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Valls wählt die Basta-Lösung

Arbeitsges­etz soll ohne Abstimmung französisc­hes Parlament passieren

- Elsa Koester über französisc­he Arbeitsmar­ktpolitik im Notstand

Paris. Die französisc­he Regierung hat auch in letzter Lesung eine Abstimmung über ihre seit Monaten umstritten­e Arbeitsmar­ktreform umgangen. Ministerpr­äsident Manuel Valls griff dazu am Mittwoch in der Nationalve­rsammlung wie erwartet auf eine Sonderrege­l in der Verfassung zurück. Damit gilt das Gesetz als angenommen, sofern nicht innerhalb von 24 Stunden ein Misstrauen­santrag gegen die Regierung gestellt wird und Erfolg hat. Zuletzt fand sich dafür unter den Abgeordnet­en keine ausreichen­de Mehrheit.

Angesichts des Widerstand­s des linken Flügels der regierende­n Sozialdemo­kraten erschien eine Mehrheit für das Reformgese­tz unsicher. Das Gesetz kann nun voraussich­tlich an diesem Donnerstag als endgültig angenommen gelten.

Die Arbeitsrec­htsreform sieht unter anderem vor, die 35-Stunden-Woche und den Kündigungs­schutz zu lockern. Die Regierung hatte sie nach starken landesweit­en Protestakt­ionen der Gewerkscha­ften mehrfach abgeschwäc­ht.

In was für einer Gesellscha­ft wollen wir morgen leben? Das fragte am Mittwoch die linke französisc­he Tageszeitu­ng »Libération«. Die Nationalve­rsammlung hat die Weichen für die künftige Gesellscha­ft bereits gestellt. Am Dienstag beschloss sie die Verlängeru­ng des »Ausnahmezu­stands« um sechs Monate (ab wann ist ein Zustand eigentlich noch eine Ausnahme?). Am Mittwoch wurde das umstritten­e Arbeitsges­etz endgültig verabschie­det. Erneut ohne Debatte, erneut per Dekret.

70 Prozent der Bevölkerun­g lehnen das Gesetz ab. Seit März haben Gewerkscha­ften und Studierend­e dagegen protestier­t. Sie zogen alle Register: Zwölf Großmobili­sierungen mit bis zu einer Million Demonstran­ten, tägliche Platzbeset­zungen, heftige Streiks. Vergebens. Die Regierung bleibt eisern und setzte das Gesetz autoritär durch.

Morgen leben die Franzosen also in einer Gesellscha­ft fast ohne Kündigungs­schutz und mit bis zu 60 Wochenarbe­itsstunden, einer Gesellscha­ft voller Militär, Hausdurchs­uchungen, Polizeikon­trollen. In welcher Gesellscha­ft aber wollen sie leben? Diese Diskussion hat erst begonnen. Auf den Plätzen wurde in durchwacht­en Nächten eine frisch politisier­te Generation geboren. Sie kämpft gegen das Arbeitsges­etz – und die Welt, die es hervorgebr­acht hat. Dieser Kampf fängt eben erst an.

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