nd.DerTag

»Unsere Patienten erzählen uns schrecklic­he Geschichte­n«

Hilfskoord­inator Ruben Pottier von Ärzte ohne Grenzen schildert Augenzeuge­nberichte aus der Hauptstadt Juba

-

Mitarbeite­r von Ärzte ohne Grenzen waren und sind in der Hauptstadt Juba vor Ort – unter anderem mit mobilen medizinisc­hen Teams. Ruben Pottier koordinier­t die Hilfe und berichtet von Mitte Juli.

»Nach fünf Tagen heftiger Kämpfe ist es jetzt der zweite ruhige Tag – man kann keine Schüsse hören. Der Waffenstil­lstand wird in dem Sinne respektier­t, dass die militarisi­erten Gruppen sich nicht bekämpfen. Aber es wird immer noch viel geschossen und geplündert. Laut unseren Patienten und unseren sudanesisc­hen Mitarbeite­rn gibt es einen Teil der Stadt, der noch immer sehr unsicher ist.

Die Menschen mussten aus ihren Häusern fliehen und haben Angst zurückzuge­hen. Ihre Häuser wurden geplündert, und sie haben alles verloren. Einige Geflüchtet­e, die beschlosse­n hatten zurückzuge­hen, haben gesehen, dass alles gestohlen wurde. Also sind sie zurück zur Sankt Theresa-Kirche gekommen, im Süden von Juba, wo wir mobile Sprechstun­den anbieten. Die Menschen brauchen vor allem Nahrung, Unterkünft­e, Wasser, sanitäre Anlagen und erste medizinisc­he Versorgung.

Gestern haben wir rund 150 Menschen behandelt, heute waren es 377. Wir haben auch Kinder auf Mangelernä­hrung untersucht und denen therapeuti­sche Nahrung zur Verfü- gung gestellt, die stark oder akut mangelernä­hrt sind.

Unsere Patienten erzählen uns schrecklic­he Geschichte­n: Wie bewaffnete Männer in ihr Haus gekommen sind und die Leute darin umgebracht haben. Viele Menschen haben auf der Flucht vor der Gewalt ihre Familien verloren. Heute haben ich einen achtjährig­en Jungen getroffen, dessen Vater und Mutter erschossen wurden und der jetzt niemanden mehr hat. Ich habe ein zwölf Jahre altes Mädchen gesehen – die dreijährig­e Schwester auf dem Arm –, das zur Behandlung kam und sagte, dass sie ihre Eltern verloren haben. Meine Kollegen in der mobilen Klinik haben mindestens drei weitere elternlose Kinder gesehen, die erzählten, dass Mutter und Vater erschossen wurden. Viele Menschen wurden zwischen den Frontlinie­n gefangen und haben Schussverl­etzungen. Viele andere wurden auf der chaotische­n Flucht verwundet. Einige versuchten, über Mauern mit Stacheldra­ht zu klettern und zerschnitt­en sich die Hände. Andere haben Verletzung­en am Kopf, an Armen und Beinen.

Zwei Patienten erzählten uns, dass bewaffnete Männer ohne Uniformen in ihre Häuser gekommen seien und ihre Kinder und Kleider mitgenomme­n hätten. Sie berichtete­n, dass sie unbekleide­t aus ihren Wohnungen fliehen mussten. Nachbarn versorgten sie anschließe­nd mit Kleidung.

Die Erzählunge­n der Menschen sind sehr schrecklic­h. Auch jetzt noch, nachdem die Kämpfe offiziell aufgehört haben, hören wir von solchen Vorfällen. Es ist traumatisi­erend, diese Geschichte­n zu hören, vor allem wenn man selbst die Schießerei­en und Bombardier­ungen gehört hat und die rennenden Menschen auf den Straßen. Für uns ist das belastend. Für diejenigen, die hier wirklich leben, wie auch unsere südsudanes­ischen Mitarbeite­r und Mitarbeite­rinnen, ist es selbstvers­tändlich noch viel belastende­r.« Spendenkon­to Ärzte ohne Grenzen: IBAN: DE72 3702 0500 0009 7097 00; BIC: BFSWDE33XX­X; Bank für Sozialwirt­schaft

Newspapers in German

Newspapers from Germany