»Verdammt, jetzt hat er Flossen«
Deutsche Dichter, die hier und heute dem Endreim eine echte Chance einräumen, werden immer rarer. Freilich, wer setzt sich schon gerne und freiwillig der Gefahr aus, seine poetischen Gebilde auf recht dilettantische Weise verballhornen zu lassen, unlängst geschehen und nachgerade hämisch zelebriert ausgerechnet im durchaus angesehenen »Jahrbuch der Lyrik«.
Henry-Martin Klemt, den in Frankfurt an der Oder beheimateten Lyriker, Liedtexter, Nachdichter und seit jüngstem auch Herausgeber, ficht das nicht an. Seit 1987 hat er neun Bände mit Gedichten veröffentlicht, Texte für CD-Produktionen außerdem, die mehrfach ausgezeichnet wurden – so mit dem Preis des Festivals »Internazionale die Poesia« in Genua, obwohl in ihnen, deutlich erkennbar, der Reim die erste Geige spielt, gerade so wie im neuen Band auch.
Mit der Sammlung »wurzelland. wo« offeriert er dem Leser, begrenzt von den zwei knappen, nur wenige Zeilen umfassenden Bekenntnissen »Unzeit« und »Poetik« weit über hundert lyrische Texte, von denen die »Ungereimten« deutlich in der Minderheit bleiben. Bemerkenswert, dass ausgerechnet unter ihnen, die wohl stärksten Stücke zu finden sind: »Schweriner Tag« zum Beispiel oder die sich anschließende breit angelegte und dennoch beileibe nicht ausufernde »Schweriner Fuge«. In beiden wird unverklärt und ohne Senti- mentalität den Tagen der Kindheit nachgedacht, in denen die Sonne laut brannte, die Wolken wie weiße Tiere am Himmel davon zogen und das (Angler-) Glück anscheinend schon am Haken hing. Es »Nahm Schnur und / Nahm Schnur und / Nahm Schnur …« Oder: »Meine Wurzel habe ich / im Sand, der mir durch die Fingern rann, / als die Zeit ein Spiel war / und ein Spielzeug die Uhr. / Sie ging vor. Sie ging nach, / In der Mitte ging ich.«
In den Friedrich Hölderlin gewidmeten streng rhythmischen Versen (»Untergang«) scheint erstmals hintergründig Elegisches auf: »Doch in meinem billigen Glas / rundet im Gegenlicht / das Wasser die Erde / und die Sorge verbirgt sich im Schwarz / einer Tasse Kaffees, denn mein Durst / wie mein Hunger sind nur Metaphern / in meiner arglos geordneten Zeit / und in den Kanälen das Leben / fließt weiter am Leben vorbei …«
Zugespitzter noch, wenngleich weniger kunstvoll (dafür um so drastischer!) formuliert er im Gedicht »Schmöckwitz«: »Es ist ein Anderes / Ob das Wasser ans Land stößt / Oder das Land an das Wasser / … Ob du nur still bist oder / Kannst schweigen ein Anderes / Und wer hört dir zu wenn du / Singst und es leuchtet / Die Laterne am Mast / … ob du deinen Platz / In der Fresskette suchst oder lichtest / Den Anker ein Anderes ist das / Wie du oder du ...«
Die gereimten und »kehr-gereimten« Lieder kommen insgesamt kunstloser, dafür draufgängerischer daher, gekämpft und gesungen wird mit offenem Visier. Die Bücherhelden von einst gehen dahin, wie »düstre Fahnenträger«, auf die Erinnerungen und Fotografien aus dem Pappkarton ist nunmehr kein Verlass, und, große Frage: Wer weise war mit siebzehn, wird wann klug?
Vermeldet wird: Die Welt verändert sich. Im Schwanenkiez der ABV mischt mit beim Aldi-Überfall und »Gundi« Gundermann, zwar tot, bleibt unverwüstlich: »Ihr meint, ihr habt den Vogel abgeschossen. / Bald könnt ihr euch mit seinen Federn schmücken. / Wie schön er stürzt. Ihr seht es mit Entzücken. / Schlägt auf. Taucht ein. Verdammt, jetzt hat er Flossen …«