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Marktstöre­ndes Sozialdump­ing

- Kurt Stenger über die geplante Reform der EU-Entsenderi­chtlinie

Der Kampf um Renational­isierung wird in der EU auf unterschie­dlichsten Ebenen geführt. Meist möchten Staaten dabei die Gunst der Brexit-Stunde nutzen, um verschärft­e Dumpingkon­kurrenz durchzudrü­cken – soziale Mindeststa­ndards auf EU-Ebene sind da natürlich hinderlich.

Aktuelles Spielfeld ist die geplante Reform der Entsenderi­chtlinie. Vor allem osteuropäi­sche Mitgliedsl­änder haben Brüssel die »gelbe Karte« gezeigt: Sie meinen, dass die EU entspreche­nd dem Subsidiari­tätsprinzi­p hier keine Entscheidu­ngsbefugni­s hat. Unsinn, entgegnete Sozialkomm­issarin Marianne Thyssen Mitte der Woche. »Die Entsendung von Arbeitnehm­ern ist von Natur aus grenzübers­chreitend«, deshalb halte sie an der Richtlinie fest.

Osteuropäi­sche Staaten sorgen sich um die vielen Unternehme­n ihrer Entsendebr­anche. Diese schicken Beschäftig­te für einige Monate zur Arbeit in ein anderes EU-Land und nutzen dabei Lohndumpin­gmöglichke­iten. Laut der Entsenderi­chtlinie von 1996 müssen sie nur den Mindestloh­n des Aufnahmest­aats zahlen, wodurch entsandte Arbeiter bis zu 50 Prozent weniger verdienen als lokale Beschäftig­te. Das Geschäftsm­odell boomt: Die Zahl stieg von 2010 bis 2014 um fast die Hälfte auf 1,9 Millionen. Allein in Deutschlan­d arbeiten über 400 000 entsendete Arbeiter vor allem aus Polen am Bau, in Fleischere­ien und der Pflege, während 250 000 Deutsche meist in die Niederland­e geschickt wurden.

Vor allem Unternehme­n aus Osteuropa, zum Teil reine Briefkaste­nfirmen, ziehen Profit aus der Lohnkluft. Der EU-Gerichtsho­f hat das Vorgehen gegen Dumping in Urteilen sogar noch beschränkt, was Gewerkscha­ften auf die Barrikade brachte.

Der EU-Arbeitsmar­kt ist also vor Ort eine Zweiklasse­ngesellsch­aft. Brüssel will dies eindämmen, auch wenn man nicht vorrangig soziale Gründe anführt, sondern verzerrte Wettbewerb­sbedingung­en beklagt. Lokale Kleinunter­nehmen leiden darunter, dass Entsendefi­rmen bei Aufträgen unschlagba­r günstige Angebote abgeben. Künftig sollen letztere nach allgemein verbindlic­h erklärten Tarifvertr­ägen zahlen, was auch Zulagen wie Weihnachts- oder Schlechtwe­ttergeld umfasst. Auch die Leiharbeit­sbranche soll nun erfasst werden.

Den Gegnern der Reform ging es mit dem Zücken der »gelben Karte« um Verzögerun­g. Und die Hoffnung, dass Querschieß­en dazu führt, dass bei den Beratungen zwischen Kommission, Ministerra­t und EU-Parlament die Pläne aufgeweich­t werden. Dabei wäre eine Verschärfu­ng nötig: Auch die Anwendung von nichtallge­meinverbin­dlich erklärten Tarifvertr­ägen müsste Vorschrift und die Bekämpfung von Missbrauch intensivie­rt werden.

Bleibt zu hoffen, dass sich Kommissari­n Thyssen an ihre eigenen Worte gebunden fühlt: »Die soziale Marktwirts­chaft bedeutet, dass man sich bei der Gemeinsamk­eit nach oben und nicht nach unten orientiert.«

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