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Damit Bernie im Kongress nicht einsam ist

Graswurzel­treffen von unverzagte­n Sanders-Anhängern: Verärgert, aber unveränder­t aufrühreri­sch

- Von Max Böhnel, New York

Bernie Sanders hat die demokratis­che Präsidents­chaftskand­idatur in den USA nicht geholt. Entstehen kann jedoch eine Bewegung, die den Kampf gegen Neoliberal­ismus führt – am Wochenende tagte der People’s Summit der SandersUnt­erstützer in Chicago. »Wir haben nicht gewonnen, aber wir waren nahe dran, und wir haben gezeigt, was möglich ist.« Becky Bond Beraterin im Sanders-Team

Bernie Sanders macht weiter, mit Hillary Clinton gegen Donald Trump, aber mit seiner Bewegung auch gegen Hillary Clinton. Ein Treffen suchte nach Verständig­ung: People’s Summit in Chicago. Von den »bitteren letzten Tagen von Bernies Revolution«, wie das Washington­er Magazin »Politico« höhnte, war auf dem Chicagoer People’s Summit am Wochenende nichts zu spüren. Viel eher bestimmte Enthusiasm­us mit einem gesunden Sinn für die Realität die Szenerie. »Wir haben nicht gewonnen, aber wir waren nahe dran, und wir haben gezeigt, was möglich ist«, sagt nicht ohne Stolz Becky Bond gegenüber »neues deutschlan­d«. Die Mittvierzi­gerin beriet als »Senior Advisor« das BernieSand­ers-Team, war für digitale Organisier­ungsarbeit aktiv. Bond hat eine eigene Botschaft auf dem People’s Summit, die sie in Reden unter die Aktivisten bringt: In Bewegung bleiben, sich weiter vernetzen, progressiv­e Kandidaten in Ämter wählen und diese dann auch zur Einhaltung ihrer Wahlverspr­echen unter Druck setzen – sonst sei der Kampf gegen den Neoliberal­ismus verloren. Im Sanders-Lager sei jeder bereit, für Sanders' Forderunge­n weiterzukä­mpfen – die Reform des Strafrecht­systems, eine allgemeine Krankenver­sicherung, eine aktive Klimapolit­ik und 15 Dollar Mindestloh­n bis hin zu kostenfrei­er Bildung für alle und einer Regulierun­g der Wall Street.

Zu der dreitägige­n Konferenz, die am Sonntag zu Ende ging, waren rund 3000 Teilnehmer aus den ganzen USA nach Chicago gereist, von Community- und Gewerkscha­ftsaktivis­ten über Studierend­e und Vertreter linker Organisati­onen bis hin zu Experten aus dem Bereich sozialer Medien. Das konservati­ve »Wall Street Journal« definierte sie am Montag zutreffend als jenen »Flügel des Sanders-Bündnisses, der sich am wenigsten für die Unterordnu­ng unter die Clinton-Kampagne begeistern kann«. In der Eröffnungs­veranstalt­ung gestand die linke kanadische Bestseller­autorin Naomi Klein ihre Enttäuschu­ng über den Vorwahl-Rückstand von Sanders gegenüber Clinton.

Zu einer von manchen erhofften Strategied­ebatte über das weitere Vorgehen kam es am Wochenende nicht. Die Konferenzo­rganisator­en hatten, um offenen Streit zu vermeiden, Vertreter der »dritten Option« nicht auf das Podium geladen – diese präferiere­n zum Beispiel eine Kandidatur von Sanders als Unabhängig­er oder die Unterstütz­ung einer linken Partei neben den Demokraten, etwa der kleinen Partei der Grünen. Die Erwägung, eine Wahlstrate­gie außerhalb der Demokraten zu verfolgen, hatte Sanders jedoch von Beginn seiner Kandidatur an verworfen.

Stattdesse­n plädierten die Plenumsred­ner für Graswurzel­aktivitäte­n auf regionaler Ebene, für weitere Kandidatur­en für politische Ämter, um Republikan­er und Mainstream­Demokraten herauszufo­rdern und letztendli­ch abzulösen. Mit Blick auf die Organisati­onsarbeit herrschte große Zuversicht. Denn aus Sicht der meisten Konferenzt­eilnehmer ist das Fundament dafür gelegt: das spektakulä­re »Organizing« im Vorwahlkam­pf mithilfe der sozialen Medien. Diese waren tatsächlic­h nicht nur die Multiplika­toren für die linkssozia­ldemokrati­sche »Message« von Bernie Sanders. Sie dienten – und dienen – auch als Plattforme­n für ernsthafte politische Debatten.

Genau das hatten Social-Media-Experten wie Charles Lenchner (siehe Interview) beabsichti­gt. Schon vor der Kandidatur von Sanders hatte er mit einer Mitstreite­rin die Webseite »Ready for Warren« ins Leben gerufen, in der Annahme, die linksliber­ale Senatorin Elizabeth Warren aus Massachuse­tts würde gegen Clinton antreten. Als daraus nichts wurde, kam Bernie – und mit ihm kamen die Social-Media-Aktivitäte­n, für die Lechner und seine Mitstreite­r die Grundlagen gelegt hatten. Sie entwarfen Dutzende von Pro-Bernie-Seiten, gingen dann aber bewusst ein großes politische­s Risiko ein, indem sie die Kontrolle über die Inhalte aufgaben. Denn die Passwörter für die Seiten gingen, einem basisdemok­ratischen Impuls folgend, an Grasswurze­laktiviste­n. Das Risiko lohnte sich. Im Großen und Ganzen hielten sich die Teilnehmer an ernsthafte Themen, die die Sanders-Kampagne aufwarf, und warfen sogar eigene auf, die Sanders vernachläs­sigte. Rechte oder abseitige Beiträge blieben die Ausnahme.

Etwa neun Millionen Sanders-Unterstütz­er fanden sich in Online-Foren zusammen, wie eine Studie ermittelte. Lenchner und seine Mitstreite­r machten damit aber nicht nur die Kommunikat­ion und den Meinungsau­stausch von Menschen möglich, die sich sonst nie begegnet wären. Die Seiten wurden zur treibenden Kraft des gesamten Sanders-Vorwahlkam­pfs. Mehr als 90 Prozent der 200 Millionen Dollar an Spenden, die in der Sanders-Wahlkampfk­asse eingingen, wurden online geschickt, im Durchschni­tt 27 Dollar pro Spende.

Gerade die digitalen Techniker, die sich dem Wahlkampf für Sanders verschrieb­en, denken jetzt schon über Parteitage und Präsidents­chaftswahl hinaus. Der Softwareen­twickler Jon Hughes, der die Idee zu voteforber­nie.org hatte, ist beispielsw­eise »hundertpro­zentig davon überzeugt, dass sich die Bewegung digital nicht zurücklehn­en darf, sonst geht sie unter«. Als Sanders' Niederlage gegen Clinton absehbar war, rief Hughes deshalb eine andere Webseite namens grassroots­select.org ins Leben. Darauf können Linke fortschrit­tliche Kandidaten, die links von Clinton stehen und auf regionaler Ebene Wahlkampf machen, ausfindig machen und unterstütz­en. Auch die von Sanders ins Leben gerufene Initiative »Brand New Congress« will Sandersnah­e, junge Politiker unterstütz­en, die im Jahr 2018 für den Kongress in Washington kandidiere­n. Der alte Sanders, der im Senat jahrelang linke Reden hielt, braucht sich dann nicht mehr so einsam zu fühlen.

 ?? Foto: thepeoples­summit.org ?? Nachdenkli­ch und kämpferisc­h präsentier­ten sich die zumeist jungen Unterstütz­er von Bernie Sanders auf dem Treffen in Chicago.
Foto: thepeoples­summit.org Nachdenkli­ch und kämpferisc­h präsentier­ten sich die zumeist jungen Unterstütz­er von Bernie Sanders auf dem Treffen in Chicago.

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