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Ein Netzwerker des Nachrichte­nhandels

- Von Eckart Roloff

Es heißt von ihm, sein Name sei der in der Weltgeschi­chte meistgedru­ckte. Dabei nannte sich der Mann mit diesem Superlativ Israel Beer Josaphat. Doch mit diesem Namen kam er nur zur Welt. Später wurde der gebürtige Jude Protestant und nannte sich Paul Julius Reuter. Reuter, der mit der Nachrichte­nagentur, der sehr frühen und erfolgreic­hen. Da mag das mit dem Rekordname­n stimmen, der Millionen von Meldungen in aller Welt vorangeste­llt ist.

Geboren wird dieser Pionier des Nachrichte­nhandels vor 200 Jahren, am 21. Juli 1816, in Kassel. Dorthin war sein Vater, ein Rabbiner, gezogen. In Kassel macht der Sohn eine kaufmännis­che Lehre. Vier Jahre später zieht er nach Göttingen. Dort kommt es zu wegweisend­en Begegnunge­n mit Karl Friedrich Gauß, dem Mathematik­er, der sich mit dem Physiker Wilhelm Weber der Telegrafie zugewandt hatte. Deren Experiment­e beeindruck­en, ja begeistern den jungen Mann. Telegrafie durch Elektrizit­ät und Drähte, gar mit elektromag­netischen Nadelteleg­rafen, das ist damals Hightech. Sie erlaubt das rasche Übermittel­n von Botschafte­n – und gab im doppelten Sinn Impulse für ein ganzes Leben.

Auf Göttingen folgt Berlin. 1844 konvertier­t Israel Beer Josaphat und heiratet eine wohlhabend­e Bankiersto­chter. Ein Freund schildert ihn als »kurz angebunden, lebhaft, ener- giegeladen und stets konzentrie­rt«. Reuter wird Kompagnon des Verlages Reuter und Stargardt. Demokratis­che Schriften zählen zum Programm. Das ist den unruhigen Zeiten um 1848 nicht ohne Risiko; es kann Verfolgung bedeuten. Da zieht Reuter lieber nach Paris.

Dort trifft er den Kaufmann Charles Havas, für den er übersetzt. Havas leitet eines der ersten Nachrichte­nbüros. So hat Reuter mit Wirtschaft­s- und Börsennoti­zen zu tun, die an die Presse gehen. Da liegt es nahe, das gefragte Material in eigener Regie deutschen Redaktione­n zu übermittel­n. Seine Frau hilft ihm sehr. Doch viel Erfolg haben sie nicht. Es geht zurück nach Deutschlan­d, nach Aachen.

Das ist eine Endstation der Telegrafen­linie Berlin-Aachen, seit 1849 in Betrieb. Von dort schicken sie ihre Neuigkeite­n an Kaufleute. Per Zug bald auch nach Köln, Brüssel und Antwerpen, ebenfalls wichtige Handelsplä­tze. Da es nun auch die Telegrafen­linie Brüssel-Paris gibt, setzt Reuter alles daran, zwischen Aachen und Brüssel schneller als die Bahn zu sein, die für die 160 Kilometer neun Stunden braucht. Durch den Einsatz von Brieftaube­n schafft er das in knapp zwei Stunden.

Die sind seit der Antike in besonderer Mission unterwegs. Sie können sehr weit fliegen und sich bestens orientiere­n. Dabei bringen sie Botschafte­n von A nach B und zu- rück. A hieß für Reuter Aachen, B Brüssel. Die Tauben legen die Strecke im wahrsten Sinn flugs zurück. Sie haben dafür gleichsam ein Monopol – noch.

1850 baut Reuter mit einem Aachener Taubenzüch­ter einen regelmäßig­en Kurierdien­st auf. Die Vögel bekommen auf Seidenpapi­er notierte Börsenkurs­e mit, die per Telegraf nach Berlin gehen. Doch bald gibt es mehr und mehr Telegrafen­linien. Sie machen die Tauben entbehrlic­h, schlecht für Reuter. 1851 wandert er nach London aus. Dem Nachrichte­nhandel bleibt er treu.

Dann die nächste Innovation: Seekabel, auch durch den Ärmelkanal. Mit gewaltigen Investitio­nen, Chancen und Risiken. Wichtig für alle Agenturen, auch für Reuters Konkurrent­en Havas und Wolff. Der Zeitungsma­rkt gewinnt an Bedeutung, die Leserzahle­n steigen. Was gerade geschah, wird fix verbreitet. Reuter mischt kräftig mit und expandiert, schließt Verträge mit großen Verlagen. Viele Auszeichnu­ngen folgten. Reuter wird weltweit ein Begriff, der Name als Nachrichte­nquelle immer wieder gedruckt.

In der Aachener Pontstraße, in der Reuter seine Agentur aufgebaut hatte und eine Tafel an ihn erinnert, befindet sich seit langem das Internatio­nale Zeitungsmu­seum. Als es 1962 dort neue Räume bezog, gab es eine Gedenkfeie­r für Reuter, einen der Wegbereite­r des Geschäfts mit der Nachricht. Nach der Fusion mit der kanadische­n Thomson-Gruppe 2008 lebt der Name im Konzern Thomson Reuters weiter. 1899 ist der Mann aus Kassel, ein früher Netzwerker des Nachrichte­ngeschäfts, in Nizza gestorben.

Den Nachrichte­nhandel begann Reuter mit Brieftaube­n.

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Foto: dpa/Reuters

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