Bienen gegen Kapital
Der Politikwissenschaftler John Holloway über alltägliche Revolten, SYRIZA und das Richtige im Falschen
John Holloway über kleine Revolten, SYRIZA und Richtiges im Falschen.
Sie definieren kleine, antagonistische »Schreie« als Form von Opposition. Ein Beispiel ist das Mädchen, das in den Park lesen geht statt zur Arbeit. Wie können solche kleinen Handlungen dem System schaden? Es ist nicht das Mädchen im Park, das alleine den Kapitalismus zum Kollabieren bringt. Es geht darum, die Kontinuitätslinien zwischen dem Mädchen und den massiven, wütenden Demonstrationen zu erkennen. Man muss verstehen, dass Widerstand nicht nur in seiner offensichtlichen Form existiert. Die Trennung von Widerstandspolitiken und dem täglichen Leben erscheint mir sehr destruktiv. Ihre Theorie ist stark mit den mexikanischen Zapatisten verknüpft. Sie scheinen das große Ideal zu sein. Doch romantisiert dies nicht die Idee von Widerstand? Auch die Zapatisten sind von kapitalistischen Produktionszyklen abhängig. Wie Adorno sagte: »Es gibt kein richtiges Leben im falschen.« Wie kann die Art, wie die Zapatisten leben und schaffen, richtig sein, wenn die Weise, wie unsere Welt funktioniert, falsch ist? Jeder Versuch das System zu brechen ist widersprüchlich im Sinne des Adornozitates. Weil wir versuchen, etwas Richtiges in einer falschen Welt zu schaffen. Der einzige Weg die falsche Welt zu überkommen ist jedoch, all diese Orte des Richtigen zu schaffen. Und das wird immer widersprüchlich bleiben. Die Frage ist, wie man damit umgeht. Wie kann eine Bewegung Erfolg haben, wenn sie widersprüchlich ist? Wir haben keine Wahl, wir sind zwangsläufig von der Welt lahmgelegt. Das ist das große Dilemma. Die Frage ist, wie man damit umgeht. Und ich denke die Antwort ist: Wir lösen es kollektiv, fragend und undogmatisch. Indem wir unsere eigene Schizophrenie erkennen. Wir sind zwangsläufig schizophren, das ist es, was Adorno sagt. Das System anzuschreien bedeutet auch, sich selbst anzuschreien. Das System reproduziert sich selbst, indem es unsere Schreie unterdrückt. Nicht nur gewaltvoll, sondern auch, indem die Welt sich uns positiv darstellt. Die Rebellion muss daher Teil unseres Alltags sein. Wo liegen die Gemeinsamkeiten in den Kämpfen und Bewegungen auf der ganzen Welt? Die ausschlaggebende Gemeinsamkeit ist die Aggression des Feindes. Der Feind ist im Grunde die Bewegung des Kapitals, auf verschiedene Arten wahrgenommen. Als die lokale Regierung, als Neoliberalismus, als Finanzkapital. Die Kämpfe sind die Antwort auf eine Aggression. Es gibt ein steigendes Bewusstsein, dass diese Aggression ein internationales Phänomen ist und die Kämpfe keine individuellen sind, sondern Teil eines weltweiten Widerstandes. Wie können diese Kämpfe verbunden werden? Das kommt darauf an, wie man »verbinden« meint. Ich sehe »verbinden« als Resonanz. Die Kämpfe sind miteinander verwoben. Nicht institutionell, aber im Sinne der Anerkennung anderer Kämpfe als Teil desselben Kampfes. Das kann nur als Lernprozess begriffen werden. Sie nennen unsere Zeit das »Zeitalter der Revolten«. Aber wenn man sich unterschiedliche Proteste, Revolten und Bewegungen auf der ganzen Welt anschaut, ist das Ergebnis eher frustrierend. Das System integriert diese Bewegungen, der Staat reagiert mit Repression und Autorität. Griechenland ist das perfekte Beispiel für das Scheitern einer europäischen Linken. Wie kann es da noch Hoffnung geben? Das ist die große Frage. Im Falle Griechenlands gab es fantastische Proteste, eine riesengroße Welle der Aktivität und schließlich die Institutionalisierung durch SYRIZA. Diese Institutionalisierung von Hoffnungen und Kämpfen führte nach dem Referendum vergangenes Jahr zu einem kompletten Desaster. Wenn man also die Frage stellt, wie es Hoffnung geben kann, ist das erste, Hoffnung nicht zu institutionalisieren. Denn nichts könnte eindeutiger sein als der desaströse Fakt, dass die institutionelle Welt kompletter Nonsens ist. Nichts klarer als die Niederlage von SYRIZA. Auf der anderen Seite ist das Problem natürlich, dass die Institutionalisierung in Griechenland aus der Schwäche der nicht-institutionellen Gruppen resultierte. Wenn uns also Institutionalisierung oder die Akzeptanz des kapitalistischen Rahmens in ein Desaster führt, wie brechen wir dann damit? Nur indem wir Brüche, Andersheiten, Räume kreieren, in denen wir Dinge anders machen. Wie funktioniert dieses »anders machen«? Teil des Problems ist es, dass wir das nicht wirklich wissen. Daher müssen wir diskutieren, darüber reden. Politik als Horizontalismus, als Teilen unserer Ignoranz und unserer Ideen. Veränderung kann in zwei Richtungen gedacht werden. Zum einen als graduelle Veränderung oder Veränderung, die auf die Bildung einer massiven Organisation oder Mobilisierung fokussiert ist. Das impliziert meist zu denken, dass diese Bewe- gung auf dem Staat basiert und somit eine Veränderung im Staat erwirkt, durch Wahlen zum Beispiel. Diese Denkweise hat zu viel Frustration geführt, weil sie auf etwas zielt, das wir in Zukunft überkommen wollen. Der andere Weg, Veränderung zu denken, ist zu sagen »Es reicht!«. Wir werden keine Bewegung mit Millionen von Menschen aufbauen, wir werden nicht die nächste Wahl gewinnen. Aber wir können hier und jetzt einen Raum kreieren, der radikal mit Kapitalismus bricht. In dem wir versuchen, mit dem Hier und Jetzt zu brechen, mit den existierenden Formen der Dominanz. Und natürlich wäre es schön, eine Million Leute an unserer Seite zu haben, aber auch wenn wir nur zu dritt oder viert sind, können wir es tun. Veränderung durch die Multiplikation von Stichen. Das Kapital mit einer Million Bienen töten. Um noch einmal auf den Staat zurückzukommen. Ihrer Meinung nach sind staatsorientierte Politikformen der falsche Weg. Aber sind Bündnisse mit bestimmten Parteien oder Organisationen nicht strategisch wichtig, um aus der marginalisierten Ecke einer radikalen Linken zu kommen? Diese Bündnisse sind extrem gefährlich, denn man wird schnell in ihre eigene Logik hereingezogen. Das ist die Erfahrung vieler Bewegungen. In Griechenland konnten wir beobachten, dass einige Gruppen in Bündnisse gezogen wurden, die dann SYRIZA gegründet haben. Es ist extrem wichtig, sich nicht zu verschließen und Menschen so weit wie möglich zu erreichen. Aber es hilft nicht, in institutionalisierten Allianzen zu denken. Und dann kommen wir wieder zum omnipräsenten Schrei. Wir versuchen, die Nerven zu kitzeln, die in jedem von uns schlummern. Und es gibt viele Arten dies zu tun. Die Zapatisten zum Beispiel haben eine enorme Wut transportiert, die bei Menschen Sympathien für ihre Kämpfe hervorgerufen haben, was extrem wichtig für ihre Selbstverteidigung war. Und das haben sie nicht über Bündnisse erreicht. Man kommt wesentlich weiter, wenn man diese institutionellen Definitionen vermeidet. Es ist völlig egal, wen du wählst, denn wir haben eine andere Politikform. Ihre Definition von Revolution begreift sie nicht als singuläres, sondern andauerndes Ereignis. Revo- lution kann nicht als Antwort begriffen werden, sondern nur als Frage. Doch wie können Bewegungen so Erfolg haben? Ist das nicht die Absage an Revolutionsutopien? Ich denke nicht. Wir müssen in beide Richtungen denken. Es ist ein Prozess, unsere eigene Verantwortung für die Welt zu übernehmen. Wenn wir dies nicht tun, dann gibt es eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass wir der Zerstörung der Menschheit gegenüberstehen. Wir sind in einer Situation, in der wir tatsächlich keine Wahl mehr haben. Wenn man die schaffenden Brüche und Dominanzen als Prozess der Verantwortungsübernahme sieht, dann kann man sagen: Wir befinden uns in einer Revolution, indem wir eine neue Welt schaffen. Dennoch denke ich nicht, dass Revolution als totaler Bruch von der Agenda gestrichen ist. Aber um wirklich effektiv zu sein, müssen wir an den Punkt kommen, an dem die Entwicklung der Welt nicht länger von dem Gewinn des Profits geformt wird. Wie wir dahin kommen, wissen wir nicht. »Fragend schreiten wir voran«. Wir müssen Revolution und absolute radikale Veränderung neu denken, aber das Konzept der Revolution bleibt entscheidend.
Im Falle Griechenlands gab es fantastische Proteste, eine riesengroße Welle der Aktivität und schließlich die Institutionalisierung durch SYRIZA. Diese Institutionalisierung von Hoffnungen und Kämpfen führte nach dem Referendum vergangenes Jahr zu einem kompletten Desaster.