Damit Bernie im Kongress nicht einsam ist
Graswurzeltreffen von unverzagten Sanders-Anhängern: Verärgert, aber unverändert aufrührerisch
Bernie Sanders hat die demokratische Präsidentschaftskandidatur in den USA nicht geholt. Entstehen kann jedoch eine Bewegung, die den Kampf gegen Neoliberalismus führt – am Wochenende tagte der People’s Summit der SandersUnterstützer in Chicago. »Wir haben nicht gewonnen, aber wir waren nahe dran, und wir haben gezeigt, was möglich ist.« Becky Bond Beraterin im Sanders-Team
Bernie Sanders macht weiter, mit Hillary Clinton gegen Donald Trump, aber mit seiner Bewegung auch gegen Hillary Clinton. Ein Treffen suchte nach Verständigung: People’s Summit in Chicago. Von den »bitteren letzten Tagen von Bernies Revolution«, wie das Washingtoner Magazin »Politico« höhnte, war auf dem Chicagoer People’s Summit am Wochenende nichts zu spüren. Viel eher bestimmte Enthusiasmus mit einem gesunden Sinn für die Realität die Szenerie. »Wir haben nicht gewonnen, aber wir waren nahe dran, und wir haben gezeigt, was möglich ist«, sagt nicht ohne Stolz Becky Bond gegenüber »neues deutschland«. Die Mittvierzigerin beriet als »Senior Advisor« das BernieSanders-Team, war für digitale Organisierungsarbeit aktiv. Bond hat eine eigene Botschaft auf dem People’s Summit, die sie in Reden unter die Aktivisten bringt: In Bewegung bleiben, sich weiter vernetzen, progressive Kandidaten in Ämter wählen und diese dann auch zur Einhaltung ihrer Wahlversprechen unter Druck setzen – sonst sei der Kampf gegen den Neoliberalismus verloren. Im Sanders-Lager sei jeder bereit, für Sanders' Forderungen weiterzukämpfen – die Reform des Strafrechtsystems, eine allgemeine Krankenversicherung, eine aktive Klimapolitik und 15 Dollar Mindestlohn bis hin zu kostenfreier Bildung für alle und einer Regulierung der Wall Street.
Zu der dreitägigen Konferenz, die am Sonntag zu Ende ging, waren rund 3000 Teilnehmer aus den ganzen USA nach Chicago gereist, von Community- und Gewerkschaftsaktivisten über Studierende und Vertreter linker Organisationen bis hin zu Experten aus dem Bereich sozialer Medien. Das konservative »Wall Street Journal« definierte sie am Montag zutreffend als jenen »Flügel des Sanders-Bündnisses, der sich am wenigsten für die Unterordnung unter die Clinton-Kampagne begeistern kann«. In der Eröffnungsveranstaltung gestand die linke kanadische Bestsellerautorin Naomi Klein ihre Enttäuschung über den Vorwahl-Rückstand von Sanders gegenüber Clinton.
Zu einer von manchen erhofften Strategiedebatte über das weitere Vorgehen kam es am Wochenende nicht. Die Konferenzorganisatoren hatten, um offenen Streit zu vermeiden, Vertreter der »dritten Option« nicht auf das Podium geladen – diese präferieren zum Beispiel eine Kandidatur von Sanders als Unabhängiger oder die Unterstützung einer linken Partei neben den Demokraten, etwa der kleinen Partei der Grünen. Die Erwägung, eine Wahlstrategie außerhalb der Demokraten zu verfolgen, hatte Sanders jedoch von Beginn seiner Kandidatur an verworfen.
Stattdessen plädierten die Plenumsredner für Graswurzelaktivitäten auf regionaler Ebene, für weitere Kandidaturen für politische Ämter, um Republikaner und MainstreamDemokraten herauszufordern und letztendlich abzulösen. Mit Blick auf die Organisationsarbeit herrschte große Zuversicht. Denn aus Sicht der meisten Konferenzteilnehmer ist das Fundament dafür gelegt: das spektakuläre »Organizing« im Vorwahlkampf mithilfe der sozialen Medien. Diese waren tatsächlich nicht nur die Multiplikatoren für die linkssozialdemokratische »Message« von Bernie Sanders. Sie dienten – und dienen – auch als Plattformen für ernsthafte politische Debatten.
Genau das hatten Social-Media-Experten wie Charles Lenchner (siehe Interview) beabsichtigt. Schon vor der Kandidatur von Sanders hatte er mit einer Mitstreiterin die Webseite »Ready for Warren« ins Leben gerufen, in der Annahme, die linksliberale Senatorin Elizabeth Warren aus Massachusetts würde gegen Clinton antreten. Als daraus nichts wurde, kam Bernie – und mit ihm kamen die Social-Media-Aktivitäten, für die Lechner und seine Mitstreiter die Grundlagen gelegt hatten. Sie entwarfen Dutzende von Pro-Bernie-Seiten, gingen dann aber bewusst ein großes politisches Risiko ein, indem sie die Kontrolle über die Inhalte aufgaben. Denn die Passwörter für die Seiten gingen, einem basisdemokratischen Impuls folgend, an Grasswurzelaktivisten. Das Risiko lohnte sich. Im Großen und Ganzen hielten sich die Teilnehmer an ernsthafte Themen, die die Sanders-Kampagne aufwarf, und warfen sogar eigene auf, die Sanders vernachlässigte. Rechte oder abseitige Beiträge blieben die Ausnahme.
Etwa neun Millionen Sanders-Unterstützer fanden sich in Online-Foren zusammen, wie eine Studie ermittelte. Lenchner und seine Mitstreiter machten damit aber nicht nur die Kommunikation und den Meinungsaustausch von Menschen möglich, die sich sonst nie begegnet wären. Die Seiten wurden zur treibenden Kraft des gesamten Sanders-Vorwahlkampfs. Mehr als 90 Prozent der 200 Millionen Dollar an Spenden, die in der Sanders-Wahlkampfkasse eingingen, wurden online geschickt, im Durchschnitt 27 Dollar pro Spende.
Gerade die digitalen Techniker, die sich dem Wahlkampf für Sanders verschrieben, denken jetzt schon über Parteitage und Präsidentschaftswahl hinaus. Der Softwareentwickler Jon Hughes, der die Idee zu voteforbernie.org hatte, ist beispielsweise »hundertprozentig davon überzeugt, dass sich die Bewegung digital nicht zurücklehnen darf, sonst geht sie unter«. Als Sanders' Niederlage gegen Clinton absehbar war, rief Hughes deshalb eine andere Webseite namens grassrootsselect.org ins Leben. Darauf können Linke fortschrittliche Kandidaten, die links von Clinton stehen und auf regionaler Ebene Wahlkampf machen, ausfindig machen und unterstützen. Auch die von Sanders ins Leben gerufene Initiative »Brand New Congress« will Sandersnahe, junge Politiker unterstützen, die im Jahr 2018 für den Kongress in Washington kandidieren. Der alte Sanders, der im Senat jahrelang linke Reden hielt, braucht sich dann nicht mehr so einsam zu fühlen.