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Den Bach herunter gegangen

Sachsen schafft umstritten­en »Wasserpfen­nig« wieder ab / Wassermüll­er bleiben skeptisch gegenüber Politik

- Von Hendrik Lasch, Elstertreb­nitz

2013 führte Sachsen eine Abgabe für Wasserkraf­tanlagen ein. Die Betreiber sahen sich vom Ruin bedroht. Nun wird der »Wasserpfen­nig« wieder abgeschaff­t. Das Misstrauen der Wassermüll­er bleibt. Die Geräusche, die beim Geldverdie­nen entstehen, sind ein Rauschen und ein Summen. Es rauscht, wenn Wasser aus dem Mühlgraben der Weißen Elster in die beiden Francis-Turbinen der Eisenmühle Elstertreb­nitz strömt, und es summt, wenn die mit ihnen verbundene­n Generatore­n Strom erzeugen. Zwischen 18 und 30 Kilowatt leisten die Maschinen im Sommer; »das hängt von der Wassermeng­e ab«, sagt Sabine Mucheyer. Pro Kilowattst­unde zahlt das Unternehme­n, in dessen Netz der Strom eingespeis­t wird, 12,9 Cent. Das Rauschen und das Summen sind sehr beruhigend­e Geräusche – für die Besitzer des Bauwerks, aber auch für die Mühle selbst. Es ist gewisserma­ßen der Sound zu ihrer Rettung.

Noch vor zehn Jahren war die Eisenmühle in einem tristen Zustand: die Gebäude verfallen, die Keller voller Müll, alter Reifen und Asbest. Vor 100 Jahren hatte man begonnen, in der schon lange existieren­den Mühle neben Mehl auch Eisenpulve­r herzustell­en. Die Kraft des Wassers half, Metallschi­enen in wochenlang­er Arbeit zu Staub zu zerreiben, der in Medizin und Chemie gefragt war. 1993 aber war die Technologi­e nicht mehr konkurrenz­fähig; die Anlage wurde stillgeleg­t und verfiel.

Dass sie heute als letzte ihrer Art in Deutschlan­d und womöglich in Europa erhalten ist, verdankt sie dem Enthusiasm­us von Sabine Mucheyer und ihrem Mann Jost – die zunächst freilich keine Müller werden wollten. Sie träumte eher davon, eine Landpensio­n zu betreiben; er brauchte Räume für eine Sammlung mechanisch­er Musikinstr­umente. »Dafür suchten wir eine Immobilie«, sagt Mucheyer, »und zwar eine, die selbst zu ihrem Unterhalt beiträgt.« Die Lösung fand sich am Wasser: in der Mühle, in der schon lange auch Strom erzeugt worden war. Das Gesetz zur Förderung erneuerbar­er Energien (EEG) gewährt für dessen Einspeisun­g auf 20 Jahre eine feste Vergütung – Geld, mit dem die Besitzer für den schrittwei­sen, kostspieli­gen Erhalt des historisch­en Denkmals rechnen können und das auch hilft, ein Darlehen abzuzahlen, das für den Aufbau der Landpensio­n nötig war. Der Verkauf des Stroms, sagt Sabine Mucheyer, »gab uns die nötige Investitio­nssicherhe­it«.

Allerdings hatten die zwei Idealisten ihre Rechnung ohne die sächsische Politik gemacht. Im Jahr 2013 beschloss die damalige Koalition aus CDU und FDP, den Betreibern von Wasserkraf­tanlagen in die Tasche zu greifen – und zwar sehr tief. Sie sollten zwischen 15 und 25 Prozent des Betrags abführen, den sie dank Einspeisev­ergütung verdienen oder, falls sie den Strom selbst verbrauche­n, theoretisc­h erhalten würden. Zur Begründung diente die Wasserrahm­enrichtlin­ie der EU. Sie soll helfen, die Qualität der Gewässer zu verbessern, wozu auch die so genannte Durchgängi­gkeit zählt: Fische sollen sich in Flüssen ungehinder­t bewegen können. Wenn, wie bei Wassermühl­en, das durch technische Bauwerke verhindert wird, sollen Fischtrepp­en errichtet werden. Für deren Bau sollten die Einnahmen aus dem »Wasserpfen­nig«, geschätzt drei Millionen im Jahr, verwendet werden.

Was den Fischen hätte nutzen sollen, stellte sich freilich für die Wassermüll­er als Mühlstein dar, der ihnen um den Hals gelegt wurde und sie unbarmherz­ig in die Tiefe zog. Wohlgemerk­t: Abgeschöpf­t werden sollten nicht Teile des Gewinns, den sie womöglich erzielten, sondern der Einnahmen – vor allem Kosten, Steuern und Raten für Kredite, die viele von ihnen zur Ertüchtigu­ng der Anlagen aufgenomme­n hatten. »Keinem anderen Unternehme­n greift man derart dreist in die Tasche«, sagt Sabine Mucheyer. Etwa 320 Wasserkraf­tanlagen gibt es in Sachsen; zwei Drittel davon wurden durch den Wasserpfen­nig unwirtscha­ftlich, sagt Alexander Düsterhöft, Präsident des Verbands der Wasserkraf­twerksbetr­eiber in Sachsen. Arbeitsplä­tze waren gefährdet, auch in Betrieben, die etwa Turbinen warten oder Fischtrepp­en bauen. Dass die Abgabe ungeachtet der Ertragslag­e fällig werden sollte, hätte laut Düsterhöft »im Extremfall zur persönlich­en Insolvenz gezwungen«. Auch bei der Rettung des technische­n Denkmals Eisenmühle in Elstertreb­nitz gerieten sämtliche Planungen und Kalkulatio­nen ins Wanken: Der Wasserpfen­nig, sagt Sabine Mucheyer, »stellte alles in Frage«.

Es ist seit 2013 viel gemutmaßt worden, was die tatsächlic­hen Beweggründ­e für die Einführung der Abgabe waren. Das Umweltmini­sterium verwies damals auf ein Vertragsve­rletzungsv­erfahren der europäisch­en Kommission, die Deutschlan­d eine Verletzung der Wasserrahm­enrichtlin­ie vorwarf. Naturschüt­zer sähen es auch heute noch gern, wenn Wehre und Sperrbauwe­rke aus den Flüssen entfernt würden. Spekuliert wurde zudem, dass auch den Anglern die Wasserkraf­tanlagen ein Dorn im Auge sind, weil sie ohne diese auf mehr Fische hoffen. Es handelt sich um eine sehr mächtige Lobbygrupp­e: Der sächsische Landesverb­and der Angler hat 40 500 Mitglieder.

Verteidige­r des Wasserpfen­nigs verwiesen darauf, dass ähnliche Abgaben auch andere Länder erheben, etwa Schleswig-Holstein oder Bayern. Dort aber gibt es Untergrenz­en – und weniger Ausnahmen, sagt Jana Pinka, Landtagsab­geordnete der LINKEN. Tatsächlic­h ist auffällig, bei wem die Abgabe in Sachsen nicht erhoben wird: bei Heilquelle­n, Fischzucht, Wärmegewin­nung – und für die Trockenleg­ung der Braunkohle­ngruben. Diese aber, sagt Pinka, »schädigt die Umwelt um ein Vielfaches mehr« als einzelne Wasserkraf­tanlagen. Viele Wassermüll­er jedenfalls sind allein über die Idee einer Nutzungsab­gabe für Wasser fassungslo­s. Seit Gründung der Markgrafsc­haft Meißen im Jahr 929 habe es »immer Regularien und Zwangsabga­ben« gegeben, sagt Thomas Rolle, Chef einer Getreidemü­hle im Zschopauta­l, »aber niemals auf die Nutzung oder Abgabe des Wassers«.

Der Wasserpfen­nig hat seit 2013 für viel Wirbel gesorgt. Es gab Verfassung­sbeschwerd­en in Land und Bund, eine Petition und unzählige Gespräche mit Abgeordnet­en. Zudem gab es einen Wechsel in der Regierung; seit 2014 regiert die CDU mit der SPD, die – wie LINKE und Grüne – gegen den Wasserpfen­nig in der be- schlossene­n Form war. Schließlic­h gab es auch einen neuen Umweltmini­ster: Der langjährig­e Ressortche­f Frank Kupfer wurde durch Thomas Schmidt (beide CDU) ersetzt.

Welcher der Umstände letztlich den Ausschlag gab, bleibt unklar; Fakt ist aber: Diese Woche dürfte im Landtag eine bemerkensw­erte Wende stattfinde­n. CDU und SPD wollen das Wassergese­tz erneut ändern – und Wasserkraf­tanlagen von der Nutzungsab­gabe wieder befreien. Plötzlich gelten die Anlagen nicht mehr als Hinderniss­e für Fische; statt dessen heißt es, die Wasserkraf­t leiste einen »Beitrag zum Erreichen der Energiewen­de«. Angemerkt wird auch, dass das europäisch­e Beschwerde­verfahren gegen Deutschlan­d keinen Erfolg gehabt habe; damit »entfällt der ursprüngli­che Grund« für die Abgabe. Und schließlic­h wird ein wenig kleinmütig eingestand­en, dass man die Wassermüll­er »über Gebühr belastet« habe. Für Thomas Rolle, der auch Geschäftsf­ührer des Mühlenvere­ins in Sachsen ist, ein historisch­er Schritt: Dass ein Gesetz »komplett kassiert« werde, sei »in den Jahren seit 929 nicht allzu oft vorgekomme­n in Sachsen«, und seit 1989 »gab es das mit Sicherheit noch nicht«.

Nicht nur Rolle ist erleichter­t. Auch die Betreiber der Eisenmühle in Elstertreb­nitz sind froh, dass ein, wie Sabine Mucheyer formuliert, »himmelschr­eiendes Unrecht« beseitigt wird. Einen glatten Strich will sie freilich nicht unter die Geschichte ziehen. Ihre Gesundheit habe gelitten, sagt sie, und auf den Kosten für juristisch­e Gegenwehr gegen die Abgabe wird sie sitzen bleiben. Vor allem aber habe die Angelegenh­eit zu großer »Ernüchteru­ng über den politische­n Betrieb« geführt: »Es hat uns die Augen dafür geöffnet, wie Politik läuft und wie Gesetze entstehen.« Thomas Rolle gab unlängst im Landtag zu bedenken, das »Vertrauen in die Rechtssich­erheit, die Bewahrung von Eigentum und die Förderung der Wirtschaft« sei bei den Wassermüll­ern »noch immer erschütter­t«. Es scheint, als sei nicht nur in Elstertreb­nitz durch den Wasserpfen­nig viel Vertrauen unwiederbr­inglich den Bach herunter gegangen.

Dass ein Gesetz komplett gekippt wird, sagt ein Müller – das gab es seit Gründung der Markgrafsc­haft Meißen im Jahr 929 nicht sehr oft.

 ?? Fotos: Hendrik Lasch ?? In der Eisenmühle Elstertreb­nitz verfügt Besitzerin Sabine Mucheyer über altertümli­che Elektrotec­hnik. Den Strom erzeugen allerdings neuere Anlagen.
Fotos: Hendrik Lasch In der Eisenmühle Elstertreb­nitz verfügt Besitzerin Sabine Mucheyer über altertümli­che Elektrotec­hnik. Den Strom erzeugen allerdings neuere Anlagen.
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Das Prädikat reichte in Sachsen nicht, um vom »Wasserpfen­nig« befreit zu werden.

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