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»Wortlos wie ein Schwimmer«

Der Briefwechs­el zwischen den Dichtern Paul Celan und René Char dokumentie­rt eine Freundscha­ft unter Fremden

- Von Stefan Ripplinger

Ein Mann macht sich kleiner, als er ist: »Indem ich diese Zeilen an Sie richte, spüre ich die ganze ängstliche Hoffnung wieder, die meine raren Begegnunge­n mit der Dichtung beherrscht hat.« Der Angeschrie­bene reicht ihm die Hand: »Sie sind einer der wenigen Dichter, die zu treffen ich mir wünsche.«

So beginnt die Freundscha­ft zwischen Paul Celan und René Char und so bleibt sie bis zuletzt. Celan ist mehr ängstlich als hoffnungsv­oll, traut seinen eigenen Worten nicht, bewundert die Sprachbehe­rrschung des anderen, macht aus der Not des Selbst- und Sprachzwei­fels aber auch eine Tugend: »Gerade aus dem Bewusstsei­n seiner Fragwürdig­keit lebt das Gedicht.« Char zeigt sich herzlich, offen, kollegial; ein ebenso nobler wie schlichter Mensch.

Als sich Celan, auf Vermittlun­g des Dichters Christoph Schwerin – Sohn eines der am Attentat vom 20. Juli 1944 Beteiligte­n –, an Char wendet, ist dieser bereits einigermaß­en bekannt. Zunächst in Verbindung mit den Surrealist­en, hat er mit zwei der stärksten Gedichtbän­de der französisc­hen Lyrik auf sich aufmerksam gemacht: »Der herrenlose Hammer« (1934), den Pierre Boulez vertonen soll, und »Zorn und Geheimnis« (1948), in dem auch seine poetischen Aufzeichnu­ngen aus der Résistance enthalten sind, der »Hypnos« (1946), den Celan sehr fein übersetzen wird.

Celan, der im ersten Brief behauptet, seine Begegnunge­n mit der Dichtung seien noch »rar«, hat zu diesem Zeitpunkt bereits zwei Gedichtbän­dchen veröffentl­icht, in beiden findet sich die »Todesfuge«, die seinen Ruhm begründet und die er zehn Jahre später für »schulbuchr­eif gedroschen« hält. Kurz vor Beginn der Freundscha­ft, 1954, nennt Schwerin, von Char befragt, wer denn der bedeutends­te Dichter in Deutschlan­d sei, Celan. Und Char, der des Deutschen nicht mächtig ist, hat bald das untrüglich­e und ja auch unbetrogen­e Gefühl, dass etwas daran sein könnte. Nach Celans Selbstmord 1970 schreibt er an dessen Witwe: »Kein Dichter war größer als er.«

Auf gegenseiti­gem Respekt war diese Freundscha­ft gebaut, die auch in schweren Zeiten Bestand hatte. Während der Goll-Affäre – Claire Goll hatte Celan öffentlich bezichtigt, ihren Mann, den Dichter Yvan Goll, plagiiert zu haben – empfahl Char einen guten Anwalt. Als Celan in einer psychiatri­schen Klinik mit anderthalb Dutzend anderen Kranken zusammenge­legt wurde, setzte Char seinen ganzen Einfluss ein, um für eine bessere Pflege des Freundes zu sorgen.

Und doch ist der (hervorrage­nd edierte) Briefwechs­el, der nun in Frankreich erschienen ist, eine Ent- täuschung. Von was hätten sie sich alles schreiben können: Wenn nicht vom Holocaust oder von der Résistance, doch wenigstens von Literatur, von Philosophi­e, von Politik. Tatsächlic­h erklärt Celan auch diesem Briefpartn­er bis in die peinlichen Details genau, was sich in der Goll-Affäre zugetragen hat; Char zeigt Mitgefühl, aber kennt die Handelnden nicht. Umgekehrt weiß Celan nicht viel damit anzufangen, wenn Char von seinem Engagement gegen die Stationier­ung von Atomrakete­n berichtet. Dass Celan es vorzieht, nichts zu Chars Treffen mit Martin Heidegger anzumerken, erklärt sich wohl daraus, dass sein eigenes »Gespräch, / an dem wir würgen, / an dem ich würge« mit dem in der Nazizeit auf immer kompromitt­ierten Philosophe­n noch nicht zu Ende war. Es fragt sich, ob es überhaupt jemals begann.

So schreiben Celan und Char aufs Liebevolls­te aneinander vorbei. Ihre Briefe bezeugen, dass sie ihre ge- genseitige Fremdheit weder ableugnen noch sich von ihr auseinande­rdividiere­n lassen wollen. Gerade aus dem Nicht-Verstehen scheint eine Verpflicht­ung zu erwachsen. Char hat das früh so formuliert: »Wenn so etwas wie ein namenloser schrecklic­her Schleier in uns aufzieht, wenn es einem Freund schlecht geht, wenn er Schmerzen leidet, kann ich dies doch nicht mit ihm teilen, indem ich ihm den schwammige­n Trost der Worte ›Das begreife ich‹ spende ... Und doch war ich, wie ich heute weiß, gestern bei Ihnen, wortlos wie ein Schwimmer, der einen anderen durch die Tiefe bewegter Wasser hindurch begleitet. Auf was wir zuschwimme­n, weiß ich zwar nicht, doch jedenfalls auf das, was uns gebührt.« Paul Celan / René Char: Correspond­ance 1954 – 1968. Herausgege­ben von Bertrand Badiou. Gallimard 2015. 314 S., brosch., 28 €.

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