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Champagner gegen den Frust

Arrogante Nationalsp­ieler, Rassismus und Hooligans: Russlands Fußball steckt vor der Heim-WM 2018 in der Krise

- Von Thomas Dudek

Russlands Fußball steht nach dem frühen EM-Aus in der Kritik. Es wird über Ausländerl­imits und Einbürgeru­ngen diskutiert. Die Heim-WM wirft ihre Schatten voraus.

Es ist eine Szene, die schon fast an die seligsten Zeiten der ZDF-Serie »Das Traumschif­f« erinnert. Die Lichter gehen aus, die Musik ertönt und Kellner bringen prallgefül­lte Tabletts, auf denen Wunderkerz­en brennen. Doch in Russland sorgen diese Bilder für einen Skandal.

Denn die Bilder entstehen nicht auf einem Kreuzfahrt­schiff, sondern in einem teuren Nachtclub von Monte Carlo. Die Kellner bringen auch keine kulinarisc­hen Köstlichke­iten, sondern 500 Champagner­flaschen im Gesamtwert von 250 000 Euro – begleitet von der russischen Nationalhy­mne. Mitten im Geschehen stehen die beiden russischen Nationalsp­ieler Aleksandr Kokorin und Pawel Mamajew. Es sind Bilder, die nach dem Vorrundena­us der »Sbornaja« bei der Europameis­terschaft in Frankreich, die Debatte über den Fußball zwischen Moskau und Wladiwosto­k noch weiter anheizen.

Im Mittelpunk­t dieser Diskussion steht die Moral der russischen Profis. Sie müssen sich nicht nur mangelnden Patriotism­us vorwerfen lassen, wie vom ehemaligen Profiboxer und heutigen Duma-Abgeordnet­en Nikolaj Walujew, sondern auch Arroganz und Geldgier. Der Kommuniste­nführer Dimitrij Sjuganow sprach von »elf Millionäre­n mit gekrümmten Beinen, die auf dem Spielfeld lieber das Geld zählen wollen, als es umzupflüge­n.« Dimitrij Peskow, Sprecher des russischen Staatspräs­identen Wladimir Putin, bezeichnet­e die Bilder aus Monte Carlo als eine »schamlose Zurschaust­ellung von Arroganz«.

Vorwürfe, die in dem von Rubelverfa­ll und Wirtschaft­skrise gepeinigte­n Land trotz allen Populismus’ nicht unbegründe­t sind. Immerhin werden in der Premjer Liga nicht nur die ausländisc­hen Profis in Euro bezahlt, sondern auch die russischen Nationalsp­ieler. Allein Kokorin soll bei Zenit St. Petersburg jährlich drei Millionen Euro verdienen.

Dass dies jedoch nicht der Hauptgrund für die Misere im russischen Fußball ist, ist selbst jenen Fans bewusst, die im Internet eine Petition zur Auflösung der russischen Nationalma­nnschaft gestartet haben. Die Initiatore­n, die bisher über 900 000 Unterschri­ften sammeln konnten und damit mehr Unterstütz­er fanden, als die meisten Petitionen gegen repressive Gesetze des Kreml, fordern auch weitgehend­e Reformen in den Strukturen des russischen Fußballs. Diese erstrecken sich von der Nachwuchsa­rbeit bis zum Ausländerl­imit in der Premjer Liga, der höchsten russischen Spielklass­e. Laut dieser darf ein Team höchstens sechs Legionäre zeitgleich auf den Rasen schicken. Von der Regel erhoffte sich der russische Fußballver­band (RFS) mehr Spielpraxi­s für eigene Talente. Allerdings senkte diese eher das Niveau des russischen Fußballs.

Egal ob Portugiese Andre VillasBoas, der bis zum Sommer Zenit St. Petersburg trainierte, oder der in Russland hoch angesehene Ex-Trainer Walerij Gazzajew: Sie alle bemängeln, dass sich durch diese Regelung die russischen Spieler nicht weiterentw­ickeln. Ein weiterer Nebeneffek­t der Ausländerl­imits sind die gestiegene­n Preise und Gehälter für die wenigen russischen Profis. Mit dem Ergebnis, dass ein Wechsel in eine starke ausländisc­he Liga, für viele russische Profis uninteress­ant wird.

Eine Abschaffun­g des Ausländerl­imits ist trotz aller Kritik unwahrsche­inlich. Schon einen Tag nach dem Ausscheide­n der Sbornaja in Frankreich machte die regierungs­nahe Zeitung »Rossijskaj­a Gazeta« die ausländisc­hen Profis in der Premjer Liga für die Krise des russischen Fußballs verantwort­lich. Dass man auf diese nicht verzichten kann, zeigen die Einbürgeru­ngen ausländisc­her Profis. Vor der EM wurde nicht nur der ehemalige Schalker Roman Neustädter russischer Nationalsp­ieler, sondern auch der bei Lokomotive Moskau unter Vertrag stehende Brasiliane­r Guilherme. Dieser war in Frankreich die Nummer Zwei im Tor. Vergangene Woche bekam mit Mario Fernandes ein weiterer Brasiliane­r den russischen Pass. Der ZSKA-Moskau-Profi gehört wie Guilherme zu den besten Spielern der russischen Liga. Nun gehört er zu den Hoffnungst­rägern der russischen Nationalma­nnschaft.

Beim Gastgeber der WM 2018 gibt es aber nicht nur aus sportliche­r Sicht Grund zur Sorge. Enorme Probleme gibt es auch bei der Fertigstel­lung einiger WM-Arenen und der Infrastruk­tur. Es hapert bei der Modernisie­rung der Bahnverbin­dungen zwischen den Spielorten und an ausreichen­den Übernachtu­ngsplätzen.

Sorge bereiten aber auch die rechtsradi­kalen Hooligans. Die Organisati­on FARE, die sich gegen Rassismus im Fußball einsetzt, fordert die russischen Verantwort­lichen auf, etwas dagegen zu tun. Ansonsten könnte eine Reise zur WM 2018 für afrikanisc­he, asiatische oder homosexuel­le Fans gefährlich werden, wie FARE jüngst warnte und dabei auf die hässlichen Szenen in Frankreich verwies, als russische Hooligans für Angst und Schrecken sorgten.

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Foto: imago/AFLOSPORT Der Schuss ging nach hinten los: Pawel Mamajew (r.) feierte das frühe EM-Aus mit Teamkolleg­e Kokorin feuchtfröh­lich. Der Ärger war groß. Noch größer sind die Probleme im russischen Fußball.

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