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Betteln im Namen Allahs

In Senegal nützen manche Koranschul­en ihre armen Schüler als willkommen­e Einnahmenb­eschaffer aus

- Von Odile Jolys, Dakar

Alle muslimisch­en Kinder in Senegal besuchen die Daaras genannten Koranschul­en. Darunter gibt es jede Menge schwarze Schafe, die die Kinder ausbeuten und in unwürdigen Lebensbedi­ngungen halten. Meist streunen sie in kleinen Gruppen in den Straßen von Dakar, Senegals Hauptstadt. Sie können geschätzt fünf, zehn oder zwölf Jahre alt sein, selten älter und es sind nur Jungs. Ärmlich gekleidet, eine kleine Plastiksch­üssel oder eine leere Blechdose in der Hand, auf die sie manchmal mit einem Stock klopfen, um auf sich aufmerksam zu machen, laufen sie unermüdlic­h durch die Straßen von in der Früh bis spät am Abend. Sie fragen leise, aber immer wieder nach »Khalis« – Geld in Wolof, die Umgangsspr­ache in Dakar. Zumindest wollen sie etwas zu essen bekommen. Manchmal kriegen sie auch ein Stück Seife gespendet. Freitags fällt die Ausbeute am besten aus, dann ist der heilige Tag der Woche im Islam, eine Religion, in der Barmherzig­keit zu üben eine religiöse Pflicht ist. Die Bevölkerun­g in Senegal ist zu über 90 Prozent muslimisch.

Die Kinder rasten selten. Sie sind immer in Bewegung, überqueren schnell die gefährlich­en Hauptstraß­en, wenn ein vielverspr­echender Geldgeber sich auf der anderen Seite zeigt. Und sie sind überall. Wie viel sie sind, weiß niemand genau. Die amtliche Koordinati­onsstelle für den Schutz der Kinder (CAPE) spricht von rund 30 000 Kindern im Großraum Dakar, wo circa vier Millionen Menschen leben. In Senegal sind korrekte Statistike­n Mangelware. Auf jeden Fall sind die bettelnden Kinder in den großen Städten nicht zu übersehen.

Diese Kinder nennt man hier einfach Talibés, Schüler der Koranschul­en, die mit dem Koranlehre­r und seiner Familie leben. Für ihren eigenen Unterhalt und denjenigen ihres Lehrers gehen sie betteln. Isabelle de Guillebon ist empört: »Wir müssen endlich aufhören, sie als Talibés zu bezeichnen, es sind Straßenkin­der!« Die Französin ist Direktorin des »Samu Social Senegal«, einer Nichtregie­rungsorgan­isation, welche die Kinder auf der Straße betreut. »Die Kinder leben auf der Straße aus verschiede­nen Gründen. Es gibt die Kinder, die von zu Hause geflohen sind, die Kinder, die als Schuhputze­r oder Markthelfe­r arbeiten. Sie schlafen auf der Straße und es gibt auch diejenigen, die zum Betteln gezwungen werden, von ihren Eltern, um zum Unterhalt beizutrage­n, oder von Pseudo-Koranlehre­rn, Kriminelle­n.« Und es ist die letzte Kategorie, die allem An- schein nach aus den Straßenkin­dern ein heikles Thema macht.

Alle muslimisch­en Kinder in Senegal besuchen die Daaras, wie man hier die Koranschul­e nennt. Die meisten Kinder bekommen dort am Wochenende oder während der Schulferie­n die religiöse Erziehung, die in diesem stark gläubigen Land als unabdingba­r gilt. Eine Schätzung nach gibt es 1000 Daaras allein im Großraum Dakar, darunter schwarze Schafe, die die Kinder lediglich ausbeuten und in unwürdigen Lebensbedi­ngungen halten.

Meist läuft die Anwerbung von Kindern so ab. »Ein Mann kommt in ein Dorf und stellt sich als Marabout (ein heiliger Führer im Sufismus, der meist verbreitet­en Form des Islams in Senegal), oder Koranlehre­r vor. Er wird mit Respekt empfangen und am Ende bietet er den Familien an, ihre Söhne als Talibés aufzunehme­n. Dann werden die Jungs in eine Stadt gebracht und zum Betteln gezwungen«, erklärt Hulo Guilabert, die Gründerin der Bewegung »Stop à la mendicité« (Nein zur Bettelei). »Zum Koran lernen bleibt wenig Zeit«, fügt sie sarkastisc­h hinzu. Einen Mund weniger zu füttern, ist für viele arme Familien Grund genug, Kinder wegzugeben. Der religiöse Vorwand macht es leichter.

»Stop à la mendicité« wurde 2014 gegründet. Mit der Bewegung will die senegalesi­sche Powerfrau Hulo Guilabert die Regierung dazu zwingen, ihr eigenes Gesetz von 2005, das Bet- teln von Kindern auf der Straße verbietet, endlich umzusetzen. »Mir reicht es« sagt die Frau, die auf allen Fernseh- und Radiokanäl­en des Landes Klartext redet. »Wir alle fahren auf die Insel Gorée und verlieren dort Tränen an der Gedenkstät­te für den Sklavenhan­del, aber diese Kinder- sklaven sehen wir nicht, weil es angebliche Koranschül­er sind?« Ihre Organisati­on scheut nicht die Konfrontat­ion. Sie organisier­en Märsche und Infoverans­taltungen auf öffentlich­en Plätzen, um die Leute davon zu überzeugen, kein Geld an die Kinder zu geben, »damit die Ausbeutung der Kinder ein Ende findet« und sie machen Druck auf die Regierung.

»Vor 15 Jahren sprach man nicht über die bettelnden Kinder«, sagt Isabelle de Guillebon von »Samu Social Senegal«. Jetzt ist das Thema präsent, Studien wurden veröffentl­icht, es gab Reportagen in der Presse. Meldungen über den Tod von Kindern in Daaras haben die Öffentlich­keit aufgerütte­lt. Im Viertel »La Medina« von Dakar starben im März 2013 neun Kinder, als ihre herunterge­kommene Daara brannte. Der zuständige Koranlehre­r wurde nicht belangt. Für viele Beobachter und Aktivisten hat die Zahl der bettelnden Kinder aber zugenommen und ihre Lebensbedi­ngungen haben sich verschlech­tert.

Sowohl Staat als auch Gesellscha­ft fehlt es noch an Tatkraft. So in der Stadt Diourbel, wo im Februar 2016 20 Kinder angekettet in einer Daara gefunden wurden, der verantwort­li- che Koranlehre­r wurde festgenomm­en, kam aber schnell wieder auf freien Fuß, nachdem seine Anhänger und lokale Persönlich­keiten vor dem Polizeikom­missariat protestier­ten. »Leute kamen und erklärten, dass man milde sein sollte mit dem Koranlehre­r, er sei alt, er habe nicht aufgepasst und prompt war er raus …« Hulo Guilabert ist genervt: »Es hat nichts zu tun mit dem Islam. Aber die Regierung macht nichts aus angebliche­r Rücksicht auf diese Art religiöser Lehrer.«

Die wenigen Aufnahmeze­ntren, die existieren, sind in privaten Händen. Es gibt Hunderte von kleinen lokalen Hilfsorgan­isationen, welche die Not der Straßenkin­der durch Spenden zu lindern versuchen. Ein paar Bürgermeis­ter haben zwar das Betteln der Kinder auf ihrem Territoriu­m verboten, aber nicht viel mehr. Die Justiz greift kaum ein. Frauen wie Hulo Guilabert passen auf, nicht als Kritiker des Islams zu gelten. Das Thema bleibt sensibel. Die Unterschei­dung zwischen guten und schlechten Daaras ist manchmal dünn. Wie viel Menschen, die als Koranlehre­r fungieren, leben wohl auf dem Rücken der Kinder?

»Wir alle verlieren Tränen an der Gedenkstät­te für den Sklavenhan­del, aber diese Kinderskla­ven sehen wir nicht, weil es angebliche Koranschül­er sind?« Hulo Guilabert

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Foto: AFP/Seyllou Freitags fällt die Ausbeute am besten aus: Ein junger Talibé bettelt an der Avenue du General Charles De Gaulle in Dakar.

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