»Wortlos wie ein Schwimmer«
Der Briefwechsel zwischen den Dichtern Paul Celan und René Char dokumentiert eine Freundschaft unter Fremden
Ein Mann macht sich kleiner, als er ist: »Indem ich diese Zeilen an Sie richte, spüre ich die ganze ängstliche Hoffnung wieder, die meine raren Begegnungen mit der Dichtung beherrscht hat.« Der Angeschriebene reicht ihm die Hand: »Sie sind einer der wenigen Dichter, die zu treffen ich mir wünsche.«
So beginnt die Freundschaft zwischen Paul Celan und René Char und so bleibt sie bis zuletzt. Celan ist mehr ängstlich als hoffnungsvoll, traut seinen eigenen Worten nicht, bewundert die Sprachbeherrschung des anderen, macht aus der Not des Selbst- und Sprachzweifels aber auch eine Tugend: »Gerade aus dem Bewusstsein seiner Fragwürdigkeit lebt das Gedicht.« Char zeigt sich herzlich, offen, kollegial; ein ebenso nobler wie schlichter Mensch.
Als sich Celan, auf Vermittlung des Dichters Christoph Schwerin – Sohn eines der am Attentat vom 20. Juli 1944 Beteiligten –, an Char wendet, ist dieser bereits einigermaßen bekannt. Zunächst in Verbindung mit den Surrealisten, hat er mit zwei der stärksten Gedichtbände der französischen Lyrik auf sich aufmerksam gemacht: »Der herrenlose Hammer« (1934), den Pierre Boulez vertonen soll, und »Zorn und Geheimnis« (1948), in dem auch seine poetischen Aufzeichnungen aus der Résistance enthalten sind, der »Hypnos« (1946), den Celan sehr fein übersetzen wird.
Celan, der im ersten Brief behauptet, seine Begegnungen mit der Dichtung seien noch »rar«, hat zu diesem Zeitpunkt bereits zwei Gedichtbändchen veröffentlicht, in beiden findet sich die »Todesfuge«, die seinen Ruhm begründet und die er zehn Jahre später für »schulbuchreif gedroschen« hält. Kurz vor Beginn der Freundschaft, 1954, nennt Schwerin, von Char befragt, wer denn der bedeutendste Dichter in Deutschland sei, Celan. Und Char, der des Deutschen nicht mächtig ist, hat bald das untrügliche und ja auch unbetrogene Gefühl, dass etwas daran sein könnte. Nach Celans Selbstmord 1970 schreibt er an dessen Witwe: »Kein Dichter war größer als er.«
Auf gegenseitigem Respekt war diese Freundschaft gebaut, die auch in schweren Zeiten Bestand hatte. Während der Goll-Affäre – Claire Goll hatte Celan öffentlich bezichtigt, ihren Mann, den Dichter Yvan Goll, plagiiert zu haben – empfahl Char einen guten Anwalt. Als Celan in einer psychiatrischen Klinik mit anderthalb Dutzend anderen Kranken zusammengelegt wurde, setzte Char seinen ganzen Einfluss ein, um für eine bessere Pflege des Freundes zu sorgen.
Und doch ist der (hervorragend edierte) Briefwechsel, der nun in Frankreich erschienen ist, eine Ent- täuschung. Von was hätten sie sich alles schreiben können: Wenn nicht vom Holocaust oder von der Résistance, doch wenigstens von Literatur, von Philosophie, von Politik. Tatsächlich erklärt Celan auch diesem Briefpartner bis in die peinlichen Details genau, was sich in der Goll-Affäre zugetragen hat; Char zeigt Mitgefühl, aber kennt die Handelnden nicht. Umgekehrt weiß Celan nicht viel damit anzufangen, wenn Char von seinem Engagement gegen die Stationierung von Atomraketen berichtet. Dass Celan es vorzieht, nichts zu Chars Treffen mit Martin Heidegger anzumerken, erklärt sich wohl daraus, dass sein eigenes »Gespräch, / an dem wir würgen, / an dem ich würge« mit dem in der Nazizeit auf immer kompromittierten Philosophen noch nicht zu Ende war. Es fragt sich, ob es überhaupt jemals begann.
So schreiben Celan und Char aufs Liebevollste aneinander vorbei. Ihre Briefe bezeugen, dass sie ihre ge- genseitige Fremdheit weder ableugnen noch sich von ihr auseinanderdividieren lassen wollen. Gerade aus dem Nicht-Verstehen scheint eine Verpflichtung zu erwachsen. Char hat das früh so formuliert: »Wenn so etwas wie ein namenloser schrecklicher Schleier in uns aufzieht, wenn es einem Freund schlecht geht, wenn er Schmerzen leidet, kann ich dies doch nicht mit ihm teilen, indem ich ihm den schwammigen Trost der Worte ›Das begreife ich‹ spende ... Und doch war ich, wie ich heute weiß, gestern bei Ihnen, wortlos wie ein Schwimmer, der einen anderen durch die Tiefe bewegter Wasser hindurch begleitet. Auf was wir zuschwimmen, weiß ich zwar nicht, doch jedenfalls auf das, was uns gebührt.« Paul Celan / René Char: Correspondance 1954 – 1968. Herausgegeben von Bertrand Badiou. Gallimard 2015. 314 S., brosch., 28 €.