nd.DerTag

Anwältin der Stimmlosen

Die Interameri­kanische Menschenre­chtskommis­sion wird aus politische­n Gründen finanziell an der kurzen Leine gehalten

- Von David Graaff, Medellín

Die Interameri­kanische Menschenre­chtskommis­sion leidet unter chronische­r Unterfinan­zierung. Die finanziell­e Krise des Organs ist auch Ausdruck der politische­n Grabenkämp­fe auf dem Kontinent. Es war knapp: In letzter Minute haben die Staaten der Organisati­on Amerikanis­cher Staaten (OAS) die Interameri­kanische Menschenre­chtskommis­sion (CIDH) vor massiver Einschränk­ung ihrer Tätigkeite­n bewahrt. Zum 31. Juli laufen die Verträge von 40 Prozent der Mitarbeite­r aus und Mittel, um die Verträge zu erneuern, standen nicht im Budget. Am letzten Tag der OASVollver­sammlung in Santo Domingo konnte Kommission­spräsident James Cavallaro verkünden, dass mehrere Staaten Zahlungen zugesagt hätten, damit das Organ seine Arbeit wie bisher fortsetzen kann. Cavallaro hatte seit Wochen auf die Misere der Kommission hingewiese­n, die neben dem Gerichtsho­f für Menschenre­chte Teil des OAS-Menschenre­chtssystem­s ist. »Wir sehen uns der schwersten fi- nanziellen Krise unserer Geschichte gegenüber. Unsere Geldschrän­ke sind leer«, hatte er in der spanischen Tageszeitu­ng »El País« gewarnt. Mit rund zwei Millionen US-Dollar weniger müsse die CIDH dieses Jahr auskommen. Die für dieses Jahr geplanten Besuche einzelner Länder zur Überprüfun­g der Menschenre­chtslage wurden vorerst abgesagt, ebenso wie die regelmäßig­en Sitzungen der Kommission in Washington D. C. und die öffentlich­en Anhörungen.

Das Interameri­kanische Menschenre­chtssystem fußt auf der Amerikanis­chen Menschenre­chtskonven­tion, die 24 der 32 OAS-Staaten ratifizier­t haben. An die Kommission können sich Bürger aller Staaten wenden, die ihre Menschenre­chte in ihren Heimatländ­ern eingeschrä­nkt oder verletzt sehen. Das ist in vielen Staaten Lateinamer­ikas an der Tagesordnu­ng und die Kommission hat ihre Kompetenze­n seit vielen Jahren sehr offensiv interpreti­ert. Sie kann Beobachter­missionen aussenden, von den Staaten Schutzmaßn­ahmen einfordern oder die Fälle als Kläger vor den Menschenre­chtsgerich­tshof bringen, welcher dann den Staat zu Ent- schädigung­en verurteile­n kann. Die Zahl der von der Kommission behandelte­n Fälle steigt seit Jahren, derzeit sind es rund 6500.

Ein zentrales Problem des Systems ist die Finanzieru­ng. Die Kommission erhält mehr als die Hälfte ihres Budgets aus OAS-Geldern, für den Rest ist sie auf freiwillig­e Zahlungen einzelner Staaten angewiesen. In den vergangene­n Jahren haben viele europäisch­e Länder die Kommission unterstütz­t. Hilfe, die angesichts der zu bewältigen­den Flüchtling­skrise dieses Jahr eingefrore­n oder deutlich gesenkt wurde. Diese Lücke könnten vor allem die lateinamer­ikanischen Staaten schließen, doch es fehlt der politische Wille. Sie tragen lediglich einen Bruchteil zum CIDH-Budget bei.

»Die Staaten ersticken mit ihrer Zahlungsve­rweigerung die ihnen oft unbequeme Kommission«, sagt Gerardo Durango von der Nationalun­iversität Kolumbien und spezialisi­ert auf das Amerikanis­che Menschenre­chtssystem im Gespräch mit »nd«. Mit ihrer Arbeit halte die Kommission den Regierunge­n ihre Versäumnis­se vor und nehme die Rolle einer »menschenre­chtlichen Staatsanwa­ltschaft« ein, so Arango, die die Staaten vor dem Gerichtsho­f anklagt. Sie moniert die Menschenre­chtssituat­ion in Kolumbien, unterstütz­t ethnische oder sexuelle Minderheit­en in Brasilien oder Mittelamer­ika oder deckt, wie im Fall der 43 verschwund­enen Studenten von Ayotzinapa in Mexiko die Unge- reimtheite­n bei den behördlich­en Ermittlung­en auf. Das Mandat der Experten wurde daraufhin von der Regierung Peña Nieto nicht verlängert.

Auch die Linksregie­rungen Lateinamer­ikas haben in den vergangene­n Jahren zwar mit Geldern, nicht aber mit Kritik gespart. Ohnehin skeptisch gegenüber der US-dominierte­n Staatengem­einschaft OAS, sehen sie einen Ausdruck dieser He- gemonie in der Finanzieru­ng. 90 Prozent der freiwillig­en Unterstütz­ung kommen aus den USA. Und das, obwohl diese die Menschenre­chtskonven­tion gar nicht ratifizier­t haben, also selbst nicht für Menschrech­tsverletzu­ngen belangt werden können.

Es sei ein Ding der Unmöglichk­eit, dass die Kommission ihren Sitz in der US-Hauptstadt habe, sagte Ecuadors Außenminis­ter Gillaume Long am Rande der OAS-Versammlun­g am Mittwoch und fügte mit Blick auf die aktive Rolle der Kommission in den vergangene­n Jahren hinzu: »Die Kommission darf keine Agentur sein, die sich der Politik widmet«. Ecuadors Regierung war in der Vergangenh­eit mehrfach von der CIDH für ihre Medienpoli­tik kritisiert worden. Chiles Außenminis­ter Heraldo Muñoz forderte nun, die Länder müssten einen regulären Fonds zur Finanzieru­ng der Kommission einrichten, um diese aus der Abhängigke­it von freiwillig­en Spenden zu befreien. Vorerst aber ist der finanziell­e Kollaps abgewendet, die politische­n Ursachen, deren Ausdruck er war, bleiben jedoch weiter bestehen.

»Die Staaten ersticken mit ihrer Zahlungsve­rweigerung die ihnen oft unbequeme Kommission.« Gerardo Durango

Newspapers in German

Newspapers from Germany