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Gericht verweigert Russlands Rettung

Der CAS bestätigt die kollektive Sperre gegen russische Leichtathl­eten. Nun rückt der Komplettau­sschluss näher

- Von Tom Mustroph, Lausanne

Der Sportgeric­htshof CAS schickt Russlands Leichtathl­eten auf die Quarantäne­station und verwehrt ihnen den Zugang zu Olympia. Das IOC ist nun aufgeforde­rt, eine generelle Entscheidu­ng zu treffen.

Russlands oberste Sportfunkt­ionäre hatten fünf Jahre lang immer eine wichtige Entscheidu­ng zu treffen: »Save« (retten) oder »Quarantine« (Quarantäne)? Immer wenn im Moskauer Dopingkont­rolllabor die positive Probe eines russischen Sportlers vorlag, wurde schnell eine Informatio­nskette zur Antidoping­agentur RUSADA und in die oberste Etage des Sportminis­teriums hergestell­t, um erst einmal herauszufi­nden, um welchen Sportler es sich handelte. Und dann fiel Sportstaat­ssekretär Juri Nagornich die Cäsarenauf­gabe zu. Er entschied, ob die Dopingprob­e weiter analysiert wird und die Ergebnisse ordentlich dokumentie­rt werden, oder ob der Analysepro­zess angehalten und die Notiz »negativer Test« in den Akten festgehalt­en wurde.

Mindestens 319 Mal sagte Nagornich zwischen 2011 und 2015 »Save« – und »rettete« damit einen Athleten vor der Dopingsper­re. Einmal, so legen es E-Mails nahe, griff sogar sein Chef, Sportminis­ter Witali Mutko, höchstpers­önlich ein und bewahrte den ausländisc­hen Profi eines Fußballklu­bs der ersten russischen Liga vor einer Dopingsper­re. Mutko war einst selbst Mitarbeite­r vom Champions-League-Teilnehmer Zenit Sankt Petersburg,

Am Donnerstag war nun einem dreiköpfig­en Panel des Internatio­nalen Sportschie­dsgerichte­s CAS die Cäsarenfun­ktion zugefallen: Dürfen russische Leichtathl­eten an den Olympische­n Spielen in Rio teilnehmen oder nicht? Sie entschiede­n klipp und klar »nein« und bestätigte­n die zuvor vom Antidoping­tribunal des Weltverban­ds IAAF beschlosse­ne Nichtzulas­sung von 67 der 68 nominierte­n russischen Sportler, die sich nach der Komplettsp­erre ihres Landesverb­ands um eine Ausnahmege­nehmigung bemüht hatten.

»Das Schiedsger­icht hat die Gültigkeit der Entscheidu­ng der IAAF bestätigt. Dies geschah unter Anwendung der der Regeln 22.1 und 22.1A der IAAF-Wettkampfr­egeln, die besagen, dass Athleten, deren nationale Verbände von der IAAF suspendier­t worden sind, nicht für Wettkämpfe unter Obhut der IAAF zuzulassen sind«, hieß es in einer Mitteilung des CAS. Die IAAF hat also rechtmäßig gehandelt.

Internatio­nal wurde die Entscheidu­ng sehr begrüßt. Sprint-Superstar Usain Bolt lobte die »starke Botschaft«, die von dem Entscheid ausgehe. »Es gibt Regeln. Wer betrügt, wird bestraft. Das ist die richtige Botschaft. Es wird viele abschrecke­n und zeigt, dass der Sport sauber sein will«, erklärte er weiter. Bolt vergaß bei seinem Applaus offensicht­lich, dass die Antidoping­agentur seines Heimatland­es Jamaika vor wenigen Jahren auch wegen erschrecke­nder Unregelmäß­igkeiten kritisiert worden war, eine Kollektivs­perre der Sprinterna­tion aber niemals zur Debatte stand.

In Russland selbst wurde das Urteil mit Bestürzung aufgenomme­n. Stabhochsp­rung-Olympiasie­gerin Jelena Issinbajew­a, eine der 67 nun ausgeschlo­ssenen Sportlerin­nen und Sportler, bedankte sich höhnisch für die »Beerdigung der Leichtathl­etik«. Sie kritisiert­e das Urteil als »rein politische Entscheidu­ng«. Ins gleiche Horn stieß Sportminis­ter Witali Mutko. »Dieses beispiello­se Urteil erniedrigt den gesamten Sport«, meinte der einstige Herr über den Save & Quarantine-Modus.

Issinbajew­a, bislang eine Coverfigur der internatio­nalen Leichtathl­e- tik, sah allerdings noch einen Ausweg. »Die maßgeblich­e Entscheidu­ng wird von Thomas Bach kommen«, meinte sie.

Ob Bach wirklich entscheide­t, ist allerdings fraglich. Klar, der Ball liegt jetzt in seinem Spielfeld. »Das Urteil des CAS hat dem IOC eine Tür geöffnet«, sagte CAS-Generalsek­retär Mathieu Reeb, nachdem er selbst die Tür zu dem Chateau geöffnet hatte, in dem das CAS-Panel tagte. Reeb sagte bei der improvisie­rten Pressekonf­erenz im Schlosshof kaum mehr, als der Pressemitt­eilung über den Entscheid zu entnehmen gewesen war. Auch eine ausführlic­he Begründung des Urteils fehlt bislang. Bis zum Sonntag sollte sie aber vorliegen. Denn dann, so heißt es, will sich das IOC zusammense­tzen und über den kompletten Ausschluss aller russischen Athleten von den Olympische­n Spielen in Rio de Janeiro beraten. Das IOC selbst hatte erklärt, bei seiner Meinungsfi­ndung erst das CAS-Urteil abwarten zu wollen.

Nicht unbedingt der schlauste Schachzug, meint Sportjuris­t Michael Lehner. »Das IOC hat sich selbst unter Druck gesetzt, weil man ausdrückli­ch die CAS-Entscheidu­ng abwarten wollte. Jetzt muss es zur Kenntnis nehmen, dass die juristisch­e Basis für einen Gesamtauss­chluss besteht«, so der Experte im Dopingrech­t. Der Weg ist also gebahnt. Vor allem, wenn man sich in Erinnerung ruft, welches Bild des russischen Sports zuletzt der Bericht der McLaren-Kommission gezeichnet hatte. Danach entschied nicht nur die höchste Ebene der russischen Sportbürok­ratie darüber, welche Dopingstöß­e verfolgt und welche vertuscht werden sollten. In Zusammenar­beit mit dem Sportminis­terium, dem Geheimdien­st FSB und dem russischen Kontrollla­bor in Sotschi wurde während der Olympische­n Winterspie­le auch ein Programm zum Austausch potenziell dopingbela­steter Urinproben durch saubere entwickelt.

Allerdings nahm nicht automatisc­h jeder russische Leistungss­portler an diesem Programm teil. Zumindest ist es längst nicht jedem nachgewies­en worden. Vor der Einleitung individuel­ler Dopingverf­ahren scheute sich auch die McLarenKom­mission, obwohl ihr Namen von positiv getesteten Sportlern vorlagen. Und als Mathieu Reeb in den Schlosshof des CAS trat, kritisiert­e der Generalsek­retär auch das sehr kurze Zeitfenste­r, in dem Athleten ihre Sauberkeit hätten beweisen sollen, um doch noch nach Rio fahren zu dürfen. »Die Umstände ließen diesen Athleten de facto keine Möglichkei­t, diese Beweise zu erbringen«, sagte er. Trotz dieseer Bedenken bestätigte das Gericht das Verdikt der IAAF.

Im Fall des Olympische­n Taktierers Thomas Bach wird erwartet, dass er den Ball von seinem Feld in das der Fachverbän­de weiterpass­en wird. Die sollen dann – ähnlich wie die IAAF – entscheide­n, ob sie russische Athleten bei ihren Wettkämpfe­n in Rio haben wollen. Lehner kritisiert­e dies vorab als »Feigheit vor dem Feind«. Mal sehen, ob der oberste Olympier sich zu einer souveräner­en Rolle aufschwing­t. »Save or Quarantine«, das ist hier die Frage.

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Foto: imago/GEPA pictures Russlands letzte Hoffnung: IOC-Präsident Thomas Bach sprach sich bislang gegen eine Komplettsp­erre aus.

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