Mindestlohn reicht zum Leben nicht
Bundesregierung: Alleinstehende in Großstädten können selbst mit Vollzeitjob ihre Kosten nicht decken
Wer Single ist, in einer Großstadt lebt und einen Job mit Mindestlohnbedingungen hat, entkommt damit nicht dem Sozialleistungsbezug. Das gibt auch die Bundesregierung zu. Berlin. In vielen westdeutschen Großstädten reicht der Mindestlohn kaum zum Leben aus. Ein Vollzeitjob mit 37,7 Stunden Wochenarbeitszeit und Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde genüge vielerorts nicht, um Lebenshaltungskosten und Miete zu zahlen. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage des Bundestagsabgeordneten der Linkspartei Klaus Ernst hervor, die »nd« vorliegt.
Demnach verdient ein alleinstehender Beschäftigter ohne Kinder mit einer solchen Stelle monatlich brutto 1388,62 Euro, netto bleiben 1040,27 Euro. Der Existenzbedarf für diese Gruppe betrage aber 1053 Euro. Er setzt sich zusammen aus dem Hartz-IVSatz von 404 Euro, Durchschnittskosten für Unterkunft von 349 Euro und dem Erwerbstätigenfreibetrag von 300 Euro.
In einzelnen Städten ist die Lücke demnach noch größer: Ein alleinstehender Hartz-IV-Bezieher in München habe Anspruch auf einen Mietzuschuss von 492 Euro. Dieser Betrag liege um 156 Euro über dem Existenzbedarf aus einem Vollzeitjob mit Mindestlohn. In Düsseldorf zahle das Jobcenter einen Mietzuschuss von 395 Euro. Auch hier bringe ein Mindestlohnjob 46 Euro zu wenig ein. In Frankfurt am Main liege der Mietzuschuss bei 468 Euro, in Stuttgart bei 423 Euro. Selbst in Pforzheim seien es 353 Euro.
Deutlich zeigt sich ein Ost-WestGefälle: Im Westen decke der Mindestlohn kaum den Existenzbedarf, heißt es in der Auswertung der Antwort. Im Osten seien die Unterkunftskosten meist abge- deckt. Ausnahmen sind Berlin (388 Euro) und Potsdam (368 Euro). Um nicht mehr auf staatliche Transferleistungen angewiesen zu sein, dürfte ein Mindestlohnemp- fänger in Vollzeit nicht mehr als 336 Euro Mietbelastung haben.
Ernst forderte angesichts der hohen Mietkosten eine deutliche Erhöhung des Mindestlohns. »Schon bei seiner Einführung war der Mindestlohn zu gering«, sagte er gegenüber »nd«. »Ein Mindestlohn muss Vollzeitbeschäftigte vor Erwerbsarmut schützen – sonst macht er keinen Sinn. Dieses Ziel wird klar verfehlt.« Die Regierung müsse nun gesetzlich nachbessern und den Mindestlohn deutlich anheben. Die Linkspartei fordert eine sofortige Anhebung der Lohnuntergrenze auf zehn und baldmöglichst auf zwölf Euro.
Das würde auch die Zahl derjenigen verringern, die zusätzlich zu ihrem Einkommen Hartz IV beziehen müssten. Die Menge der Aufstocker sei seit der Einführung des Mindestlohnes Anfang 2015 kaum gesunken, so Ernst.
Derzeit berät die Mindestlohnkommission des Bundes über die gesetzlich vorgesehene Erhöhung im kommenden Jahr. Das Gremium aus Gewerkschafts- und Unternehmervertretern sowie Wissenschaftlern plant Berichten zufolge eine Erhöhung auf 8,80 Euro – das wären drei Prozent mehr als bisher. Am 28. Juni soll die Empfehlung veröffentlicht werden.
»Ein Mindestlohn muss Vollzeitbeschäftigte vor Erwerbsarmut schützen – sonst macht er keinen Sinn.« Klaus Ernst (LINKE)