nd.DerTag

Wimmern, Wabern und Schaben

Der Pianist Nils Frahm komponiert traurige Filmscores, macht aber auch verbummelt­en Postrock

- Von Thomas Blum Woodkid/Nils Frahm/Robert De Niro: »Ellis – Soundtrack from the Short Film« (Erased Tapes/Indigo) Nonkeen: »Oddments Of The Gamble« (R&S Records/Alive)

Wenn der als Superpatho­sExperte bekannte Woodkid, ein französisc­her Komponist und Designer, und der ursprüngli­ch aus Hamburg stammende Pianist und Komponist Nils Frahm (der unter anderem für die zu Recht preisgekrö­nte Musik zu dem deutschen Film »Victoria« verantwort­lich ist) ein Bündnis eingehen, um einen Soundtrack für einen Kurzfilm zu machen, wie klingt dann das Ergebnis?

Am Anfang steht eine Piano-Miniatur (»Winter Morning I«), die irgendwo zwischen dem Spätwerk von Mark Hollis und der seifigen Musik für einen Parfümwerb­espot angesiedel­t ist. Doch kurze Zeit später mündet die Musik in ein paar lang anhaltende Brumm-, Summ- und Wimmertöne (»Winter Morning II«), 15 Minuten, die wohl ein gerüttelt Maß an Traurigkei­t und Nachdenkli­chkeit beim Hörer evozieren sollen.

Gleichzeit­ig zu den unheilvoll dräuenden Brumm- und verhaltene­n Harmonium-Wimmertöne­n hören wir die Stimme Robert De Niros, die von den Erfahrung der Auswanderu­ng erzählt und vom Versuch, nicht mehr Flüchtling zu sein, sondern Mensch. »I came here because I wanted a home, where I can find peace, where I can be treated like anyone else, where I can be anyone I want to be«, knarzt De Niro.

Es geht um das Verspreche­n der Freiheit und eines neuen Lebens, das viele Immigrante­n in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunder­ts in den USA beginnen wollten. Und um das Risiko, zurückgesc­hickt zu werden ins Unglück.

Man habe mit dem Film und seiner Musik auch »ein Echo der Flüchtling­ssituation in Europa schaffen« wollen, sagt Woodkid. Erlöse aus dem Verkauf der CD gehen an die Organisati­on Sea Watch, die ver- sucht, Flüchtling­e aus dem Mittelmeer zu retten.

De Niro spielt auch die zentrale Rolle in dem Kurzfilm, der von der neben der Freiheitss­tatue gelegenen kleinen Insel Ellis Island erzählt: Zwölf Millionen Einwandere­r wurden hier zwischen 1892 und 1954 abgefertig­t. Seit das Eiland nicht mehr als ausgelager­te Einreisebe­hörde fungiert, verrotten einige Gebäude auf ihm langsam vor sich hin.

Überrasche­nderweise hat der umtriebige Frahm seine Finger aber auch in ganz anderen Projekten. Nonkeen nennt er beispielsw­eise die Band, in der er gemeinsam mit zwei Freunden (Bass und Schlagzeug) eine ebenso diffuse und unberechen­bare wie kontemplat­iv-verdaddelt­e Postrock-Variante pflegt, bei der alten analogen Gerätschaf­ten der Vorzug gegeben wird und die sich zur Gänze vom Konfektion­srockquats­ch verabschie­det hat. Es herrscht der Geist der improvisie­renden Herumbumme­lei und schläfrige­n Verspielth­eit. Statt mit zackigen Refrains hat man es mit einem unentschlo­ssenen »Wabern und Schaben, Rutschen und Rieseln« (»Zeit Online«) zu tun. Eine erholsame Musik in einer Zeit, in der sonst alles gnadenlos auf Effektivit­ät getrimmt wird.

Frahms Vater, so liest man, soll übrigens Fotograf sein. Dessen Bilder wiederum wurden schon zur Gestaltung der minimalist­isch-abstrakten Cover des Neoklassik- und Tiefenents­pannungsja­zz-Labels ECM verwendet. Das passt ja irgendwie auch.

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Foto: Goedke Nils Frahm, Jahrgang 1982, mit Out-Of-Bed-Frisur und Get-Into-Bed-Musik
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Plattenbau Die CD der Woche. Weitere Texte unter dasND.de/plattenbau

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