Kino für alle
Steven Spielbergs »BFG« ist politisch opportun.
Alles hat seine Zeit. Das gilt auch für diese kleinen, meist im Sommer das Kinoprogramm dominierenden Unterhaltungsfilmchen, die nett anzuschauen sind, sich letztlich aber ohne bleibende Substanz verflüchtigen wie eine Schaumkrone am Meeresstrand. Bei den Verfilmungen der Romane des britischen Kinderbuchautoren Roald Dahl (1916-1990) hat man es meist mit solchen Geschichten zu tun. Ob »Hexen hexen«, »Matilda«, »Charlie und die Schokoladenfabrik« oder »Der fantastische Mr. Fox«: Immer wieder locken sie die Massen ins Kino und geraten schnell in Vergessenheit. Das könnte sich jetzt ändern, denn mit Steven Spielberg hat sich einer der kommerziell erfolgreichsten Filmregisseure der Welt den ideologisch interessantesten Dahl-Stoff für seinen neuesten Blockbuster erwählt.
1982 erschien das Buch »Sophiechen und der Riese« erstmals, wofür Dahl vielfach ausgezeichnet wurde, auch mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis. Spielberg bezeichnete es als Dahls beste Story, die er seinen inzwischen erwachsenen Kindern früher dutzendfach vorgelesen habe. Er entschied sich aber erst jetzt, das Werk unter dem Originaltitel »BFG – Big Friendly Giant« für die Leinwand zu adaptieren. Und das dürfte nicht nur an den heute nahezu perfekten technischen Voraussetzungen liegen.
Nein, wie es in Hollywood so üblich ist, dürfte eine Armada an Marktforschern vorab den Plot auf seine Verkäuflichkeit abgeklopft und ihn letztlich für tauglich befunden haben. Hauptfigur ist die zehnjährige Sophie (Ruby Barnhill), die in einem Londoner Waisenhaus lebt. Weil sie unter Schlafstörungen leidet, streift sie immer wieder zur Geisterstunde durch das Gebäude. Von dort beobachtet sie eines Nachts beim Blick aus dem Fenster den BFG (Mark Rylance), der sie mit seiner gewaltigen Pranke schnappt und ins Land der Riesen entführt, weil sie sein Geheimnis entdeckt hat: Mithilfe eines trompetenartigen Teils haucht er Menschen mit unruhigem Schlaf schöne Träume ein.
Während der ersten Stunde konzentriert sich der Film ganz auf das sich anbahnende Freundschaftsverhältnis zwischen der pfiffigen und gestochen scharf formulierenden Sophie und dem freundlichen Koloss, der sich in einer lustigen Fantasiesprache artikuliert. Er zeigt ihr die verborgene Welt, in der er Träume sammelt, er führt sie in sein Labor, in dem er diese Träume neu zusammenmischt und er nimmt sie mit auf Tour durch London, wo er die gepanschten Gedanken in die Köpfe der geplagten Seelen pustet. All das verpackt Spielberg in märchen-, ja meisterhafte Bilder, und dank des Performance-Capture-Verfahrens bleibt bei den Animationen auch das herausragende Schauspiel von Mark Rylance erhalten.
Am aufschlussreichsten aber sind bereits während der ersten Hälfte die Stellen, in denen die beiden über den sich später als Leitthema herausstellenden Vegetarismus des BFG unterhalten. Dazu werden die passenden Antagonisten eingeführt: eine Gruppe noch deutlich größerer, wahrlich furchteinflößender, hässlicher, blöder und brutaler Ungetüme, mit denen sich BFG das Land der Riesen teilen muss. Unablässig schikanieren sie ihn, der nichts anderes will als den Menschen einen Wohlgefallen bereiten und seine Kotzgurken knabbern – das einzig Essbare ohne Fleisch, das an diesem Ort zu haben ist.
Die Monster wiederum ernähren sich ausschließlich von – Menschen. Sophies Entrüstung begegnet BFG mit dem Hinweis, die Menschen würden ja schließlich Tiere essen, die sich auch nicht wehren können. Warum also glaubten sie, nicht als Nahrung herhalten zu dürfen? Er selbst verzichtet aus Mitgefühl auf humane Kost und schiebt sich stattdessen in unglücklicher Stimmung die Kotzgurken mit ihrem magenumdrehenden Geruch von verfaultem Fisch und dem ekelhaften Geschmack von schleimigen Schnecken in seinen sanftmütigen Schlund.
Warum die Zeit für eine Verfilmung dieses Romans nun gekommen ist, erklärt sich schon an dieser Stelle: Vegetarismus ist mittlerweile klassenübergreifend angesagt. In den einkommensstarken Kreisen der USA ist das schon lange so: Woody Allen verspottete den gesundheitsbewussten Habitus der Wohlhabenden 1977 in seinem »Stadtneurotiker«, indem er Alvy Singer auf der Terrasse eines teuren Restaurants »Alfalfasprossen mit Hefepüree« bestellen ließ. Fleischfreie Speisen haben heute fast überall einen guten Leumund, auch wenn der Diskurs um Vegetarismus schief verläuft: Fleischesser sind massiv in der Überzahl, fühlen sich aber in die Defensive gedrängt und tun so, als sei der Konsum von totem Tier ein Akt des Widerstands.
Ein kalkulierter Kassenschlager wie »BFG« lässt sich in dieser hitzigen Atmosphäre ideal mit dem Gestus einer progressiven, weil mainstreamkritischen Haltung vermarkten. Damit sich auch wirklich alle Sei- ten des politischen Spektrums »abgeholt« fühlen, spricht der Film in seinem zweiten Teil in gleichem Maße eine völlig entgegengesetzte politische Strömung an. Sophie und der BFG hecken einen Plan aus, mit dem sie die »menschlichen Leberwesen« (im Original wunderbar bezeichnet als »human beans«) endlich von der Speisekarte der Riesen tilgen wollen: Sie schleichen sich in den Buckingham-Palast und bitten die Queen persönlich um Unterstützung, die dann auch bereitwillig das Militär gegen die Giganten ins Feld schickt.
Ein Clou, der neben den Bio-Bürgern auch die in den USA und Europa zahlreicher werdenden »Das wird man ja wohl noch sagen dürfen «Schreihälse bedient, die sich nach jener starken Führungsfigur sehnen, die klar zwischen Gut und Böse unterscheidet und die Guten schützt, indem sie aus den Bösen »die Scheiße rausbombt« (Donald Trump über ISIS). Ein elitärer Groll gegen »den Mob« vereint sich hiermit einem aggressiven Konfli kt lösungs verständnis, daseinemge wissen Teil ebenjenes durch die neuen politischen Polarisierungen verunsicherten »Mobs« durchaus gefallen dürfte.
Am Ende, so viel Spoiler sei angesichts der Vorhersehbarkeit erlaubt, fallen die Soldaten der Queen in Kampf hubschraubern ins Land der Riesen ein und führen einen »Regime Change« herbei, indem sie bekömmlicheres Obst und Gemüse pflanzen, die Menschenfresser gewaltsam auf eine einsame Insel verbannen und ihnen dort eine Ladung Kotzgurken hinterlassen. Interessant ist, dass sie nicht – wie im Buch – unter der Erde eingekerkert und täglich mit dem Brechreiz auslösenden Menü gefüttert werden. Heute, da die neoliberale Ära eine Blütezeit erlebt, müssen sich natürlich auch die Bösen eigenverantwortlich resozialisieren ode reben teuflische Geschöpfe bleiben. Zu Beginn der 1980er Jahre fand man die paternalistische Methode des strafenden Staates offenbar noch plausibler. Alles hat eben seine Zeit.
Einer der weltweit erfolgreichsten Regisseure hat sich einen der ideologisch interessantesten Kinderbuchstoffe für seinen neuesten Blockbuster erwählt.