Heißer Zank um eiskalte Semmeln
Ex-Betriebsratchef zeigt Backwarenhersteller Aryzta wegen Vedacht auf Subventionsbetrug an
Der Nahrungsmittelkonzern Aryzta schließt ein Werk in der Altmark – und baut eines im Mansfeld mit Fördermitteln des Landes Sachsen-Anhalt aus. Ob das rechtens ist, muss jetzt ein Gericht klären.
Das Ultimatum ist abgelaufen – ohne Ergebnis. Eine Frist bis Donnerstag hatte Andreas Höppner zwei Chefs des Backwarenherstellers Aryzta eingeräumt, um harte Anschuldigungen aus der Welt zu schaffen: Der Abgeordnete der LINKEN im sachsen-anhaltischen Landtag wirft dem Unternehmen Missbrauch von oder Betrug mit Fördermitteln vor. Auf einen Brief der Chefetage aber wartete er vergebens. Nun erstattet er Anzeige bei der Staatsanwaltschaft wegen Subventionsbetrugs: »Der Schriftsatz geht am Freitag raus«, sagte er dem »nd«.
Der Konflikt zwischen Aryzta und dem Politiker dreht sich um zwei Betriebe, die gefrostete Baguettes und Brötchen herstellen: Fricopan in der Altmark und Klemme in Eisleben. Sie gehören beide zum nach eigenen Angaben »führenden Anbieter von Tiefkühlbackwaren in Europa«. Fricopan wurde 1996 eingeweiht; im September würde das Zwanzigjährige gefeiert. Dazu wird es nicht kommen: Der Konzern will das Werk Ende August schließen. Im Ringen um einen Sozialplan für die knapp 500 Beschäftigten, deren Betriebsratschef Höppner bis zu seinem Einzug ins Parlament war, fand am Donnerstag die wohl letzte Runde statt. Ergebnisse sickerten zunächst nicht durch.
Doch auch wenn in Immekath die Öfen ausgehen, bleibt Aryzta in Sachsen-Anhalt aktiv: im Werk Eisleben, dass der im Jahr 2013 vom Konzern übernommene Backwarenhersteller Klemme errichtet hat und das derzeit modernisiert und ausgebaut wird. Finanzielle Unterstützung dafür gibt es vom Land – und genau hier beginnt die Sache nach Ansicht Höppners zu stinken. Denn für ihn deutet alles darauf hin, dass die Fördergelder an einem Standort eingesetzt werden, um einen anderen Betrieb im Land überflüssig zu machen – einen, in dessen Auf- und Ausbau das Land ebenfalls Millionen gepumpt hat. Im Fall von Klemme soll es sich um fünf Millionen Euro handeln; Fricopan förderte das Land seit 1996 mit 13 Millionen Euro. Die Bindefrist, innerhalb derer das Land im Gegenzug für die Zahlung bestimmte Bedingungen erfüllt sehen will, endete für die 2010 gezahlte, vorerst letzten Tranche von 3,65 Millionen Euro im Dezember 2015 – acht Monate vor Schließung.
Schon vorher aber, so erinnert sich Höppner, habe sich der Konzern aus der Altmark zu verabschieden be- gonnen. Seit 2014 seien Fachleute in neue Arbeitsverhältnisse im Mansfeld überführt worden; 2015 habe man 136 der insgesamt 400 Produkte in Eisleben herzustellen begonnen. Die Verlagerung der Produktion sei bereits »ab dem Jahr 2014 plan- mäßig erfolgt«, heißt es in Höppners Schreiben an die Aryzta-Chefs.
In dem Brief zitiert er freilich auch Fragen, auf die ein Unternehmen antworten muss, wenn es in Sachsen-Anhalt Fördergeld erhalten will – etwa die, ob in zeitlicher Nähe zum geförderten Vorhaben in einer »anderen mit dem Unternehmen verbundenen Betriebsstätte Arbeitsplätze abgebaut« wurden oder ob die Tätigkeit, die am neuen Standort erledigt wird, innerhalb der zurückliegenden zwei Jahre im gleichen oder einem »damit verbundenen Unternehmen« eingestellt wurde. Der Hinweis, die Fragen wahrheitsgemäß zu beantworten, ist um einen Verweis auf Paragraf 264 im Strafgesetzbuch ergänzt – der sich auf Subventionsbetrug bezieht.
Mit der jetzt erstatteten Anzeige erreicht der Streit zwischen Höppner und Aryzta eine neue Eskalationsstufe. Bereits Anfang Juni war es das Unternehmen, das beim Landgericht Stendal eine Unterlassungsklage einreichte. Aryzta sieht sich zu Unrecht einer Straftat bezichtigt. Falls Höppner in Reden und Interviews weiterhin Fördermittelmissbrauch oder - betrug unterstelle, soll er deshalb ein Ordnungsgeld von bis zu 250 000 Euro entrichten oder Ordnungshaft absitzen müssen. Zuvor hatte sich Höppner geweigert, eine Unterlassungserklärung zu unterzeichnen.
Höppner räumt auf Nachfrage ein, dass die jetzt erstattete Anzeige an der Schließung in der Altmark nichts ändert: »Fricopan werden wir damit nicht retten.« Aryzta und andere Unternehmen aber müsste ihre Praxis der Geldbeschaffung ändern. Er habe »den Eindruck, dass sich Teile der Nahrungsmittelindustrie gerade mit Fördergeldern des Landes SachsenAnhalt sanieren«, sagte Höppner. Erst vergangenes Jahr hatte der Fall des Bäckereibetriebs Lieken für Wirbel gesorgt, der mit Fördergeld des Landes eine Niederlassung in Wittenberg aufbaute – und nahezu zeitgleich eine in Weißenfels dicht machte.
Für dringend notwendig hält der Politiker zudem Nachbesserungen bei der Förderpolitik des Landes. So seien längere Bindefristen erforderlich. Ein entsprechender Antrag der LINKEN wird im August im Wirtschaftsausschuss beraten. Auch aus dem von SPD-Politiker Jörg Felgner geführten Wirtschaftsministerium werden Vorschläge erwartet. Im Koalitionsvertrag hatten sich CDU, SPD und Grüne im Frühjahr zu »mehr Transparenz und Kontrolle bei gleichzeitiger Entbürokratisierung« der Vergabe der Fördermittel verpflichtet. Stärker belohnt werden soll auch die Schaffung von möglichst tariflich bezahlten und unbefristeten Jobs. In Immekath träumt man von so etwas nur noch.
Bereits ab 2014 soll das Unternehmen Teile der Produktion schrittweise und planmäßig aus der Altmark ins Mansfelder Land verlagert haben.