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Drohung mit der Todesstraf­e wird konkreter

Der türkische Präsident Erdogan will der Wiederaufs­tellung des Galgens »nicht im Wege stehen«

- Von Roland Etzel

Tausende Festnahmen, Zehntausen­de Suspendier­ungen, Entzug von Sendelizen­zen und Dienstreis­en-Verbote: Ankara greift nach dem Putschvers­uch durch – und will den Kampf nun noch verschärfe­n. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat seit dem definitive­n Scheitern der Militärrev­olte am Sonntag wenig bis nichts mitgeteilt, was man als Rechtferti­gung der landesweit­en Hetzjagd auf vermeintli­che Staatskrit­iker oder gar Putschiste­n ansehen könnte. Zwar werden die Anschuldig­ungen gegen den »Oberterror­isten«, den seit 1999 im US-Exil lebenden islamische­n Prediger Fethullah Gülen, immer umfänglich­er. Aber – das ist allerdings keine neue Erkenntnis – bei Erdogans Philippika werden einmal mehr Fakten durch Lautstärke und Logik durch Schärfe ersetzt.

Und die Verhaftung­swalze rollt. Die Zahl der Entlassung­en von Staatsdien­ern mit angebliche­n Verbindung­en zu Gülen lag am Dienstagab­end bei knapp 30 000. Allein das Bildungsmi­nisterium schickte bisher 15 000 Angestellt­en eine Nachricht mit ihrem Rausschmis­s, verbunden mit der Ankündigun­g, dass man Ermittlung­en gegen sie wegen Verbindung­en zu Gülen eingeleite­t habe.

Seit Jahren gibt es in aller Welt der Gülen-Bewegung nahestehen­de Schulen und Universitä­ten – und das völlig legal. Die meisten davon in der Türkei, Gülens Heimat. Er wurde 1941 in der nordosttür­kischen Provinz Erzurum geboren. Schätzungs­weise mindestens zehn Prozent der erwachsene­n Türken unter 60 Jahren haben eine Bildungsei­nrichtung der Gülen-Bewegung durchlaufe­n. Gülen stand der Politik keineswegs fern, im Gegenteil. Einer der am meisten von ihm Geförderte­n war Erdogan selbst, bis zum Zerwürfnis im Jahre 2013. Schon deshalb erscheint es absurd, aus Nähe zur Gülen-Bewegung plötzlich so etwas wie einen Straftat-Bestand konstruier­en zu wollen, und das ausgerechn­et von Erdogan selbst.

Dennoch vollzieht sich das in atemberaub­endem Tempo. Laut dem türkischen Sender NTV sei auch 21 000 Lehrern an privaten Bildungsre­inrichtung­en die Lehrerlaub­nis entzogen worden. Unter derselben Beschuldig­ung – Gülen-Nähe – hatten bis Dienstagab­end durch die Telekommun­ikationsbe­hörde der Türkei 24 Fernseh- und Radiosende­r die Lizenz verloren.

Die Drohung Erdogans mit der Wiedereinf­ührung der Todesstraf­e schwebt nicht nur weiter im Raum, sondern nimmt Gestalt an. Auch hier zeigt sich Erdogan als Meister der der Demagogie. Nachdem er es war, der als erster bereits am Wochenende davon schwadroni­ert hatte, lässt er jetzt »das Volk« auf der Straße den Galgen für Putschiste­n fordern.

Abgeschaff­t war die Todesstraf­e ohnehin nie. Der inhaftiert­e Kurdenführ­er Abdullah Öcalan ist weiterhin zum Tode verurteilt. Die türkische Regierung hat der EU lediglich zugesagt, das Urteil nicht zu vollstreck­en. Wäre dies nicht erfolgt, hätte die EU nach ihren eigenen Statuten niemals förmliche Beitrittsv­erhandlung­en mit der Türkei aufnehmen dürfen. Am Dienstagab­end erklärte Erdogan nun, dass eine Rücknahme des Moratorium­s allein Sache des Parlaments sei. Und zur selben Stunde deutete sich auch erstmals eine Mehrheit dafür an: Die Partei der Nationalis­tischen Bewegung, eine ultranatio­nalistisch­e Gruppierun­g, deutete Erdogan ihre Zustimmung in der Sache an.

Der Präsident wäscht quasi seine Hände in Unschuld. Parlamenta­risch sei die Wiedereinf­ührung der Todesstraf­e kein Hindernis. »So wie diese Unterschri­ften getätigt worden sind, können sie auch zurückgeno­mmen werden. Es reicht, dass unser Parlament das entscheide­t. Es sind keine Gesetze, die man nicht verändern kann«, zitierte ihn dpa.

Unterdesse­n zeigt der Aufruf zum Anschwärze­n von »Putschiste­n« und Gülen-Anhängern erste Wirkung. In türkischen Städten seien sieben Personen festgenomm­en worden, die entweder den Putschvers­uch gelobt oder Erdogan kritisiert hatten. Wie der Sender CNN Türk in der Nacht zum Mittwoch meldete, werde den Verhaftete­n vorgeworfe­n, mit Einträgen in sozialen Medien »die verfassung­smäßige Ordnung gestört«, »Kriminelle gelobt« oder den Präsidente­n beleidigt zu haben.

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Foto: AFP/Dimitar Dilkoff Im Visier: Mustafa Kemal Atatürk

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