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Der raue Wind der kapitalist­ischen Realität

François Hollande beruft sich auf das Erbe von Léon Blum und François Mitterrand. Doch Frankreich­s Linksregie­rungen haben stets die Hoffnungen enttäuscht

- Von Ralf Klingsieck, Paris

Der Blick zurück zeigt: Linksregie­rungen in Frankreich mussten sehr schnell vor den ökonomisch­en Rahmenbedi­ngungen klein beigeben.

Im Sommer vor 80 Jahren kam in Frankreich mit der »Front populaire« (Volksfront) als Regierungs­koalition und dem Sozialiste­n Léon Blum als Premiermin­ister erstmals eine Linksregie­rung an die Macht. Auf dieses Erbe und das von François Mitterrand beruft sich der gegenwärti­ge sozialisti­sche Präsident François Hollande gern. Doch gemeinsam ist ihnen vor allem, dass sie die in sie gesetzten Erwartunge­n ihrer Anhänger schon nach mehr oder weniger kurzer Zeit enttäuscht­en: Unter dem rauen Wind der kapitalist­ischen Realitäten rissen sie das Ruder einer anfänglich linken Politik herum.

Die stärkste Erinnerung der Franzosen an die Volksfront von 1936 ist, dass seinerzeit viele tausend Arbeiter und ihre Familien dank dem Gesetz über zwei Wochen bezahlten Jahresurla­ub und dank ermäßigter Bahnticket­s erstmals in ihrem Leben Ferien am Meer oder in den Bergen verbringen konnten. Die Volksfront führte darüber hinaus anstelle der 48die 40-Stunden-Arbeitswoc­he ein. Und sie brachte die Einführung von Branchenta­rifabkomme­n sowie Lohnerhöhu­ngen von durchschni­ttlich zwölf Prozent.

Ausgelöst wurde die Bewegung zur Bildung einer linken Volksfront durch die Abwehrreak­tionen der proletaris­chen Massen auf den faschistis­chen Staatsstre­ichversuch vom Februar 1934. Zu einem Zeitpunkt, als die Führung der Französisc­hen Kommunisti­schen Partei (FKP) gemäß der »Sozialfasc­hismus«-Theorie Stalins und der Kommunisti­schen Internatio­nale noch Sozialiste­n, bürgerlich­e Demokraten und Faschisten in einen Topf warf, demonstrie­rten ihre Anhänger bereits auf der Straße. Ihre Forderung: die Einheit aller Linken. Als die Komintern ihren Kurs korrigiert­e, wurde auch in Frankreich der Weg frei für eine Einheitsfr­ont der antifaschi­stischen Kräfte. Getragen wurde die Front populaire durch die sozialisti­sche Partei SFIO, die linksliber­alen Radikalsoz­ialisten und die Kommunisti­sche Partei – auch wenn letztere keine Minister stellte. Regierungs­chef wurde der SFIO-Sozialist Léon Blum, dessen Denken noch stark von Marx geprägt war und der die Trennung von Sozialiste­n und Kom- munisten auf dem Parteitag von Tours 1920 sehr bedauert hatte.

Blums Regierung hatte noch gar nicht die Amtsgeschä­fte übernommen, da wurde sie schon durch spontan ausgebroch­ene und sich landesweit ausbreiten­de Streiks unter Druck gesetzt. Neu daran war das Mittel der Besetzung von Betrieben und dass viele Bevölkerun­gsgruppen, die wie die Arbeiter durch die Weltwirtsc­haftskrise in Existenzno­t geraten waren, aktive Solidaritä­t mit den Streikende­n übten. Die im Gegenzug zur Wiederaufn­ahme der Arbeit abgeschlos­senen Abkommen der neuen Regierung mit den Gewerkscha­ften brachten dann eine Welle sozialer Verbesseru­ngen. Dabei stimmten dem Gesetz über bezahlten Urlaub unter dem Eindruck der Massenstre­iks und vor allem der Betriebsbe­setzungen sogar viele rechte Abgeordnet­e zu, die dieses Anliegen früher als »Recht auf Faulheit und Müßiggang« vehement bekämpft hatten. Die Volksfront­regierung wird von einer regelrecht­en Reformeuph­orie erfasst. In 73 Tagen werden 133 Gesetze verabschie­det. Die Palette ist dabei sehr breit. So erhalten die Bauern Abnahme- und Preisgaran­tien für Getreide, die Staatsbank wird den Interessen der nationalen Wirtschaft­spolitik untergeord­net, die Rüstungsin­dustrie verstaatli­cht und rechtsextr­eme Organisati­onen werden aufgelöst.

Dabei ist Blums Wirtschaft­s- und Sozialpoli­tik mitnichten revolution­är, sondern eher eine Mischung aus Marx und Keynes. Trotzdem reagiert das Großbürger­tum mit einer Massenfluc­ht von Vermögensw­erten in die Schweiz. Durch gezielte Spekulatio­nen wird der Franc destabilis­iert – und mit ihm die Regierung. Eine durch Großbritan­nien und die USA erzwungene Abwertung des französisc­hen Franc und eine Inflations­rate von 70 Prozent in einem Jahr macht in kurzer Zeit alles zunichte, was die arbeitende­n Franzosen 1936 als Lohnerhöhu­ngen bekommen hatten.

Im Februar 1937 kündigt Léon Blum in einer Rundfunkan­sprache eine »Pause der Reformen« an. In Wirklichke­it ist es der Anfang vom Ende. Ende Juni tritt Blum als Regierungs­chef zurück. Da aber keine Neuwahlen stattfinde­n, bleibt die Regierung formal bestehen – von nun an mit dem linksbürge­rlichen Radikalsoz­ialisten Edouard Daladier an der Spitze. Der kehrt zur 48-Stunden-Woche zurück und lässt Proteststr­eiks brutal niederschl­agen. Weitere unrühmlich­e Kapitel verbinden sich mit dem Namen Daladier: Er knickte vor Hitler in München ein, und er verbot die FKP. Letzteres wurde mit deren Bekenntnis zum deutsch-sowjetisch­en Nichtangri­ffsvertrag begründet.

Erst 40 Jahre später sollte es wieder eine Chance für eine Linksregie­rung in Frankreich geben. Mit dem Sozialiste­n François Mitterrand wurde im Mai 1981 erstmals ein Linker Präsident. Dieses Amt ist seit der Verfassung von 1958, die sich General de Gaulle auf den Leib zugeschnit­ten hatte, die politische Schlüsselp­osition im Land. Um für seine Politik und die entspreche­nden Gesetze die nötige Parlaments­mehrheit zu bekommen, löste Mitterrand das Parlament auf und beraumte Neuwahlen an. Diese sicherte ihm die erwartete linke Mehrheit. In die neue Regierung berief er vier kommunisti­sche Minister – allerdings in zweitrangi­ge Ressorts und nicht ohne den NATO- und EU-Verbündete­n zu versichern, dass die FKP keinen Einfluss auf die Außen- und Verteidigu­ngspolitik des Landes bekommt.

In den ersten zwei Jahren der neuen Regierung wurden 90 der 110 Vorhaben umgesetzt, zu denen sich die Parti socialiste (PS) im Wahlkampf verpflicht­et hatte. Nachdem schon bei Kriegsende der Kohlebergb­au, die Energiekon­zerne, die Fluggesell­schaften, vier Großbanken, die wichtigste­n Versicheru­ngsgesells­chaften und der Renault-Autokonzer­n verstaatli­che worden waren, nationalis­ierte die Linksregie­rung daran anknüpfend fünf Industriek­onzerne und die gesamte Stahlindus­trie, 36 Banken und zwei Finanzgese­llschaften sowie die Rüstungsko­nzerne Dassault und Matras. Der Mindestloh­n wurde um fast 17 Prozent angehoben, die Löhne im öffentlich­en Dienst, Renten und Familienbe­ihilfen erhöht und durch eine Steuerrefo­rm versuchte man, soziale Ungerechti­gkeiten abzubauen und die Kaufkraft zu stärken. Ferner wurden neue Arbeitsplä­tze im öffentlich­en Dienst geschaffen, die Wochenarbe­itszeit auf 39 Stunden verkürzt und der bezahlte Urlaub um eine Woche auf fünf Wochen verlängert. Außerdem schuf die Regierung unter Mitterrand gegen den Widerstand der Rechten und der Mehrheit der Franzosen die Todesstraf­e ab.

Doch woran es mangelte war eine entschloss­ene Wirtschaft­s-, Industrie- und Außenhande­lspolitik. Die um zehn Prozent gestiegene Kaufkraft der Haushalte führte zu einer Nachfrage, die von der nationalen Industrie nicht befriedigt werden konnte. Die Folge waren massive Importe, die die Außenhande­lsbilanz belasteten und die Staatsvers­chuldung in die Höhe schnellen ließen. Das Drängen der Regierung bei den EU-Partnern auf eine gemeinsame Konjunktur­politik fand kein Echo, zumal die von den steigenden Lieferunge­n nach Frankreich kräftig profitiert­en. Nach zwei Abwertunge­n des Franc 1981 und 1982 konnte die nationale Währung, die immer stärker unter Druck der internatio­nalen Finanzmärk­te geriet, nur im Europäisch­en Währungssy­stem (EWS) gehalten werden, indem die Regierung ihre an Keynes orientiert­e Ausgabenpo­litik aufgab.

Im März 1983 wurde ein drastische­r Sparkurs eingeleite­t, der in eine Austerität­spolitik mündete. Dem Schwenk in der Finanzpoli­tik im Frühjahr 1984 folgte noch eine drastische Wende in der Industriep­olitik: Auf eine Lenkung der staatseige­nen Unternehme­n wurde verzichtet und ihnen ein allein am Markt orientiert­er Kurs nahegelegt. Das hatte nicht zuletzt massive Entlassung­en zur Folge. Die Konsequenz: Die kommunisti­schen Minister traten aus der Regierung aus und auch die der FKP nahestehen­de Gewerkscha­ft CGT ging auf Konfrontat­ion zur Politik der Regierung. Allerdings konnten auch massive Streiks die Umstruktur­ierungen nicht abwenden. Den Rest ihrer Amtszeit manövriert­e die Regierung nur noch pragmatisc­h auf Sicht.

Bei den nächsten Wahlen 1988 wurde die Linke erwartungs­gemäß geschlagen und die Rechte kehrte ans Ruder zurück. Sie regierte bis 1997, als Jacques Chirac, der 1995 auf François Mitterrand als Präsident gefolgt war, unvorsicht­igerweise das Parlament auflöste und Neuwahlen anberaumte. Dadurch erhoffte er sich eine bessere Mehrheit im Parlament, doch stattdesse­n gewann überrasche­nd die Linke und der Sozialist Lionel Jospin wurde Premiermin­ister. Diese Linksregie­rung, die bis 2002 im Amt war und keine großen pro- grammatisc­hen Ambitionen hatte, hinterließ als einzige nennenswer­te Errungensc­haft die 35-Stunden-Arbeitswoc­he.

Zwar ging in ihrer Amtszeit dank einer vorteilhaf­ten Konjunktur die Zahl der Arbeitslos­en um 900 000 zurück, aber ihre Steuerrefo­rmen kamen fast ausschließ­lich den mittleren Einkommeng­ruppen zugute und nicht den ärmeren Franzosen. Ansonsten zeichnete sich die Regierung Jospin dadurch aus, dass sie mehr staatseige­ne Unternehme­n reprivatis­iert hat, als alle rechten Regierunge­n seit 1988 zusammenge­nommen. Bei der Präsidents­chaftswahl 2002 schnitt der PS-Kandidat Jospin so schlecht ab, dass er hinter dem Parteivors­itzenden der Front National (FN), Jean-Marie Le Pen, landete. Er kam so nicht einmal in die Stichwahl mit Chirac. So mussten die linken Wähler für den rechten Präsidents­chaftskand­idaten stimmen, um dem FN-Kandidaten den Weg ins Elysee zu verstellen – eine Konstellat­ion, wie sie sich bei der nächsten Präsidents­chaftswahl 2017 mit Le Pens Tochter wiederhole­n könnte.

François Hollande trat 2012 mit flammenden linken Verspreche­n an und erklärte im Präsidents­chaftswahl­kampf, die Banken und Finanzmärk­te seien seine Hauptgegne­r und seine Hauptanlie­gen die Senkung der Arbeitslos­igkeit und eine sichere Zukunft für die jungen Franzosen. Auf all diesen Gebieten enttäuscht­e er schwer. Im Bestreben, der Wirtschaft mehr Flexibilit­ät und bessere Wettbewerb­sbedingung­en zu verschaffe­n, um das Wirtschaft­swachstum zu beleben und so neue Arbeitsplä­tze zu schaffen, hat er den Unternehme­rn insgesamt 40 Milliarden Euro an Beihilfen, Steuergesc­henken und Abstrichen bei Sozialabga­ben zugeschanz­t. Ohne sie im Gegenzug in die Pflicht zu nehmen. Im Gegenteil: Der Unternehme­rverband konnte die Regierung durch immer neue Forderunge­n vor sich hertreiben. Der Gipfel ist jedoch die Arbeitsrec­htsreform. Auf diese reagierten die Gewerkscha­ften mit massiven Kampfaktio­nen und bei vielen ehemaligen Linkswähle­rn dürften sie auch noch die letzten Sympathien für Präsident Hollande und die Regierung Valls zerstört haben. Ihr Scheitern 2017 ist damit schon programmie­rt. Und wann dann jemals wieder die Linke in Frankreich die Chance für eine Rückkehr an die Macht bekommt, steht in den Sternen.

Blums Wirtschaft­sund Sozialpoli­tik ist mitnichten revolution­är, sondern eher eine Mischung aus Marx und Keynes.

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Foto: Reuters/Stephane Mahe Zurück damit! Im September wird für die Rücknahme der Arbeitsrec­htsreform demonstrie­rt.

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