Abschied aus Angst
Mario Gomez verlässt wegen der unsicheren Situation in der Türkei seinen Klub Besiktas Istanbul – andere Fußballer denken ebenso
Mario Gomez kehrt wegen der politischen Lage nicht in die Türkei zurück. Roman Neustädter ging hingegen jüngst in das krisengeplagte Land, und auch Max Kruse denkt über einen Wechsel nach. Roman Neustädter hatte mehr als nur Glück. Dem Terroranschlag im Istanbuler Atatürk-Flughafen entging der ehemalige Spieler von Schalke 04 vor wenigen Wochen nur knapp: Er landete eine Stunde vor den verheerenden Explosionen. Trotzdem entschied sich der 28-Jährige für einen Wechsel in die Türkei und trägt mittlerweile das Trikot von Fenerbahce Istanbul.
Immer mehr Fußballprofis denken spätestens nach dem jüngsten Putschversuch aber über einen Abschied vom Bosporus nach. Mario Gomez machte »einzig und allein die schrecklichen Geschehnisse der letzten Tage« für den Weggang von Besiktas Istanbul verantwortlich. Auch der frühere Bayern-Spieler José Sosa will nicht zum Meister der Süper Lig zurückkehren. »Meine Ehefrau hat Angst, in Istanbul zu leben. Ich habe auch Angst um meine Töchter. Meine Priorität ist meine Familie«, sagte der Argentinier.
Ob weitere Stars der Türkei den Rücken kehren werden, ist offen. Dass die Sorgen immer größer werden, wurde in den vergangenen Tagen jedoch deutlich. Die Nacht des Putschversuchs am Freitag sei »dramatisch« gewesen, sagte Jürgen Röber, der als Sportdirektor bei Osmanlispor arbeitet: »Über meinem Hotel flogen ständig Kampfjets, es gab kaum Nachrichten, niemand wusste, was passiert da jetzt.« Allein in der Millionenstadt Istanbul waren beim Putschversuch des Militärs gegen das Regime des Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan knapp 300 Menschen gestorben. Eine Welle der Gewalt mit zahlreichen Attentaten hatte zuvor Ende Juni in dem Selbstmordanschlag im Atatürk-Flughafen mit mehr als 40 Opfern ihren traurigen Höhepunkt gefunden.
Auch Gomez’ Nationalmannschaftskollege Lukas Podolski erlebte den Terror bereits im Umfeld seiner Mannschaft mit. Umut Bulut, sein Teamkollege bei Galatasaray, verlor bei einem Anschlag in Ankara unmittelbar vor einem Spiel seinen Vater Kemal. Die gesamte Mannschaft stand Bulut anschließend bei der Beerdigung bei. Podolski hatte einen Wechsel in der Vergangenheit unter dem Eindruck der zahlreichen Terroranschläge zumindest in Erwägung gezogen. Mit den Niederländern Wesley Sneijder (ebenfalls Galatasaray) und Robin van Persie (Fenerbahce) spielen weitere große Namen des Weltfußballs in Istanbul – auch sie wollen die Türkei nach verschiedenen Medienberichten schon bald verlassen.
»Wir haben vor allem mit den ausländischen Spielern gesprochen, um sie zu beruhigen. Jetzt trainieren wir wieder ganz normal«, sagte Röber. Doch ganz unberührt blieb auch sein Klub nicht. Ein norwegisches Schiedsrichtergespann wollte nicht zum Rückspiel der Qualifikation zur Europa League gegen Zimbru Chisinau anreisen. Deswegen mussten Referees aus Slowenien übernehmen.
Stürmer Max Kruse hatte in der vergangenen Woche einen Wechsel vom VfL Wolfsburg zu Galatasaray Istanbul aufgrund der angespannten politischen Situation noch ausgeschlossen. Laut Medienberichten soll der Nationalspieler seine Meinung mittlerweile wieder geändert haben und auf ein Angebot aus Istanbul warten. Es wird über eine Ablösesumme von neun Millionen Euro spekuliert.