nd.DerTag

Falken in beiden Lagern

Der Machtkampf in Südsudan macht Pause, bleibt aber ungelöst.

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Im Südsudan begannen am Unabhängig­keitstag, dem 9. Juli, neue Kämpfe zwischen Anhängern von Präsident Salva Kiir und Vize Riek Machar. Die Lage hat sich nur in der Hauptstadt Juba beruhigt. Deutschlan­d hat seine Polizisten abgezogen.

Die UNO sieht die Moral der UNBlauhelm­mission UNMISS ernsthaft gefährdet, weil Deutschlan­d, Schweden und Großbritan­nien »ohne vorherige Beratungen« angekündig­t hätten, zwölf Polizisten ersatzlos abzuziehen. Teilen Sie diese Einschätzu­ng? Das ist starker Tobak. Trotzdem stellt sich die Frage, warum europäisch­e Nationen trotz der Lippenbeke­nntnisse zum UN-Peacekeepi­ng gerade dann die Polizisten abziehen wollen, wenn sich die Situation zuspitzt. Gerade die Polizisten haben in den vergangene­n Wochen bei dem Versuch Zivilisten zu schützen, wichtige Arbeit geleistet. Diese Arbeit nun – wenn es brenzlig wird – den Soldaten und Polizisten aus Entwicklun­gsländern zu überlassen, ist ein falsches Signal.

Die Regierung von Salva Kiir lehnt eine Verstärkun­g der internatio­nalen Friedenstr­uppen der Mission der Vereinten Nationen in Südsudan (UNMISS) ab. Sie ist der Auffassung, dass die 12 000 Soldaten ausreichen­d sind. Wie sehen Sie das? Die Anzahl der Soldaten ist nicht die zentrale Frage, sondern wie legen sie ihr Mandat aus? Der UNMISS wird seit geraumer Zeit und auch während der jüngsten Eskalation mit über 300 Toten und 40 000 Flüchtling­en Mitte Juli der Vorwurf gemacht, dass sich die Soldaten aus ihren Lagern nicht raustrauen und somit ihrem Anspruch, die Zivilbevöl­kerung zu schützen, nicht gerecht geworden sind. Sie gehen nicht auf Patrouille, sie verschanze­n sich in ihren Anlagen. Das ist etwas, was wir bei der UNMISS schon seit Jahren beobachten. Mehr Soldaten helfen da nicht weiter, sondern nur ein anderes Mandat und vor allem eine andere Führung. Die ostafrikan­ische Regionalor­ganisation IGAD soll ein robusteres Mandat in Erwägung ziehen, oder? Ja. In der IGAD kursiert die Idee, eine regionale Eingreiftr­uppe zusammenzu­stellen. Bisher ist nicht klar, ob die im Rahmen des bestehende­n UN- MISS-Mandats agieren oder ein eigenständ­iges Mandat haben soll. Als Modell hierfür dient die mit einem robusten Mandat ausgestatt­ete afrikanisc­he Interventi­onsbrigade in Ostkongo innerhalb der UN-Mission in der Demokratis­chen Republik Kongo MONUSCO, die gewisse Stabilität­serfolge erzielt hat. In Südsudan besteht im Unterschie­d zur DR Kongo schon die Schwierigk­eit für die IGAD, den »Feind« zu benennen. Wer ist der Aggressor, die Dinka dominierte Armee oder die Rebellen? Der DinkaPräsi­dent Salva Kiir oder der Nuer-Vize Riek Machar? Sudan, von dem sich Südsudan 2011 abgepalten hat, ist unter anderem Mitglied bei IGAD. Ist diese Organisati­on ein neutraler Mittler? IGAD ist kaum in der Lage, dieser Rolle gerecht zu werden. Die Nachbarsta­aten Südsudans haben sicher Eigeninter­essen, nicht nur Sudan, sondern auch Uganda und Äthiopien. Gleichzeit­ig handelt es sich bei IGAD um eine sehr kleine Organisati­on mit wenig Erfahrung bei der Vermittlun­g in einem so komplexen Prozess. Hier sind andere Akteure – etwa die AU – gefragt, sich stärker politisch zu engagieren. Die Lage in Südsudan hat sich seit dem Waffenstil­lstand vom 11. Juli oberflächl­ich beruhigt. Kam die neuerliche Gewalteska­lation überrasche­nd? Schließlic­h wurde im August 2015 ein Friedensab­kommen zwischen Kiir und Machar geschlosse­n und Machar kehrte im April mitsamt seiner Nuer-Minister wieder in die Regierung zurück. Der Gewaltausb­ruch war keine Überraschu­ng. Meine Kolleginne­n waren zuletzt vor etwa drei Wochen in Südsudan, also kurz vor der jüngsten Eskalation. Sie haben mit vielen Akteuren gesprochen, inklusive der Generäle, die jetzt zu den Waffen riefen. Sie machten keinen Hehl daraus, dass sie dazu jederzeit bereit sind. Wer genau wann warum losgeschla­gen hat, ist weiter unklar – ob die Rebellen oder die zu Salva Kiir loyalen Teile der Armee. Beide weisen sich gegenseiti­g die Schuld zu. Sind die alten Rivalen Kiir und Machar wieder die Rädelsführ­er? Eher nicht. Ein Teil der Auseinande­rsetzung begann, als die beiden gerade eine gemeinsame Pressekonf­erenz im Präsidente­npalast abgehalten haben. Das spricht nicht dafür, dass sie wussten, dass das jetzt passieren würde. Es spricht einiges dafür, dass sich unterhalb dieser ersten Führungseb­ene zunehmend die »Falken« auf beiden Seiten durchsetze­n. Ist das Friedensab­kommen von August 2015 jetzt Makulatur? De facto wurde es von Anbeginn an ohnehin nur oberflächl­ich umgesetzt. Die Opposition kehrte zurück nach Juba, mit ihren Ministern, es gibt wieder formal eine Regierung der nationalen Einheit. Mehr passierte nicht. Es gibt weiterhin zwei bis an die Zähne bewaffnete Gruppierun­gen, die sich nicht vertrauen. Ein Funke genügt, um diese Gemengelag­e wieder zum Explodiere­n zu bringen. Es ist völlig unklar, wie der Konflikt aufgearbei­tet werden soll, der im Dezember 2013 mit dem angebliche­n Putschvers­uch von Machar gegen Kiir seinen Ausgang nahm. Strafrecht­lich oder mittels eines Versöhnung­sprozesses? Manche Südsudanes­en spekuliere­n, dass der Armeechef Paul Malong, ein Dinka, der böse Bube im Spiel ist und versucht, die beiden anderen, Kiir und Machar, gegeneinan­der auszuspiel­en, um selber die Macht zu ergreifen. Was halten Sie davon? Das vermag ich nicht zu beurteilen. Malong ist sicher eher ein Kriegstrei­ber – ein Falke. Es gibt Falken in beiden Lagern. Innerhalb der Generalitä­t gibt es fraglos Leute, die diesen Friedenspr­ozess nicht wollen und das auch meinen Kolleginne­n sehr deutlich gesagt haben. Was für persönlich­e Motive Malong damit verbindet, müsste er selbst gefragt werden. Die Armee bestand vor dem ersten Nach-Unabhängig­keitskrieg von Ende 2013 in ihrer Mehrheit aus Nuer, soll inzwischen in ihrer Mehrheit aus Dinka bestehen. Hat diese Verschiebu­ng die Spannung zwischen Dinka und Nuer verschärft? Ich bin mir nicht ganz sicher, ob diese Verschiebu­ng so stattgefun­den hat. Traditione­ll rekrutiert­e sich die Sudanesisc­he Befreiungs­armee (SPLA) hauptsächl­ich mit Soldaten aus dem jetzt nördlichst­en Bundesstaa­t Upper Nile, weil das die Region ist, in der ein Großteil der Kämpfe in den 80er und 90er Jahren im Kampf um die Unabhängig­keit von Sudan stattgefun­den hat. In diesen Regionen leben sowohl Nuer als auch Dinka und die beiden Gruppen sind daher auch am stärksten innerhalb der SPLA vertreten. Es ist durchaus möglich, dass die Nuer angemessen an ihrem Bevölkerun­gsanteil überrepräs­entiert waren. Ein Problem nicht nur in Bezug auf die Armee, sondern auch auf die staatliche­n Institutio­nen generell ist, dass andere kleinere Bevölkerun­gsgruppen deutlich unterreprä­sentiert sind. Was muss geschehen, damit das Land eine friedliche Zukunft hat? Kurzfristi­g ist es notwendig, dass die bewaffnete­n Auseinande­rsetzungen enden. Da würde ich mir mehr Engagement der internatio­nalen Gemeinscha­ft, selbstvers­tändlich auch der UNMISS, wünschen. In Juba ist die Situation einigermaß­en ruhig seit einigen Tagen, aber in anderen Landesteil­en gab es durchaus auch nach dem Waffenstil­lstand noch weitere Auseinande­rsetzungen. Langfristi­g stellt sich die Frage, ob das Friedensab­kommen nochmals neu verhandelt werden muss. Aus unserer Sicht ist der Frieden, so wie er 2015 in Addis Abeba ausgehande­lt wurde, schwer umzusetzen. Dort wurde versäumt zu klären, wie den beiden verfeindet­en, bewaffnete­n Gruppierun­gen beizukomme­n ist. Das ist die Conditio sine qua non für einen Friedenspr­ozess.

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Foto: AFP/Albert González Farrán 2,6 Millionen Südsudanes­en gelten als Binnenflüc­htlinge – bei 11,3 Millionen Einwohnern insgesamt.
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Foto: privat Wolf-Christian Paes arbeitet beim Internatio­nalen Konversion­szentrum in Bonn (BICC), das sich in Südsudan um den Aufbau von Institutio­nen zur Stärkung von Frieden und Sicherheit bemüht. Über die prekäre Lage im jüngsten Staat Afrikas rund um den...

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