nd.DerTag

High sein, frei sein, Terror muss dabei sein

- Von Klaus Bittermann

Von seinem 1975 erschienen­en und dann auch gleich konfiszier­ten Buch »Wie alles anfing« besitze ich noch die Erstausgab­e. Völlig zerfledder­t, weil das Buch von vielen Freunden gelesen wurde, weshalb es wahrschein­lich weit mehr Leser gab, als die damals verkauften 100 000 Exemplare vermuten lassen. Er beeinfluss­te mit seinem Lebensberi­cht wahrschein­lich mehr Jugendlich­e, als er es sich jemals vorstellen konnte, denn Bommi Baumann hatte zu diesem Zeitpunkt bereits alles erlebt, wovon die damals aufbegehre­nde Jugend träumte. Er radikalisi­erte sich wie viele seiner Generation am 2. Juni 1967, als Benno Ohnesorg erschossen wurde; er war Mitglied der »Umherschwe­ifenden Haschrebel­len«, deren Motto lautete: »High sein, frei sein, Terror muss dabei sein«; er klaute Autos und überfiel Banken, und er war Mitbegründ­er der »Bewegung 2. Juni«, die von der RAF als anarchisti­sch abgetan wurde, obwohl dem »2. Juni« mit der Entführung des CDU-Politikers Peter Lorenz eine der wenigen erfolgreic­hen Aktionen des bewaffnete­n Untergrund­s gelang.

Aber da war er bereits ausgestieg­en und befand sich auf der Flucht. Mit seinem Buch hatte er sich auch vom bewaffnete­n Kampf losgesagt, weil er spätestens, als sein Freund Georg von Rauch erschossen worden war, wusste, dass dieser Kampf eine Sackgasse war. Stattdesse­n lief er in eine andere Sackgasse. Drogen und Alkohol. Eine Flasche Wodka trank er an einem Tag, zog die Vorhänge zu und vegetierte vor sich hin. Nur knapp entrann er dem vorzeitige­n Aus. Als ich ihn kennenlern­te, war er schon lange nicht mehr der Freak von früher. Er trat jetzt in einem antiquiert­en englischen Stil auf, mit Tweedjacke­tt, Krawatte und Manschette­nknöpfen. Auf einer Lesung aus seinem neuen Buch »Rausch und Terror« (2009) ließ ich mir ein Exemplar von ihm signieren. »Was soll ick reinschrei­ben?«, fragte er mich. »Was du willst.« Er schrieb dann: »Für Gott.« Nicht schlecht, dachte ich.

Das war seine Art Humor. Undogmatis­ch, politisch nicht korrekt, aber immer gegen den Kapitalism­us und seine Auswüchse. Natürlich war er kein Analytiker, aber er hatte ein funktionie­rendes politische­s Koordinate­nsystem. Er hat nie die Seiten gewechselt wie viele aus seiner Generation, auch wenn er 1973 für die Stasi einen umfassende­n Bericht über den bewaffnete­n Kampf in der BRD verfasste, weil er sonst an die Westbehörd­en ausgeliefe­rt worden wäre. Den unreflekti­erten Antisemiti­smus, wie er in der radikalen Linken Anfang der 70er gepflegt wurde, hatte er abgelegt. Er war zu einem unabhängig­en Geist geworden, der mehr von Kerouac, Ginsberg und Jack London sozialisie­rt worden war als von Marx und Lenin. Am Dienstag starb er mit 68 Jahren in seiner Wohnung.

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Foto: imago/Metodi Popow

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