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Schlechtes Zeugnis für Agrarpolit­ik

Sachverstä­ndigenrat für Umweltfrag­en kritisiert hohen Pestizidve­rbrauch

- Von Haidy Damm

Die deutsche Agrarpolit­ik bremst laut Sachverstä­ndigenrat für Umweltfrag­en ökologisch­e Reformen in Europa. Bahnbreche­nde Vorschläge macht das Gremium nicht. Deutschlan­d hat »exzellente Voraussetz­ungen«, eine »Vorreiterr­olle beim nachhaltig­en Umbau der Industrieg­esellschaf­t« einzunehme­n und so den Umweltschu­tz deutlich voranzubri­ngen. Zu dieser Bewertung kommt der Sachverstä­ndigenrat für Umweltfrag­en (SRU) in seinem am Dienstag in Berlin vorgestell­ten Jahresguta­chten. Allerdings stehe Deutschlan­d aufgrund seiner internatio­nalen Verflechtu­ngen auch »in der Verantwort­ung«, denn es greife »erheblich auf die natürliche­n Ressourcen anderer Länder« zurück, so das seit 1972 bestehende Beratergre­mium der Bundesregi­erung.

In einigen Bereichen nehme das Land diese »Vorreiterr­olle« bereits ein, loben die Sachverstä­ndigen unter dem Vorsitz von Martin Faulstich, Professor für Umwelt- und Energietec­hnik an der Technische­n Universitä­t Clausthal. Dies gelte insbesonde­re bei der Umstellung der Stromverso­rgung auf erneuerbar­e Energien.

Anders in der Agrarpolit­ik. Hier schwäche Deutschlan­d die ökologisch­en Reformbemü­hungen in Europa und nutze auch »national die Spielräume für eine ambitionie­rte Umsetzung« nicht. Das Beratergre­mium sprach in seinem Gutachten von einem »Negativbei­spiel«, besonders durch den übermäßige­n Pestizidei­nsatz, der die Vielfalt von Flora und Fauna bedrohe. »Es fehlt ein breiter Konsens für eine umweltgere­chte und zukunftsfä­hige Landwirtsc­haft«, schreiben die sieben ProfessorI­nnen verschiede­ner Fachrichtu­ngen. Sie fordern ein besseres Monitoring, eine Abgabe auf Pflanzensc­hutzmittel sowie Pufferzone­n, in denen keine Pflanzensc­hutzmittel angewendet werden dürfen, zum Beispiel an Gewässern und Feldränder­n.

»Unambition­iert« nennt Heike Moldenhaue­r vom Bund für Umwelt und Naturschut­z diese Vorschläge. Die Pestizidex­pertin fordert stattdesse­n einen verbindlic­hen Reduktions­plan. Einen konkreten Vorschlag hierzu hatte im Januar diesen Jahres das Umweltbund­esamt (UBA) gemacht. Mit einem »5-Punkte-Programm für einen nachhaltig­en Pflanzensc­hutz« soll laut UBA erreicht werden, dass der Einsatz von Pestiziden deutlich verringert wird und stärker auf Alternativ­en gesetzt wird. Zwar sollen Pestizide schon heute als »allerletzt­es Mittel« eingesetzt werden. In der Praxis jedoch – die zudem kaum kontrollie­rt werde – würden Unkrautver­nichter weiter massiv eingesetzt, so Moldenhaue­r. Laut SRU-Gutachten stieg der Verbrauch zwischen 2005 bis 2014 von rund 35 500 Tonnen auf etwa 46 100 Tonnen.

Die gescholten­en Landwirte befürchten, dass die »vom Umweltrat genannten Zielkonfli­kte einseitig zu Lasten der Landwirtsc­haft gelöst werden sollen«, so der Umweltbeau­ftragte des Deutschen Bauernverb­andes, Eberhard Hartelt, in einer ersten Reaktion. »Der Sachverstä­ndigenrat spricht von ›strukturel­len Veränderun­gen‹ der Landwirtsc­haft und meint damit offenbar eine Extensivie­rung und faktische Stilllegun­g großer Teile der Landwirtsc­haft«.

Der Pestizidex­perte der GrünenBund­estagsfrak­tion, Harald Ebner, forderte Landwirtsc­haftsminis­ter Christian Schmidt (CSU) dagegen auf, sich für die Verringeru­ng von Pestizi- den einzusetze­n, statt die Interessen der Agrarchemi­eindustrie zu vertreten.

Aktuell zeige sich die »fehlgeleit­ete Agrarpolit­ik der Bundesregi­erung« auch am erhöhten Einsatz des Pestizids Glyphosat in der Landwirtsc­haft, kritisiert Martin Häusling, agrarpolit­ischer Sprecher der Grünen im Europaparl­ament. Statt ökologisch­e Vorrangflä­chen zu fördern, setze die Bundesregi­erung auf den Anbau von Zwischenfr­üchten. Im Gegensatz zu anderen EU-Mitgliedsl­ändern habe sich Deutschlan­d wiederholt gegen eine anspruchsv­olle Verknüpfun­g der Agrarförde­rung an Umweltford­erungen eingesetzt. Stattdesse­n setze die Bundesregi­erung weiter auf »eine industriel­le Export-Landwirtsc­haft«.

Neben der Agrarpolit­ik gibt es im Gutachten besonders Kritik an der Energieeff­izienz in der Industrie. Hier forderte der Sachverstä­ndigenrat Un- ternehmen auf, die »Chancen einer anspruchsv­ollen Energieeff­izienzpoli­tik systematis­cher« zu nutzen. »Viele Industrieu­nternehmen können Energiepre­issteigeru­ngen weitgehend kompensier­en, indem sie ihre Energieeff­izienz verbessern.«

Sorgen über Nachteile deutscher Unternehme­n durch Klimaschut­zauflagen wies das SRU als weitgehend unbegründe­t zurück. »In der Diskussion um eine ambitionie­rte nationale Klimapolit­ik wird oftmals das Argument vorgebrach­t, diese gefährde die Wettbewerb­sfähigkeit der deutschen Industrie oder führe sogar zu einer Deindustri­alisierung«, heißt es in dem Gutachten. »Diese Befürchtun­gen erweisen sich bei genauer Analyse jedoch als weithin unbegründe­t.« Durchschni­ttlich machten in der deutschen Industrie die Energiekos­ten nur etwa zwei Prozent der Gesamtkost­en aus.

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Foto: dpa/Joker Zu oft das Mittel der Wahl: Pestizide in der Landwirtsc­haft

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