Der dringend an die Sonne muss
Der Gründer von Wikileaks, Julian Assange, sieht seinem fünften Jahr in der ecuadorianischen Botschaft in London entgegen
Nicht immer, wenn Wikileaks ein Stein im Weg liegt, ist der Geheimdienst schuld. Dass der für die Veranstaltung zu Julian Assanges viertem »Botschaftsjubiläum« angekündigte William Binney am Sonntagabend die Berliner Volksbühne nicht erreichte, hatte einen prosaischen Grund: Der Mann, der 2001 nach 37 Jahren aus der NSA ausgeschieden war, um sich als Aufklärer und Kritiker zu betätigen, hatte versäumt, seinen Pass zu verlängern.
Immerhin konnte er die Veranstaltung mit dem per Video zugeschalteten »Jubilar« im Internet verfolgen – und parallel fanden Diskussionen in acht europäischen Städten statt. Kommende Woche wird es eine Simultanveranstaltung in Nord- und Südamerika geben. Das Ziel der Kampagne nannte Ecuadors Außenminister Guillaume Long Comon, der wie Assange aus London zugeschaltet wurde: »Vier Jahre sind viel zu viel. Lasst uns das jetzt beenden.«
Vor nun vier Jahren fand Assange, Gründer der Whistleblowerplattform, Zuflucht in der Vertretung des Landes, das es wagte, ihm Asyl zu gewähren. Seither ist der 1971 geborene Australier dort de facto interniert. Und formal-juristisch bewegt sich in der Geschichte, die ihn dorthin gebracht hat, nicht viel. Erst im Juni scheiterten Assanges Anwälte mit ihrem jüngsten Vorstoß, den schwedischen Haftbefehl gegen ihn aufheben zu lassen.
2010, als Wikileaks gerade Bordvideos amerikanischer Hubschrauber beim Töten irakischer Zivilisten veröffentlicht hatte, wollte Assange Schwede werden. Bald tauchten dort aber Vorwürfe sexueller Belästigung auf und wurde ein Haftbefehl erlassen. Assange war in England inhaftiert und nutzte eine Entlassung auf Kaution zur Flucht in die Botschaft. Verlässt er diese, wird er verhaftet. Eine Auslieferung nach Schweden könnte in den USA enden, wo er als Bedrohung gilt. Wikileaks-Mitarbeiterin Sarah Harrison sagte am Sonntag, bei Vorwürfen von »Spionage« und »Verschwörung« drohten ihm dort 20 Jahre Haft. Zudem sei Chelsea Manning, die ob dieser Videos zu 35 Jahren verurteilt wurde, »Situationen ausgesetzt worden, die mit Folter verwandt sind«.
Seit im Februar der Befund des UNMenschenrechtsrates folgenlos blieb, Assange befinde sich quasi in illega- ler Haft, ist deutlicher denn je, dass nur öffentlicher Druck weiterhelfen kann. Doch dieser will erst aufgebaut sein. Das Internet gestattet es zwar sehr kleinen Gruppen, eine Wirkung zu entfalten, die im Analogzeitalter einer breiten, verankerten, vielköpfigen Bewegung bedurft hätte – doch entsprechend ungeschützt sind einsame Protagonisten wie Assange.
Dass seine Ausreise nach Ecuador nicht mehr nur ein politisches, sondern auch ein humanitäres Anliegen ist, zeigte die Videoansprache aus der Botschaft. Assange wirkt inzwischen – in aller Höflichkeit – reichlich fertig. Fahrig las er etwas über die »Superkräfte von Beschuldigten« vor, das klang, als hätte es der Philosoph Slavoj Žižek geschrieben. Der ist mit Assange befreundet und kam später in einem Solidaritätsclip zu Wort. Die Modeikone Vivien Westwood brachte es in ihrem Einspieler auf den Punkt: Assange muss ganz dringend mal wieder an die Sonne.
An prominenter Unterstützung mangelt es nicht, wie auch der Auftritt der Musikerin PJ Harvey zeigte, die in der Volksbühne für Assange sang. Was aber fehlt, so der Bewegungsveteran Hans-Christian Ströbele, ist ein Unterbau. »Gründet Komitees«, riet Ströbele dem Publikum – und solche hätten auch hierzulande genug zu tun. Denn obwohl sich gerade Berlin zu einem Sammelpunkt der Unterstützer von Aufklärern entwickelt, ist gesetzlich alles im Argen. Ströbele erinnerte an den Prüfauftrag für ein »Whistleblowerschutzgesetz«, den die Große Koalition vereinbart hatte. Inzwischen wird darüber nicht einmal mehr gesprochen.
Zu stellen hätte sich eine solche Unterstützungsbewegung auch einem – wie jemand aus dem Publikum sagte – »hybriden Krieg« der Dienste. Typisch dafür ist sicherlich der dreiste Auftritt des deutschen Verfassungsschutzchefs, der Edward Snowden ohne Beleg, aber mit Echo, einen russischen Agenten nannte. Und vielleicht auch die Kampagne gegen den Internetaktivisten Jacob Applebaum, der sich jüngst mit zumindest teils nachweislich falschen Sexvorwürfen konfrontiert sieht. Harrison und auch die Regisseurin Angela Richter, die am Sonntag moderierte, haben eine Art Unterstützungsbekundung für Applebaum unterzeichnet.
Um sich eingehend zu dieser Sache zu äußern, sei es aber noch zu früh, sagte Richter.
Das Internet gestattet sehr kleinen Gruppen eine enorme Wirkung. Doch entsprechend ungeschützt sind deren Protagonisten.