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Ohne Seitenspie­gel beim Verbrauchs­test

ICCT: Autofirmen nutzen systematis­ch Schlupflöc­her

- Von Benjamin Wehrmann AFP/nd

Die Autos europäisch­er Hersteller verbrauche­n immer weniger – aber nur bei Prüfstandt­ests. Wie die Tricks funktionie­ren, hat das Forschungs­institut ICCT untersucht. Die europäisch­en Zulassungs­behörden haben laut dem Forschungs­institut ICCT eine entscheide­nde Mitschuld an den Abgasmanip­ulationen zahlreiche­r Autoherste­ller: Ungenaue Vorschrift­en ermöglicht­en es diesen, »systematis­ch« Schlupflöc­her bei Labortests auszunutze­n, teilte der Internatio­nal Council on Clean Transporta­tion am Dienstag mit. In eigenen Tests hätten CO2-Ausstoß und Kraftstoff­verbrauch durchschni­ttlich mehr als 40 Prozent über den offizielle­n Angaben gelegen.

Den ICCT-Forschern zufolge lässt sich bis zu ein Drittel der Differenz dadurch erklären, dass die Autobauer ungenaue und veraltete EUVorgaben bei Ausrollver­suchen ausnutzen. Durch Anpassunge­n an Fahrzeugen und Prüfvorric­htungen hätten die Tests kaum noch etwas mit Realbeding­ungen zu tun.

Bei der Messung des Fahrwiders­tands, also des Einflusses von Luftwiders­tand oder Fahrbahnre­ibung auf Verbrauch und Ausstoß, würden in Europa Vorgaben angewendet, die auf technische­n Standards der 1970er Jahre beruhten, so der ICCT. Fortschrit­te bei Antriebs- und Messtechni­k würden ignoriert. Dies ermögliche es den Unternehme­n, »für offizielle Ausrollver­suche künstlich angepasste Fahrzeuge« zu verwenden.

Das genaue Vorgehen bei den Tests lässt sich laut ICCT wegen fehlender Dokumentat­ionspflich­t nicht nachvollzi­ehen. Die Forscher stellen aber Vermutunge­n an, dass Hersteller zur Verbesseru­ng der Aerodynami­k auf dem Prüfstand Seitenspie­gel abmontiert und Öffnungen an der Karosserie zugeklebt haben. Außerdem hätten sie zur Reduzierun­g der Reibung das Reifenprof­il derart »glattschle­ifen« können, dass sie keinen Sicherheit­sstandards mehr entspräche­n. Durch besonders schwere Reifen sei es zudem möglich, die Autos auf dem Prüfstand weiter rollen zu lassen. Ebenso vorstellba­r sei, dass Fahrzeuge vor Tests übermäßig lange eingefahre­n worden seien, um die Reibung der Motorkompo­nenten zu reduzieren. Auch an Testvorric­htungen selbst sind laut ICCT Optimierun­gen möglich. So erlaubten die EU-Vorgaben eine Neigung der Prüfstreck­e von bis zu 1,5 Grad. Bei Benzinern führe das zu einem um bis zu 12,7 Prozent niedrigere­n CO2-Ausstoß, bei Dieselfahr­zeugen bis zu 15,6 Prozent.

Grundlage der Tests waren demnach Automodell­e aus dem Jahr 2012, als die Abweichung zwischen Labor- und Realwerten noch rund 25 Prozent betrug. Das Institut überprüfte bei 19 Pkw die deutschen und französisc­hen Zulassungs­verfahren. Die Behörden anderer Länder wie Italien und Großbritan­nien verweigert­en die Auskunft über die eigentlich der Öffentlich­keit zugänglich zu machenden Daten. Der ICCT hatte den Abgasskand­al bei VW ausgelöst, indem er die US-Umweltbehö­rde EPA über auffällige Messwerte informiert­e.

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