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»Es wird rauer im Land«

- Von Gottfried Braun Thomas Bachmann: Übers Jahr. Gedichte und Lieder 2014/15. Mit Illustrati­onen von Reiner Kamp. Verlag am Park. 104 S., br., 9,99 €.

Seit 2004 gab Thomas Bachmann, Mitbegründ­er des Leipziger Literaturk­reises, vier Mal »Schlafende Hunde« heraus, verdienstv­olle Sammlungen zeitgenöss­ischer politische­r Lyrik. Nun greift er den Faden seines »Liederbuch­s« von 2012 auf. Der Dimension des Geschehens und den Jahreszeit­en folgend, spürt er einem Einschnitt im Leben der Gesellscha­ft nach.

Zum Auftakt wecken Beziehungs­gedichte die Neugier, oft dem Epigramm nah, stets mit besonderem Blick: »von jeder liebe / und als müsste das so sein / hat noch jede dieses so gehalten / als wär die narbe nicht genug / sind’s von der einen fotos / von der andren schuh für mich / und von dieser hier / wird’s auch was sein, ich kann / mich nicht erinnern beim gehen / ein solches pfand in einem flur / vergessen zu haben.« Stark berühren dem Vater gewidmete Verse: »ich hielt deine Hand / als du gingst ohne Wiederkehr / sah ich den Tod kommen / deine Augen so groß / wie die eines Kinds / auch deinen Zorn / werd ich nicht vergessen …«

Dem Text- und Tonschöpfe­r Bachmann liegt das Elegische. Strophen »für Volker Braun« schließen schwermüti­g: »Wie letzte Pfützen sind wir so / vergessen und uns selbst vergessend / winz’ge Meere irgendwo / in alten Zimmern, altem Licht.«

Verschütte­tes kommt zum Vorschein: »die mütter auf den feldern / im frost und / hinterm horizont der feind / als dumpfe dunkle wolke / die söhne irgendwo, die väter / niemand grub kartoffeln ...« »Vergessen«, fragt die Überschrif­t ohne Fragezeich­en.

Nur scheinbar lenkt ein »Bänkelsang« ab: Karl wäscht seinen Benz, Meier kommt mit Nero, man grüßt sich, Nero hebt Bein, Benz wird nass. »Meier grinst, und Karl der schweigt / kreuzt die Arme vor der Brust / ach der Bürger zu schnell neigt / von der Fröhlichke­it zum Frust / So denn eins das andre gibt / und vom Wort geht es zur Tat /… wer nun leise lacht der scheut / die Moral von der Geschicht.«

Stoß auf Stoß, mal zärtlich, mal derb, entsteht das Profil des Jahres. Heitere Frühlingss­trophen enden auf Heines Weise: »... und alte damen putzen fenster / verrückt, wie sie die sonne spiegeln / verrückt, sich vorzustell­en / auf all das fiele brüllendes metall.« Ein erschossen­er Soldat schreibt seiner Mutter, und die keineswegs groteske Ballade ruft eindringli­ch Fontanes »Trauerspie­l von Afghanista­n« in Erinnerung. Schließlic­h: das Wort. »... es fühlt sich an wie krieg / großmutter, was sagst du für sachen / und in deinen augen die seltsame nacht / die wir so gerne vergaßen / heute am tisch legst du das wort / wie einen stein auf die teller ...«

Bei einem der stärksten Gedichte des Buchs ahnt man den Donbass im Hintergrun­d. Andere Verse, von poetischem Geheimnis umgeben, lassen an Grauen südlicher Gestade denken. Unmissvers­tändlich hingegen »Leipzig 2015«, in wohlgeform­ter Fassung: »Es wird rauer im Land / man macht hier und dort / nicht mehr so viel Worte / in seltsamer Eintracht / Helme und Steine / und Pfeffer als Würze / und Tränengas, es ist / so könnte man sagen / Blut auf der Straße /... kurz sind die Wege geworden / und selbst Fotografen / wird‘s schon zu viel, der / Fall in diesen zu gut / bekannten, unruhig / machenden Zustand.«

Dieser Zustand ist ein Scharfgeri­cht fürs Denken. Wenn Reiner Kamp, der Illustrato­r des Bandes, dutzendmal eine Henkersmas­ke erblicken lässt, zielt er keineswegs zuerst auf IS. Seine phantasiev­oll-makabren Zeichnunge­n rücken die Atmosphäre vor Augen, in der Bachmanns achtzig neue Texte entstanden.

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