Zaren wieder auf dem Sockel
Denkmalsstreit in Russland – nicht jeder will die Majestäten zurück
Lenin und Stalin stießen Zarenstandbilder vom Sockel und schmolzen sie ein, Jelzin ließ Skulpturen roter Zaren in einer Art Disneyland entsorgen. Putin hievt die Majestäten zurück auf Plätze und Straßen.
Kaum hatte 1917 in Russland die Oktoberrevolution gesiegt, holten Lenin und später Stalin zum Rundumschlag gegen gekrönte Häupter aus. Zaren und Zarinnen wurden vom Sockel gehievt, die Bronzestatuen eingeschmolzen. Metall war ein kostbares Gut in Zeiten von Bürger- und Interventionskriegen. Verschont blieb einzig ein steinernes Abbild von Reformzar Peter I. im einst von ihm gegründeten St. Petersburg.
Als die Sowjetunion 1991 den Geist aufgab, blies Russlands erster Präsident Boris Jelzin zur Attacke gegen Denkmäler aus der kommunistischen Ära. Stalin-Monumente hatte schon Nikita Chruschtschow im Wortsinn auf die Müllkippe der Geschichte befördert, Lenin, Marx und Co. folgten ihnen nach. Anders Wladimir Putin. Um historische Kontinuität bemüht, verfolgt er mit Wohlwollen, wie die staatsnahe militärhistorische Gesellschaft, deren Vorsitzender der für Rüstung zuständige Vizepremier Dmitri Rogosin ist, den Bildersturm rückgängig macht. Vor einem Menschenalter geschlossene Stalin-Gedenkstätten wie die bei Twer nordwestlich von Moskau öffneten wieder ihre Tore. Bald werden auch die Majestäten erneut huldvoll auf die Nachfahren ihrer Untertanen herabblicken.
Schon zum Nationalfeiertag am 4. November soll in Moskau einen Steinwurf vom Kreml entfernt ein Denkmal für den als Heiligen verehrten Großfürsten Wladimir enthüllt werden. Er ließ sich 988 taufen und gilt, weil er die neue Heilslehre nutzte, um die russischen Lande zu einen, als eigentlicher Staatsgründer. Sein Standbild wird aber vier Meter niedriger sein als geplant. Die UNESCO hatte gedroht, Kreml und Roten Platz von der Liste des Weltkulturerbes zu streichen: Wladimir störe den unverstellten Blick auf die Sehenswürdigkeiten.
Auch die 350 Kilometer südwestlich von Moskau gelegene Großstadt Orjol will im August, zum 450. Jahrestag der Gründung, den Mann in Granit meißeln lassen, dem sie laut Quellenlage ihre Existenz verdankt: Zar Iwan IV. Von ihm gab es nicht mal im Zarenreich ein Denkmal. Der Mann ist umstritten und besser bekannt als Iwan der Schreckliche. Den Ruf erwarb er sich u. a. durch das selbst für damalige Zeiten äußerst brutale Vorgehen bei der Unterwerfung der Tataren-Khanate Astrachan und Kasan.
Kasan ist heute Hauptstadt der russischen Teilrepublik Tatarstan. Auch dort soll ein steinerner Herrscher wieder Hof halten. Genauer gesagt, eine Herrscherin, Katharina II. Die Einwohner können dem nichts abgewinnen. Zumindest die Tataren, ethnische Verwandte der Türken und Russlands größte ethnische Minderheit, wedeln mit Katharinas langem Sündenregister: Deportation der Krimtataren, Völkermord an den Nogaiern, Stammesbrüder der Tataren aus den Steppen am Kaspischen Meer. Weil sie gegen die Unterwerfung ihrer Siedlungsgebiete aufbegehrten, setzten russische Soldaten ihre Dörfer Ende des 18. Jahrhunderts in Brand und deportierten Überlebende in das Kaukasusvorland, wo es zu ständigen Kämpfen mit den Ureinwohnern – den Tscherkessen – um Acker- und Weideland kam. Dazu kommt die brutale Unterdrückung eines landesweiten Bauernaufstandes. Anführer Jemeljan Pugatoschow wurde in Kasan gefangen genommen und in Moskau hingerichtet.
Kasan, so argumentieren Gegner des Denkmals, müsse sein tatarisches Gesicht behalten. Es sei nicht nur Hauptstadt einer russischen Verwaltungseinheit, sondern aller Tataren weltweit. Derzeit knapp 14 Millionen, in mehr als ein Dutzend Länder verstreut. In Russland leben 5,8 Millionen. Statt einem Denkmal für Katharina sollten daher vier überlebensgroße Bronzereiterstandbilder der berühmtesten Tataren-Khane aufgestellt werden. Und wenigstens eine der elf Metrostationen nach einem Tatarenfürsten benannt werden.
Auch der Ex-Berater des Präsidenten und derzeitige Vizepräsident der Tatarischen Akademie der Wissenschaften, Rafael Hakimow, hat Bedenken. Katharina sei bei den Historikern umstritten, ein Denkmal für sie in Kasan würde mehr Schaden als Nutzen bringen. Eine Alternative hat er auch: Lew Gumiljow, ein russischer Forscher, der »ein Leben gegen russische Myrten zu Felde zog, mit denen die Tataren verunglimpft« werden.