Mord von Heilbronn bleibt ein Rätsel
Neuer NSU-Ausschuss in Baden-Württemberg soll Verbindungen der rechten Terroristen im Südwesten untersuchen
Die Ergebnisse des ersten Stuttgarter Untersuchungsausschusses zum Mord an einer Polizeibeamtin waren unbefriedigend. Nun wollen sich die Abgeordneten erneut mit dem NSU beschäftigen. Die Hintergründe des Mordes an der Polizistin Michèle Kiesewetter sind weiterhin mysteriös. Doch der neue Untersuchungsausschuss zur rechtsradikalen Terrorgruppe NSU in Baden-Württemberg, dessen Einsetzung am Mittwoch vom Landtag beschlossen werden sollte, will sich hiermit vorerst nur am Rande befassen. Kiesewetter war am 25. April 2007 auf der Theresienwiese in Heilbronn mit einem gezielten Kopfschuss getötet worden. Ein Polizeikollege von ihr wurde durch einen weiteren Kopfschuss schwer verletzt. Der NSU soll deutschlandweit insgesamt zehn Morde begangen haben, neun davon an Migranten aus der Türkei und Griechenland.
Die Parlamentarier aus Südwestdeutschland gehen davon aus, dass der Mord an der Polizistin den beiden mittlerweile ebenfalls toten NSUMitgliedern Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt zuzurechnen ist. Ein eindeutiges Motiv für die Tat hatte der erste baden-württembergische Untersuchungsausschuss in der vergangenen Legislaturperiode nicht erkennen können. Vermutet wird, dass Kiesewetter und ihr Kollege zufällig Opfer bei einer rechten Attacke gegen Repräsentanten des Staates geworden sind. So lautet auch die These der Bundesanwaltschaft.
Das klingt unbefriedigend. Einigen Hinweisen wurde offenbar nicht ausreichend nachgegangen. So hatte eine Thüringer Polizistin, die Kiesewetter kannte und mit ihrem Patenonkel, ebenfalls ein Polizist, befreundet war, Aktivitäten von Neonazis gedeckt beziehungsweise unterstützt. Auch der NSU kam ursprünglich aus Thüringen. Merkwürdig ist außerdem, dass der Gruppenführer von Kiesewetter ebenso wie ein weiterer Polizeikollege Mitglied eines Ablegers des rassistischen Geheimbundes Ku Klux Klans (KKK) in Baden-Württemberg war. Obwohl sich der Untersuchungsausschuss auch hiermit beschäftigt hatte, konnte er keinen Zusammenhang zwischen dem Mord und den Tätigkeiten des KKK feststellen.
Womöglich hätte Florian H. zur Aufklärung beitragen können. Aber der Zeuge verbrannte im September 2013 in seinem Auto, kurz bevor er seine Aussage bei der Polizei machen wollte. Diese ging schnell von einem Suizid aus. H. befand sich in einem Aussteigerprogramm aus der rechten Szene und hatte behauptet, er wisse, wer Kiesewetter getötet habe.
Nun will der Ausschuss, der bis zum Herbst 2018 arbeiten soll, vor allem der Frage nachgehen, wie groß der Unterstützerkreis des NSU in BadenWürttemberg gewesen ist. Besonderes Augenmerk gilt hierbei rechtsradikalen Musikgruppen und Musikvertriebsstrukturen, Rockergruppierungen und anderen Netzwerken der organisierten Kriminalität sowie den Ku-Klux-Klan-Gruppen. Kritisch untersucht werden soll außerdem das Vorgehen der Sicherheits- und Ermittlungsbehörden. Der Vorwurf des »institutionellen Rassismus«, den Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International angesichts der fehlerhaften Ermittlungen gegen die Behörden erhoben haben, findet sich in dem parlamentarischen Antrag zum Untersuchungsausschuss allerdings nicht. Dabei wäre es durchaus angebracht, auch dies zu untersuchen. Denn ebenso wie nach anderen Mor- den des NSU hatten auch die Behörden in Baden-Württemberg zunächst Migranten beziehungsweise Angehörige gesellschaftlicher Randgruppen verdächtigt. Lange Zeit fahndete man fälschlicherweise unter Sinti und Roma nach den Tätern, die sich in der Nähe des Tatorts, wo Kiesewetter ermordet wurde, aufgehalten hatten. In den Akten findet sich unter anderem die rassistische Behauptung von Polizeimitarbeitern, dass die »Zigeuner typischerweise lügen« würden.
Die Polizei fahndete lange fälschlicherweise unter Sinti und Roma, die sich beim Tatort aufgehalten hatten, nach den Tätern.
Der Antrag zur Einsetzung des Untersuchungsausschusses wird von allen im Landtag vertretenen Fraktionen – Grüne, CDU, SPD und FDP – mit Ausnahme der AfD unterstützt. Aber auch die im Südwesten gespaltene Rechtspartei darf einen Vertreter in das Gremium entsenden. Die Wahl ist auf die Zahnärztin Christina Baum gefallen.
Mit dieser Personalie will die AfD offenbar vor allem provozieren. Denn anders als einige ihrer Parteikollegen, die aus Rücksicht auf das bürgerliche Spektrum in der eigenen Wählerschaft zurückhaltender sind, äußert sich Baum offen rechtsradikal und flüchtlingsfeindlich. Die AfD-Politikerin behauptet, dass ein »schleichender Genozid an der deutschen Bevölkerung« zu befürchten sei. Denn »fremde Kulturen« wollten »eines Tages Deutschland beherrschen«. Weil sie solche kruden Verschwörungstheorien verbreitet, hatte der SPDAbgeordnete Wolfgang Drexler der AfD-Frau vor einigen Wochen den Handschlag verweigert. Nun muss er sich wohl bald öfter mit ihr auseinandersetzen. Drexler soll erneut den zwölfköpfigen Untersuchungsausschuss leiten.