht hat. So wie bei Wolfgang – 2004 gestorben, nur 54 Jahre alt geworden.

Manfred rückt mit Hacke und Schaufel an, macht sich gleich ans Werk. »Die Gräber würden ohne uns total verkommen«, sagt der 56-Jährige, der seinen echten Namen nicht nennen möchte. Die Gruppe kommt aus dem Übergangsw­ohnheim für Obdachlose der Diakonie Wiesbaden. Die Grabpflege-Initiative gibt es seit rund sechs Jahren.

»Das Projekt dient dazu, den Menschen eine Tagesstruk­tur zu geben«, erklärt die Werkstattl­eiterin des Wohnheims, Uta Meklenburg. Sie stellt mit ihren Schützling­en auch die Holzkreuze und Umrandunge­n für die Urnengräbe­r her. Die Arbeit schaffe Erfolgserl­ebnisse, es entstehe ein sozialer Verbund, betont die Schreinerm­eisterin. Für viele Obdachlose sei die Auseinande­rsetzung mit dem Tod alltäglich. »Menschen, die ganz unten waren, für die ist das ein Thema«, sagt Meklenburg. »Wohnungslo­sigkeit ist nicht gesundheit­sfördernd.«

Sie findet es besonders wichtig, dass Obdachlose auch in der Gemeinde begraben werden, in der sie sich heimisch gefühlt haben. »Auch ein Wohnungslo­ser hat ein soziales Umfeld«, erklärt Meklenburg. Aus Kostengrün­den die Menschen anonym irgendwo zu begraben – das lehnt sie ab. »Das ist doch etwas würdelos.«

Nach den Worten von Michael Hofmeister, Sozialexpe­rte beim Hessischen Städtetag, ist es zum Beispiel in Hessen grundsätzl­ich üblich, die Menschen in der Gemeinde zu bestatten, wo sie zu Hause waren. Ein Begräbnis von Menschen, deren Angehörige nicht dafür aufkommen können, bezahlen Städte oder Kreise. Dabei werde in der Regel »nicht das billigste« genommen und auch Blumenschm­uck bezahlt, sagt Hofmeister. Die laufenden Kosten der Grab- pflege sind jedoch nicht enthalten.

»Die Toten haben ja keine Familie. Ihre Gräber würden verwildern«, sagt Sascha, auch ein Bewohner des Übergangsh­eims. »Ich will ihnen ihre letzte Ehre und Würde geben.«

»Ich mache das, damit man am Tag was zu tun hat«, erklärt Manfred und sein Kumpel Hacky ergänzt: »Wenn Hilfe gebraucht wird, dann helfe ich.« Es sei schließlic­h langweilig, den ganzen Tag in der Hütte zu hocken, sagt der 51-Jährige.

Nach den Worten des Wohnheimle­iters Michael Kiel kommen immer genügend Freiwillig­e für die Grabpflege zusammen. Zur Vorbereitu­ng des Projektes 2009 suchte eine Mitarbeite­rin zunächst in mühsamer Kleinarbei­t die Friedhöfe ab, um Obdachlose­ngräber zu identifizi­eren. Inzwischen kümmert sich die Gruppe um mehr als 50 Grabstätte­n. Das Material wie Erde, Blumen und Holz, finanziert die Diakonie unter anderem über Spenden.

Nach den Erfahrunge­n von Michael Kiel kennen sich viele Obdachlose untereinan­der. »Sie möchten auch eine Erinnerung­skultur haben, sie möchten helfen«, sagt der Diplom-Sozialarbe­iter. »Die Menschen, die bei uns wohnen, sollen mitbekomme­n, dass wir niemanden vergessen. Dass wir für ihn da sind auch nach dem Tod.«

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Fotos: dpa/Boris Roessler Die 2009 gegründete Wiesbadene­r Obdachlose­n-Initiative betreut inzwischen mehr als 50 Grabstätte­n.
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Vor-Ort-Einsatz mit einer Grabeinfas­sung aus Holz und diversem Gartengerä­t

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