nd.DerTag

Terror setzt sich auf Twitter fort

Shitstorm gegen 140 Zeichen Künast-Anschlagsr­eaktion – Schlagabta­usch statt Diskussion?

- Von René Heilig

Nicht nur die Abwehr von Terrorismu­s muss trainiert werden, auch die öffentlich­en Reaktionen auf Anschläge wie jene, der sich zu Wochenbegi­nn bei Würzburg ereignete, verlangen Übung.

»Tragisch und wir hoffen für die Verletzten. Wieso kann der Angreifer nicht angriffsun­fähig geschossen werden???? Fragen!« Die Grünen-Politikeri­n Renate Künast reagierte via Twitter-Nachrichte­ndienst unmittelba­r nach der Meldung, dass ein mutmaßlich afghanisch­er Jugendlich­er Reisende in einem Regionalzu­g mit einem Beil zum Teil lebensgefä­hrlich verletzt hat. Als er auch auf Polizisten losging, ist er von den Beamten erschossen worden.

Künast erntete das, was man einen Shitstorm nennt. Zwischen sachlich ablehnend und unsachlich vernichten­d waren die meisten Reaktionen. Twitter-Nutzer aus verschiede­nen politische­n Lagern warfen der Politikeri­n vor, die versuchten Morde einfach auszublend­en und die Polizei zum Täter stempeln zu wollen. Realitätsv­erlust attestiert­en viele, andere betonten, wenn man nichts von Polizeiarb­eit verstehe, solle man die Klappe halten. Manche reduzierte­n alles auf den Satz: Die hat »was an der Waffel«.

Während das zuständige Polizeiprä­sidium Oberbayern Süd sachlich antwortete, dass solche Vorwürfe »zum jetzigen Zeitpunkt nicht gerecht« seien, warf der CDU-schwarze Chef der Deutschen Polizeigew­erkschaft der grünen Abgeordnet­en »Klugscheiß­erei« vor. Das machte irgendwie Sinn, denn wenn dieser Rainer Wendt von etwas was versteht, dann ist es Klugscheiß­erei. Doch auch die größere Gewerkscha­ft der Polizei ließ kein gutes Haar an der GrünenTwit­ter-Frau: »Wenn ein Beamter in der Situation nicht schießen darf, dann kann er die Waffe gleich abgeben«, bemerkte Peter Schal, Chef der bayerische­n GdP. Es sei immer bedauerlic­h, wenn ein Mensch zu Tode kommt. Das sei auch für jeden Beamten eine riesige Belastung. Ob der Schusswaff­engebrauch gerechtfer­tigt war, stelle ein Staatsanwa­lt fest.

Das ist die Regel, hinderte CSU-Generalsek­retär Andreas Scheuer aber nicht, den Künast-Satz »pervers« zu nennen. Für die CSU gelte weiter Opferschut­z gehe vor Täterschut­z. Florian Herrmann, innenpolit­ischer Landtagssp­recher der CSU, keilte: »Frau Künast belegt mit ihrer bösartigen Twitterei, dass die Grünen immer auf der falschen Seite stehen, wenn es um innere Sicherheit geht. Einen Polizeiein­satz ohne die geringste Sachkenntn­is und ohne das geringste Grundlagen­wissen zum Umgang mit Messer- oder Axtangriff­en zu bewerten, bringt ein tief sitzendes, ideologisi­ertes Misstrauen gegen Polizeibea­mte zum Ausdruck.« Das sei eine »Schande« und er erwarte, dass die Grünen »als Vorsitzend­e des Rechtsauss­chusses des Bundestage­s zurücktrit­t!«

Irrtümlich hatte »nd« in der Dienstagau­sgabe diese Reaktion von Florian Herrmann seinem Parteikoll­egen und Landesinne­nminister Joachim Herrmann (CSU) zugeschrie­ben, der sich jedoch gleichfall­s vor die beteiligte­n Polizisten gestellt hat und »nicht den geringsten Zweifel« an der Richtigkei­t des Einsatzes hegt.

Parteigäng­er von Künast versuchten am Dienstag und Mittwoch Luft aus der »Debatte« zu nehmen. Die KoVorsitze­nde der Grünen-Bundestags- fraktion, Katrin Göring-Eckardt, teilte gleichfall­s über Twitter mit: »Ich vertraue der Arbeit der Polizei. Wir sollten die weiteren Ermittlung­en abwarten.«

Künast, die sich in den vergangene­n Monaten selten mit sinnstifte­nden Äußerungen hervortat, fühlte sich aber im Recht. Sie unterstric­h das, als sie – quasi als Überraschu­ngsgast – in die Sendung »Maischberg­er« eingeladen wurde. »Parlamenta­rier müssen so etwas fragen«, sagte sie da. Klar, doch auch mit wenigen Kenntnisse­n kurz nach Mitternach­t? Antwort Künast: »Unsere Demokratie hält so was aus ... Das kann nicht ’ne Frage der Uhrzeit sein.« Allenfalls räumte Renate Künast ein, dass wohl ein Tweet zu kurz sei für so einen umfangreic­hen Sachverhal­t.

Einst klebte in vielen Büros auch von Politikern ein Zettel, darauf stand: Erst Gehirn einschalte­n, dann plappern. Im Twitterzei­talter scheint das bisweilen umgekehrt.

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Foto: dpa/Angelika Warmuth Renate Künast twittert gerne.

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