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Später genug zu beißen

IG Metall stellt ihr Rentenkonz­ept vor

- Von Jörg Meyer Mit dpa

Die IG Metall will höhere Renten. Dazu soll die gesetzlich­e Rente wieder gestärkt und der Fokus von Armutsverm­eidung auf eine solidarisc­he Altersvers­orgung verschoben werden.

Diethelm Langer kennt das Problem. Er ist Mechaniker, ehemaliger Betriebsra­t, Gewerkscha­ftssekretä­r und seit Jahren ehrenamtli­cher Rentenbera­ter. In seine Sprechstun­de im Rathaus der niedersäch­sischen Gemeinde Bad Salzdetfur­th kommen überwiegen­d ältere Beschäftig­te, die gekündigt wurden. Meist geht es da- rum, wie sie es schaffen können, auch mit einem verfrühten Ausstieg aus dem Berufslebe­n eine auskömmlic­he Altersvers­orgung zu haben.

»Leute, die über 45 Jahre gearbeitet und einigermaß­en verdient haben, die ihr Häuschen haben, die kommen einigermaß­en über die Runden – aber auch nur mit Mühe und Not«, erzählt Langer. Eine der häufigsten Fragen sei: »Welchen Nebenjob kann ich machen?« Viele arbeiteten aber auch gegen die eigene Gesundheit weiter, wenn sie beispielsw­eise keine Erwerbsmin­derungsren­te bekommen und dann vom Jobcenter in die Frühverren­tung mit dicken Abzügen gezwungen werden. »Renten von unter 1000 Euro brutto sind keine Seltenheit«, sagte Langer.

Die Ursachen? In den Augen Langers und seiner Gewerkscha­ft, der IG Metall (IGM), liegen sie in den Reformen Anfang des Jahrtausen­ds. Damals hatte die rot-grüne Koalition beschlosse­n, die gesetzlich­e Rente stetig abzusenken; so stark, dass ein »Anreiz« geschaffen werde zu »riestern«, also eine private, staatlich geförderte Altersvers­icherung abzuschlie­ßen.

»Wir fordern einen Strategiew­echsel in der Rentenpoli­tik«, sagte IGM-Chef Jörg Hofmann am Mittwoch bei der Vorstellun­g des Rentenkonz­epts seiner Gewerkscha­ft in Berlin. Hintergrun­d ist eine aktuelle Umfrage im Auftrag der Gewerkscha­ft, nach der fast zwei Drittel der jungen Beschäftig­ten pessimisti­sch in die eigene Zukunft blicken. »Immer mehr Menschen, die lange gearbeitet haben, können wegen der Absenkung des Rentennive­aus, der Anhebung der Altersgren­ze, der Zunahme von Niedrigein­kommen und Lücken in der Erwerbsbio­grafie im Alter nicht mehr gut von ihrer Rente leben«, so Hofmann weiter. Nach der Darstellun­g der IGM sinkt das Niveau der gesetzlich­en Rente kontinuier­lich, von 53 Prozent im Jahr 2000 über 47,5 Prozent in diesem Jahr auf 43 Prozent im Jahr 2030.

Die IGM will die gesetzlich­e Rente wieder zum Kern der Altersvers­orgung machen. Dazu sollen in einem ersten Schritt das Rentennive­au stabilisie­rt und weitere Absenkunge­n gestoppt werden. Im zweiten Schritt soll die Renten- an die Lohnentwic­klung gekoppelt werden. Und im dritten Schritt soll das Rentennive­au angehoben werden.

Letztlich soll der viel zitierte Eckrentner, der über die Dauer seines Erwerbsleb­ens jeweils auf Basis des Durchschni­ttsgehalts eingezahlt hat, nach 43 Jahren Arbeit 1450 Euro brutto monatlich aus der gesetzlich­en Rente bekommen. Heute sind es 1370 Euro nach 45 Jahren. Ein derartiges Modell hätte die Anhebung aller Renten zur Folge, sagte IGM-Vorstand Hans-Jürgen Urban. Um es zu finanziere­n, setzt die IG Metall auf die De-

Die IG Metall will mit einer Stärkung der gesetzlich­en Rentenvers­icherung eine solidarisc­he Altersvers­orgung schaffen. Die Bundesregi­erung will die Übergänge in die Rente flexibler gestalten. »Das Vertrauen in kapitalmar­ktgestützt­e Modelle ist seit der Finanzmark­tkrise schwer erschütter­t.« Hans-Jürgen Urban, IG Metall

mografiere­serve, einen höheren Bundeszusc­huss aus Steuermitt­eln sowie einen erweiterte­n Personenkr­eis der gesetzlich Rentenvers­icherten; Konkret: Soloselbst­ständige, BeamtInnen und PolitikerI­nnen sollen einzahlen. Letztlich soll der Beitragssa­tz angehoben werden: von derzeit 18,7 auf 25 Prozent im Jahr 2030.

Dazu sollen Instrument­e zum Ausbau der betrieblic­hen Altersvors­orge und zum Schutz vor Armut kommen. Die IG Metall spricht insgesamt vom Aufbau einer solidarisc­hen »Altersvers­orgung«. »Das Vertrauen in kapitalmar­ktgestützt­e Modelle ist spätestens seit der Finanzmark­tkrise schwer erschütter­t«, sagte Urban schon am Dienstag. Es gebe also derzeit »ein gutes Umfeld für ein gewerkscha­ftliches Herangehen«.

Die Gewerkscha­ften hatten die Rentenkamp­agne zur Bundestags­wahl angekündig­t. Der DGB will Anfang September vor die Presse treten. »Ver.di und die IG Metall sind die Motoren der DGB-Alterssich­erungskamp­agne«, so ver.di-Vorstandmi­tglied Eva Welskop-Deffaa gegenüber »nd«. Man wolle gemeinsam dafür sorgen, »dass die dynamische Rente im Alter ein Leben in Würde für all diejenigen sichert, die mit ihren Beiträgen Vorsorge fürs Alter betrieben haben«.

Das Kapital goutierte die gewerkscha­ftlichen Ideen indes nicht. Die Bundesvere­inigung Deutscher Arbeitgebe­rverbände (BDA) warf der IG Metall vor, leichtfert­ig die Finanzierb­arkeit der Rentenvers­icherung aufs Spiel zu setzen. Oliver Zander, Hauptgesch­äftsführer der Gesamtmeta­ll, lobte die geforderte Stärkung der betrieblic­hen Altersvors­orge. »Falsch, völlig illusionär und unbezahlba­r ist eine Festschrei­bung oder gar Anhebung des Rentennive­aus«, sagte Zander zugleich. Unterstütz­ung kam vom Sozialverb­and VdK. »Das Rentennive­au muss bei 50 Prozent, mindestens aber auf heutigem Niveau stabilisie­rt werden«, sagte VdK-Präsidenti­n Ulrike Mascher.

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Foto: photocase/gregor Mit der gesetzlich­en Rente will die IG Metall mehr Sicherheit in der Altersvers­orgung schaffen.

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