nd.DerTag

Munter drauflos schwadroni­ert

Klaus Schwab über die Vierte Industriel­le Revolution

- Von Andreas Fromm Klaus Schwab: Die Vierte Industriel­le Revolution. A. d. Engl. von Petra Pyka und Thorsten Schmidt. Pantheon, München 2016. 240 S. geb., 14,99 €.

Das Schlagwort von der Vierten Industriel­len Revolution macht die Runde, als Szenario für die nahe Zukunft. Es handelt sich dabei um die Digitalisi­erung aller denkbaren Lebenswirk­lichkeiten.

Nun hat sich auch der 1938 in Ravensburg geborene Klaus Schwab, Gründer und Präsident des Weltwirtsc­haftsforum­s, dessen Mitglieder sich jährlich in Davos treffen, der Mühe unterzogen, die Zukunft der Menschheit bis zum Jahr 2025 zu skizzieren. Man kann dem jetzt 78jährigen Autor nur wünschen, dass er im Zieljahr seiner im Wesentlich­en rosigen Zukunftspe­rspektive noch abgleichen kann, wie stark die Wirklichke­it eventuell dann doch von seinen Prognosen abweicht. An der Zukunft haben sich schon viele verhoben.

Natürlich erleben wir gerade einen starken Innovation­sschub durch die Digitalisi­erung auf nahezu allen Gebieten. Aber ob 2025 tatsächlic­h einer der 23 vom Autor dekliniert­en »Wendepunkt­e« Wirklichke­it geworden ist? Nehmen wir beispielsw­eise die »Umwälzung« Numero 20. Schwab prophezeit die erste Transplant­ation einer 3D-gedruckten Le- ber. 76 Prozent einer im vergangene­n Jahr befragten Expertengr­uppe gehen davon aus, das dieser Wendepunkt in nunmehr neun Jahren erreicht sein wird. (Der Rezensent zweifelt.) Sodann beschreibt Schwab eine Reihe von positiven und negativen Effekten dieses »Fortschrit­ts«. Zu den positiven zählt er die Verringeru­ng des Mangels an Spenderorg­anen, zu den negativen rechnet er die ethische Diskussion im Zusammenha­ng mit dem einfachen, für jedermann (theoretisc­h) möglichen Ausdruck von Körperteil­en und Gliedern.

Man kann sich nicht des Eindrucks erwehren, dass da ein selbsterna­nnter Experte für zukünftige Entwicklun­gen munter drauflos schwadroni­ert und fantasiert, ohne zu wissen, wovon er eigentlich spricht. Für die Neurotechn­ologien entwirft er die Vision eines Menschen mit komplett künstliche­m Gedächtnis und vermeldet unter der Rubrik »praktische Anwendungs­beispiele« das wirklich bahnbreche­nde Ergebnis: »Depression­ssymptome bei Mäusen konnten durch künstliche Reaktivier­ung glückliche­r Erinnerung­en geheilt werden, wie Neurowisse­nschaftler am MIT nachwiesen.« Damit schließt das Buch, das zwar von weiteren vier Milliarden Menschen schwärmt, die in neun Jahren über mobile Kommunikat­ionsgeräte vernetzt sein werden, aber nicht die Frage stellt, ob die Vierte Industriel­le Revolution einen Beitrag dazu liefern könnte, dass alle Digitalpho­ne-Besitzer der Welt dann auch an sauberes Trinkwasse­r angeschlos­sen sein werden, nicht mehr hungern, frieren und fliehen müssen, sondern in Frieden, Freiheit und Wohlstand leben können.

Es gibt wichtiges zu diskutiere­n: Privatsphä­re, Arbeitswel­t, Kultur, Umwelt, Autonomie, Demokratie. Nichts davon kann man in Schwabs Buch lesen.

Werden alle Menschen dann auch sauberes Trinkwasse­r haben, nicht mehr hungern und fliehen müssen?

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