Den Bach herunter gegangen
Sachsen schafft umstrittenen »Wasserpfennig« wieder ab / Wassermüller bleiben skeptisch gegenüber Politik
2013 führte Sachsen eine Abgabe für Wasserkraftanlagen ein. Die Betreiber sahen sich vom Ruin bedroht. Nun wird der »Wasserpfennig« wieder abgeschafft. Das Misstrauen der Wassermüller bleibt. Die Geräusche, die beim Geldverdienen entstehen, sind ein Rauschen und ein Summen. Es rauscht, wenn Wasser aus dem Mühlgraben der Weißen Elster in die beiden Francis-Turbinen der Eisenmühle Elstertrebnitz strömt, und es summt, wenn die mit ihnen verbundenen Generatoren Strom erzeugen. Zwischen 18 und 30 Kilowatt leisten die Maschinen im Sommer; »das hängt von der Wassermenge ab«, sagt Sabine Mucheyer. Pro Kilowattstunde zahlt das Unternehmen, in dessen Netz der Strom eingespeist wird, 12,9 Cent. Das Rauschen und das Summen sind sehr beruhigende Geräusche – für die Besitzer des Bauwerks, aber auch für die Mühle selbst. Es ist gewissermaßen der Sound zu ihrer Rettung.
Noch vor zehn Jahren war die Eisenmühle in einem tristen Zustand: die Gebäude verfallen, die Keller voller Müll, alter Reifen und Asbest. Vor 100 Jahren hatte man begonnen, in der schon lange existierenden Mühle neben Mehl auch Eisenpulver herzustellen. Die Kraft des Wassers half, Metallschienen in wochenlanger Arbeit zu Staub zu zerreiben, der in Medizin und Chemie gefragt war. 1993 aber war die Technologie nicht mehr konkurrenzfähig; die Anlage wurde stillgelegt und verfiel.
Dass sie heute als letzte ihrer Art in Deutschland und womöglich in Europa erhalten ist, verdankt sie dem Enthusiasmus von Sabine Mucheyer und ihrem Mann Jost – die zunächst freilich keine Müller werden wollten. Sie träumte eher davon, eine Landpension zu betreiben; er brauchte Räume für eine Sammlung mechanischer Musikinstrumente. »Dafür suchten wir eine Immobilie«, sagt Mucheyer, »und zwar eine, die selbst zu ihrem Unterhalt beiträgt.« Die Lösung fand sich am Wasser: in der Mühle, in der schon lange auch Strom erzeugt worden war. Das Gesetz zur Förderung erneuerbarer Energien (EEG) gewährt für dessen Einspeisung auf 20 Jahre eine feste Vergütung – Geld, mit dem die Besitzer für den schrittweisen, kostspieligen Erhalt des historischen Denkmals rechnen können und das auch hilft, ein Darlehen abzuzahlen, das für den Aufbau der Landpension nötig war. Der Verkauf des Stroms, sagt Sabine Mucheyer, »gab uns die nötige Investitionssicherheit«.
Allerdings hatten die zwei Idealisten ihre Rechnung ohne die sächsische Politik gemacht. Im Jahr 2013 beschloss die damalige Koalition aus CDU und FDP, den Betreibern von Wasserkraftanlagen in die Tasche zu greifen – und zwar sehr tief. Sie sollten zwischen 15 und 25 Prozent des Betrags abführen, den sie dank Einspeisevergütung verdienen oder, falls sie den Strom selbst verbrauchen, theoretisch erhalten würden. Zur Begründung diente die Wasserrahmenrichtlinie der EU. Sie soll helfen, die Qualität der Gewässer zu verbessern, wozu auch die so genannte Durchgängigkeit zählt: Fische sollen sich in Flüssen ungehindert bewegen können. Wenn, wie bei Wassermühlen, das durch technische Bauwerke verhindert wird, sollen Fischtreppen errichtet werden. Für deren Bau sollten die Einnahmen aus dem »Wasserpfennig«, geschätzt drei Millionen im Jahr, verwendet werden.
Was den Fischen hätte nutzen sollen, stellte sich freilich für die Wassermüller als Mühlstein dar, der ihnen um den Hals gelegt wurde und sie unbarmherzig in die Tiefe zog. Wohlgemerkt: Abgeschöpft werden sollten nicht Teile des Gewinns, den sie womöglich erzielten, sondern der Einnahmen – vor allem Kosten, Steuern und Raten für Kredite, die viele von ihnen zur Ertüchtigung der Anlagen aufgenommen hatten. »Keinem anderen Unternehmen greift man derart dreist in die Tasche«, sagt Sabine Mucheyer. Etwa 320 Wasserkraftanlagen gibt es in Sachsen; zwei Drittel davon wurden durch den Wasserpfennig unwirtschaftlich, sagt Alexander Düsterhöft, Präsident des Verbands der Wasserkraftwerksbetreiber in Sachsen. Arbeitsplätze waren gefährdet, auch in Betrieben, die etwa Turbinen warten oder Fischtreppen bauen. Dass die Abgabe ungeachtet der Ertragslage fällig werden sollte, hätte laut Düsterhöft »im Extremfall zur persönlichen Insolvenz gezwungen«. Auch bei der Rettung des technischen Denkmals Eisenmühle in Elstertrebnitz gerieten sämtliche Planungen und Kalkulationen ins Wanken: Der Wasserpfennig, sagt Sabine Mucheyer, »stellte alles in Frage«.
Es ist seit 2013 viel gemutmaßt worden, was die tatsächlichen Beweggründe für die Einführung der Abgabe waren. Das Umweltministerium verwies damals auf ein Vertragsverletzungsverfahren der europäischen Kommission, die Deutschland eine Verletzung der Wasserrahmenrichtlinie vorwarf. Naturschützer sähen es auch heute noch gern, wenn Wehre und Sperrbauwerke aus den Flüssen entfernt würden. Spekuliert wurde zudem, dass auch den Anglern die Wasserkraftanlagen ein Dorn im Auge sind, weil sie ohne diese auf mehr Fische hoffen. Es handelt sich um eine sehr mächtige Lobbygruppe: Der sächsische Landesverband der Angler hat 40 500 Mitglieder.
Verteidiger des Wasserpfennigs verwiesen darauf, dass ähnliche Abgaben auch andere Länder erheben, etwa Schleswig-Holstein oder Bayern. Dort aber gibt es Untergrenzen – und weniger Ausnahmen, sagt Jana Pinka, Landtagsabgeordnete der LINKEN. Tatsächlich ist auffällig, bei wem die Abgabe in Sachsen nicht erhoben wird: bei Heilquellen, Fischzucht, Wärmegewinnung – und für die Trockenlegung der Braunkohlengruben. Diese aber, sagt Pinka, »schädigt die Umwelt um ein Vielfaches mehr« als einzelne Wasserkraftanlagen. Viele Wassermüller jedenfalls sind allein über die Idee einer Nutzungsabgabe für Wasser fassungslos. Seit Gründung der Markgrafschaft Meißen im Jahr 929 habe es »immer Regularien und Zwangsabgaben« gegeben, sagt Thomas Rolle, Chef einer Getreidemühle im Zschopautal, »aber niemals auf die Nutzung oder Abgabe des Wassers«.
Der Wasserpfennig hat seit 2013 für viel Wirbel gesorgt. Es gab Verfassungsbeschwerden in Land und Bund, eine Petition und unzählige Gespräche mit Abgeordneten. Zudem gab es einen Wechsel in der Regierung; seit 2014 regiert die CDU mit der SPD, die – wie LINKE und Grüne – gegen den Wasserpfennig in der be- schlossenen Form war. Schließlich gab es auch einen neuen Umweltminister: Der langjährige Ressortchef Frank Kupfer wurde durch Thomas Schmidt (beide CDU) ersetzt.
Welcher der Umstände letztlich den Ausschlag gab, bleibt unklar; Fakt ist aber: Diese Woche dürfte im Landtag eine bemerkenswerte Wende stattfinden. CDU und SPD wollen das Wassergesetz erneut ändern – und Wasserkraftanlagen von der Nutzungsabgabe wieder befreien. Plötzlich gelten die Anlagen nicht mehr als Hindernisse für Fische; statt dessen heißt es, die Wasserkraft leiste einen »Beitrag zum Erreichen der Energiewende«. Angemerkt wird auch, dass das europäische Beschwerdeverfahren gegen Deutschland keinen Erfolg gehabt habe; damit »entfällt der ursprüngliche Grund« für die Abgabe. Und schließlich wird ein wenig kleinmütig eingestanden, dass man die Wassermüller »über Gebühr belastet« habe. Für Thomas Rolle, der auch Geschäftsführer des Mühlenvereins in Sachsen ist, ein historischer Schritt: Dass ein Gesetz »komplett kassiert« werde, sei »in den Jahren seit 929 nicht allzu oft vorgekommen in Sachsen«, und seit 1989 »gab es das mit Sicherheit noch nicht«.
Nicht nur Rolle ist erleichtert. Auch die Betreiber der Eisenmühle in Elstertrebnitz sind froh, dass ein, wie Sabine Mucheyer formuliert, »himmelschreiendes Unrecht« beseitigt wird. Einen glatten Strich will sie freilich nicht unter die Geschichte ziehen. Ihre Gesundheit habe gelitten, sagt sie, und auf den Kosten für juristische Gegenwehr gegen die Abgabe wird sie sitzen bleiben. Vor allem aber habe die Angelegenheit zu großer »Ernüchterung über den politischen Betrieb« geführt: »Es hat uns die Augen dafür geöffnet, wie Politik läuft und wie Gesetze entstehen.« Thomas Rolle gab unlängst im Landtag zu bedenken, das »Vertrauen in die Rechtssicherheit, die Bewahrung von Eigentum und die Förderung der Wirtschaft« sei bei den Wassermüllern »noch immer erschüttert«. Es scheint, als sei nicht nur in Elstertrebnitz durch den Wasserpfennig viel Vertrauen unwiederbringlich den Bach herunter gegangen.
Dass ein Gesetz komplett gekippt wird, sagt ein Müller – das gab es seit Gründung der Markgrafschaft Meißen im Jahr 929 nicht sehr oft.