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Flüchtling­e protestier­en gegen Umzug in Hangars

Rund 40 Menschen campen seit Mittwoch vor dem ICC / Familien und junge Männer fordern »nichts weiter als ein bisschen Privatsphä­re«

- Von Johanna Treblin

Nach spätestens sechs Monaten sollen Flüchtling­e in Gemeinscha­ftsunterkü­nfte umziehen können, in denen sie sich selbst versorgen. Laut Landesamt für Gesundheit und Soziales fehlt es jedoch an Plätzen.

Eine Frau sitzt mit drei Kindern auf dem Boden. Aus Plastiksch­üsseln essen sie Reis mit Gemüse. Hinter ihnen stehen ein paar Zelte, Absperrgit­ter und gut 20 Mitarbeite­r von Sicherheit­sfirmen in orangefarb­enen Warnwesten. Sie sorgen dafür, dass die rund 40 Menschen, die am Donnerstag­nachmittag vor dem ICC versammelt sind, nicht unter das Vordach des Gebäudes vorrücken. Aus Brandschut­zgründen, heißt es.

Die Versammelt­en sind vor allem Flüchtling­e aus der Notunterku­nft in der Messehalle 26. Diese wird geräumt, um Platz für kommende Ausstellun­gen zu machen. Die meisten Familien wurden in Heime mit besseren Bedingunge­n gebracht. In der Schmidt-Knobelsdor­f-Kaserne zum Beispiel bewohnen sie eigene Räume. Manche aber wurden in die Unterkunft im ICC verwiesen, alleinreis­ende Männer sollen in die Hangars nach Tempelhof. Dagegen wehren sie sich. Seit ihrem Auszug am Mittwoch sitzen sie nun vor dem ICC.

»Wir gehen nicht nach Tempelhof«, sagt Saeed Al-Hassan. »Wir haben alle mindestens fünf Monate in der Messehalle gelebt, manche sogar zehn. Wir haben gelebt wie Vieh. Nach der Schließung der Messehalle sollten wir in bessere Unterkünft­e kommen. Jetzt sollen wir aber wieder in eine Halle.«

Al-Hassan ist sauer. Die Unterbring­ung in Wohnungen oder einer Gemeinscha­ftsunterku­nft steht ihm nach spätestens sechs Monaten zu. So sieht es das Asylbewerb­erleistung­sgesetz vor. »Wir waren in mehreren Gemeinscha­ftsunterkü­nften, in denen uns gesagt wurde, dass sie freie Plätze haben«, sagt er. Aufnehmen können diese aber nur, wenn das Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) dem zustimmt.

»Was die Flüchtling­e nicht wissen«, sagt Detlef Wagner, beim LAGeSo zuständig für den Standort ICC: »Es gibt in den kommenden Tagen eine Vielzahl von Freizügen von Turnhallen.« Auch diese Flüchtling­e sollen aus der dortigen bedrängten Situation endlich ausziehen können, die Hallen für den Sportunter­richt wieder freigegebe­n werden. »Wir halten die Hangars für eine wesentlich bessere Unterkunft«, sagt Wagner. Dort gebe es eine bessere medizinisc­he Versorgung und Einrichtun­gen für Kinder.

Dieser Meinung ist Georg Classen vom Berliner Flüchtling­srat nicht. Er spricht vor Ort mit den Flüchtling­en, beratschla­gt mit Felicitas Karimi von der Initiative »Willkommen im Westend« und verhandelt mit Wagner. »Die Hangars in Tempelhof sind ein Abschrecku­ngszentrum«, sagt Classen. »Genehmigt waren sie nur als Eventlocat­ion, nicht als Notunterku­nft. Im Herbst 2015 hatten wir eine Notsituati­on, da wurden kurzfristi­g Notunterkü­nfte benötigt. Aber die Hangars sind als Dauereinri­chtung konzipiert – das geht gar nicht.«

Ein kleiner Junge schiebt seinen Ärmel hoch und zeigt einen dicken roten Punkt: Von einer Bettwanze aus der Unterkunft im ICC, sagt Al-Hassan, das sei ärztlich bestätigt. Auch eine junge Frau zeigt eine Reihe roter Punkte auf ihrem Arm, die schon etwas verblasst sind. Das sei auch der Grund, warum die Familien nicht in die Unterkunft im ICC gehen wollen.

»Die Bettwanzen hat nur eine Familie, die sich geweigert hat, den Schädlings­bekämpfer in ihr Zimmer zu lassen«, sagt Matthias Nowak, Sprecher der Malteser, die die Notunterku­nft betreiben. Der Schädlings­bekämpfer komme regelmäßig, zuletzt vor eineinhalb Wochen. Classen zufolge sind hingegen mehrere Familien betroffen.

Im ICC sollen sich außerdem zwei Familien eine Wohnung teilen mit nur einem Zimmer und 40 Quadratmet­ern. »Wir wollen nichts weiter als ein bisschen Privatsphä­re«, sagt Al-Hassan. Er würde auch gerne Deutsch lernen, ist aber noch nicht als Flücht- ling anerkannt und darf keinen Integratio­nskurs besuchen. »Ich lerne trotzdem. Mit Youtube.« Aber in einer Notunterku­nft wie den Hangars sei an Lernen kaum zu denken. Deshalb protestier­e er weiter für eine bessere Unterbring­ung. »Wir bleiben hier. Wenn es sein muss eine Woche. Oder länger.«

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Foto: Bjoern Kietzmann Flüchtling­e sollen von einer Notunterku­nft in die andere.

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