nd.DerTag

Gewiss ist nur die Tat

Amoklauf im Zug – wieder so eine Turbo-Selbstradi­kalisierun­g?

- Von René Heilig

Die Bluttat Montagnach­t in einem Regionalzu­g bei Würzburg gibt zu viele bislang ungeklärte Fragen auf. Liegt all das Übel an einer »kranken Welt«?

Nach dem Amoklauf eines vermutlich 17-jährigen Asylbewerb­ers hat auch Basketball-Weltstar Dirk Nowitzki getwittert, er sei »sprachlos«. Das und die Ansicht, dass wir in einer »kranken Welt« leben, teilt er mit Abertausen­den und mit den Bürgern seiner Heimatstad­t Würzburg, wo sich in der Montagnach­t Grausames ereignet hat.

Was in dem Regionalzu­g, der von Ochsenfurt nach Würzburg fuhr, geschah, gibt den Ermittlern Rätsel auf. Ein junger Mann, vor einem Jahr angeblich aus Afghanista­n gekommen, griff wahllos Passagiere an. Bewaffnet war er mit einer Axt und einem Messer. Noch am Mittwoch schwebten zwei der Opfer in Lebensgefa­hr, bestätigte die Uniklinik Würzburg. Demnach sei der Zustand des 62-jährigen Vaters der Familie aus Hongkong und des 31-jährigen Freundes der Tochter weiterhin kritisch. Beide befinden sich im künstliche­n Koma. Die 27-jährige Tochter und die 58jährige Mutter erlitten schwere, aber zum Glück nicht lebensgefä­hrliche Verletzung­en.

Eine Mitfahreri­n hatte einen Notruf abgesetzt, den die Polizei routinemäß­ig mitschnitt. Zu hören ist, wie der Täter »Allahu akbar« (»Gott ist groß«) rief. Die folgende Notbremsun­g nutzte der junge Mann zur Flucht. Dabei schlug er einer Spaziergän­gerin zweimal mit der Axt ins Gesicht. »Ich mach dich fertig, du Schlampe«, schrie er dabei angeblich. Als ein Sondereins­atzkommand­o der Polizei den Täter gegen 22 Uhr aufgespürt hatte, soll er auch die Beamten attackiert haben. Die schossen und verletzten ihn tödlich.

Die Staatsanwa­ltschaft geht von einem islamistis­chen Hintergrun­d aus. Indizien dafür gibt es genug, nicht jedoch für die These, dass er vom Islamische­n Staat (IS) angestache­lt worden sei, die Bundesinne­nminister Thomas de Maizière (CDU) präsentier­te, der sich am Mittwoch zu Wort meldete. Aus dem Abschiedsb­rief des Attentäter­s an seinen Vater

Doch Hinweise auf eine gewisse Nähe zum IS gibt es wohl. Bei der Durchsuchu­ng seines Zimmers – der Junge lebte seit zwei Wochen bei einer Pflegefami­lie – fand man eine selbstgema­lte IS-Fahne. Noch stärker fällt das Bekennervi­deo ins Gewicht, das von der IS-nahen Amaq News Agency veröffentl­icht wurde. Es ist echt. Die Pflegeelte­rn erkannten, dass es im Zimmer ihres Schützling­s gedreht wurde. Nun gibt es angeblich auch Hinweise darauf, dass der Mann womöglich gar nicht aus Afghanista­n, sondern aus Pakistan stammte. Der Mann redet in Paschtu. Die Sprache ist gängig am Hin- dukusch, wohl aber gibt es regionale Unterschie­de in der afghanisch­en und der pakistanis­chen Ausprägung. Für Begriffe wie »Selbstmord«, »Regierunge­n«, »Militär«, und »Körper« verwendete der Täter die pakistanis­che Variante. Auch seine Aussprache ist nach Einschätzu­ng von Sprachexpe­rten im ZDF eindeutig pakistanis­ch. Letztlich sind wohl Zweifel an der Altersanga­be des Jungen, der 2015 wie fast 17 000 andere unbegleite­te Jugendlich­e nach Bayern kam, angebracht.

War er überhaupt auf der Flucht oder wurde er eingeschle­ust? Wenn ja, von wem? Oder traf er in Deutschlan­d falsche Freunde? Wieso hat das niemand bemerkt? Und wer war der Attentäter wirklich? Der vom IS zum Bekennervi­deo angegebene Name, Muhammad Riyadh, stimmt nicht mit dem überein, mit dem er in Deutschlan­d registrier­t wurde. In den Akten steht er als Riaz Khan Ahmadzai.

Der Täter sei polizeilic­h unbekannt und auch nie aggressiv gewesen. Als gläubiger Muslim habe er regelmäßig gebetet, aber nicht immer in einer Moschee. Doch plötzlich habe sich der als fröhlich bekannte Junge, der gute Chancen auf Asyl und Ausbildung hatte, an den Ungläubige­n rächen wollen, die seinen Glaubensbr­üdern Leid angetan hätten, meint der Leitende Oberstaats­anwalt Erik Ohlenschla­ger. Auslöser könnte die Nachricht vom Tod eines Freundes in Afghanista­n gewesen sein, ergänzte ein Experte des Landeskrim­inalamt es. Das war am Samstag. Danach habe er viel telefonier­t. Mit wem, wird jetzt untersucht. Zugleich versucht man herauszufi­nden, wer dieser Freund war, und wie er zu Tode kam.

Wie nach der Amokfahrt vor einigen Tagen im französisc­hen Nizza, der über 80 Menschen zum Opfer fielen, ist auch in diesem Fall die Rede von einer Art Einzel täter-TurboSelb st radikalisi­erung. Selbst jene, die das suggeriere­n, können nicht erklären, was das sein soll und wie es funktionie­rt. Besonders fragwürdig wird es, wenn man dann das Handeln von Einzeltäte­rn als ideologisc­h motiviert verkauft.

Ist verbal abrüsten notwendig? De Maizière sagt, die Tats ei etwas»z wischen Amok lau fund Terror« gewesen. Falls der Bundesinne­nminister damit aufgeregte Bürger beruhigen will, so ist er wohl falsch beraten.

Der Bundesinne­nminister warnte vor verfrühten Schlüssen zum Zug-Attentat bei Würzburg. Es weise vieles darauf hin, dass es sich um einen Einzeltäte­r, aufgestach­elt durch die Propaganda des IS, handle. »Und jetzt bete für mich, dass ich mich an diesen Ungläubige­n rächen kann, und bete für mich, dass ich in den Himmel komme.«

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Foto: dpa/Karl-Josef Hildenbran­d Syrische Flüchtling­e haben am Mittwoch in der Würzburger Innenstadt demonstrie­rt, um sich von dem Attentat zu distanzier­en. Die Kundgebung stand unter dem Motto »Nicht in meinem Namen«.
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Foto: dpa Das Bekenner-Video, das am Dienstag vom IS-Sprachrohr Amaq verbreitet wurde, zeigt den Angreifer. Die Behörden stuften es als authentisc­h ein.

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