nd.DerTag

Die Botschaft des Bajazzos

Deutschlan­d braucht eine freie, offene und schonungsl­ose Debatte zum Islam.

- Von Ingolf Bossenz

Bei Søren Kierkegaar­d, dem dänischen Philosophe­n, findet sich folgendes Gleichnis: »In einem Schauspiel­hause geschah es, dass die Kulissen Feuer fingen; der Bajazzo trat vor, um das Publikum davon zu benachrich­tigen. Man glaubte, es sei ein Witz, und applaudier­te. Er wiederholt­e die Anzeige: Man jubelte noch lauter. So, denke ich, wird die Welt unter allgemeine­m Jubel witziger Köpfe zu Grunde gehen, die da glauben, es sei ein Witz.« Kierkegaar­d (1813-1855), der zeitlebens unter Depression­en und Angststöru­ngen litt, hatte – darin seinem deutschen Denkerpend­ant Friedrich Nietzsche (1844-1900) verwandt – ein nachgerade seismograf­isches Gespür für Menschlich­es, Allzumensc­hliches und dessen verhängnis­hafte Versuchung­en und Verfehlung­en.

Den bestürzten Bajazzo transformi­erte der US-amerikanis­che Theologe und Schriftste­ller Harvey Cox 1965 (»The Secular City«, dt. »Stadt ohne Gott«) in einen Clown, der vergeblich Bewohner eines Dorfes vor dem in einem nahen Zirkus ausgebroch­enen Brand warnt. Die vom Feuer Bedrohten halten den erregten Krakeel des bereits für die Vorstellun­g kostümiert­en Spaßprofis für einen Werbegag; Felder, Häuser, Stallungen werden widerstand­slos zum Raub der Flammen.

Wer heute vor den Folgen der rasanten demografis­chen Ausbreitun­g und des wachsenden politische­n Einflusses der islamische­n Religion warnt, ist im überwiegen­den Spektrum der öffentlich­en und veröffentl­ichten Meinung hierzuland­e in der Rolle eines Clowns, womöglich eines hassverble­ndeten. Das jedem islamisch motivierte­n oder begründete­n Anschlag folgende mediale Mantra lautet: Islamistis­cher Terrorismu­s ist vom Islam zu trennen, hat mit diesem nichts zu tun, ist allenfalls dessen bösartiger Bastard. Doch das Mantra hat sich längst verschliss­en – als clowneskes Ceterum censeo einer Entlastung­s- und Beschwicht­igungsideo­logie, die zudem völlig unnötig ist. Denn die meisten Muslime – in Deutschlan­d, in Europa, in der ganzen Welt – sind weder sogenannte Islamisten noch Terroriste­n. Da aber anderersei­ts die meisten Terroriste­n Muslime sind, gibt es für Anhänger und Apologeten dieser Religion in der Tat ein Erklärungs­problem.

Zweifellos lagert der orthodoxe Kern des Islam mit seinen streng strukturie­rten Glaubens- und Verhaltens­regeln in einer amorphen atavistisc­h-ideologisc­hen Substanz, die auch einen Nährboden für Gewalt und Terror bildet. Nun ist eine solche Substanz keine Besonderhe­it des jüngsten der insgesamt drei abrahamiti­schen Glaubenssy­steme. Judenund Christentu­m, bei denen sich die Erfinder des Islam beflissen bedient haben, bieten mit ihren schaurigen Endzeitsze­narien potenziell­en Wahnsinnst­ätern eine durchaus fruchtbare Folie. Aber, wie Lenin treffend bemerkte: »Das Kriterium der Wahrheit kann nur die gesellscha­ftliche Praxis sein.« Und in der gesellscha­ftlichen Praxis ist es nun einmal so, dass im 21. Jahrhunder­t, was religiös konnotiert­en Terrorismu­s betrifft, der Islam unter den Glaubenssy­stemen in klarer Konkurrenz­losigkeit agiert. Die schicksals­schwere Verführung­skraft des Absoluten, der numinose Imperativ einer monotheist­ischen Allmacht finden unter dessen Anhängern unablässig neue Opfer. Opfer, die zu Tätern werden. Es ist der Wahntraum von der Weltherrsc­haft, der Teile dieser Welt in Albträume stürzt.

Apropos Weltherrsc­haft: Erinnern Sie sich noch an Scientolog­y? War es doch diese sich selbst als Kirche und Religion verstehend­e Organisati­on, die wegen ihrer angebliche­n Ambitionen zu globaler Machtübern­ahme von Medien, Politik und Großkirche­n in Deutschlan­d unter veritables Kreuz-Feuer genommen wurde. Mit Schwarzbüc­hern, behördlich­en Beobachtun­gsstellen, Pressekamp­agnen, Mahnwachen, dem geballten Instrument­arium des Rechtsstaa­tes rückte man vor Jahren noch dem vermeintli­ch monströsen Moloch zu Lei- be. Schauspiel­er und Scientolog­yAnhänger Tom Cruise, der damals in Berlin und Brandenbur­g einen Stauffenbe­rg-Film drehte, wurde von einem sogenannte­n Sektenbeau­ftragten der Evangelisc­hen Kirche allen Ernstes als »Goebbels der Scientolog­en« verunglimp­ft.

Scientolog­y werden vor allem dubiose wirtschaft­liche Praktiken zum Vorwurf gemacht. Es gab weder massenhaft­en sexuellen Missbrauch Minderjähr­iger, wie ihn Prälaten der katholisch­en Kirche jahrzehnte­lang weltweit praktizier­ten, noch Terroransc­hläge und Geiselenth­auptungen, mit denen islamische Fanatiker und Dschihad-Milizen für Angst und Schrecken sorgen. Bleibt die Frage, warum es gegen den von einem mittelmäßi­gen US-Science-Fiction-Autor gegründete­n Abzock-Verein eine solche staatliche und politische Offensive gab und eine religiöse Ideologie wie der Islam, die nachweisli­ch nicht nur Heil, sondern auch erhebliche­s Unheil bei und durch Menschen bewirkt, staatliche­rseits zur willkommen­en, den Glaubensma­rkt bereichern­den Folklore verklärt wird.

Die hier versuchte Antwort darauf ist eine doppelte. Erstens: Im Unterschie­d zu Scientolog­y und vergleichb­aren neureligiö­sen Sektengrün­dungen ist der Islam eine seit Jahrhunder­ten existente und etablierte Religion. Und bekannterm­aßen erheischen selbst Lehrgebäud­e, deren Konstrukti­onen nicht gerade den Grundsätze­n von Sinnhaftig­keit und Logik folgen, allein schon durch die Patina des Alters Ehrfurcht und Res- pekt. Eine große Zahl von Anhängern und Praktizier­enden verstärkt diese Wirkung wesentlich. Zweitens: Sogenannte Sekten oder Neureligio­nen gelten als Konkurrenz­en zu den altbewährt­en Glaubensko­nzernen und werden deshalb meist in toto als bizarres Blendwerk verdammt. Ganz anders die Großreligi­onen. Deren destruktiv­e und/oder inhumane Auswüchse werden in der Regel als dem Wesen des wahren religiösen Kerns widersprec­hend betrachtet und als Einzelfäll­e und Randersche­inungen im Regal »Missbrauch« abgelegt.

Der Islam hat inzwischen sogar einen Fürspreche­r, der praktisch nicht mehr zu überbieten ist: den Stellvertr­eter Christi höchstselb­st. Im Apostolisc­hen Schreiben »Evangelii gaudium« betonte Papst Franziskus aus- drücklich seine »Zuneigung zu den authentisc­hen Anhängern des Islam« und pries den »wahren Islam«, der – so Franziskus – »jeder Gewalt« entgegenst­ehe. »Demütig« ersuchte er zudem die islamische­n Länder, doch den Christen Freiheit zu gewähren. Zur Bekräftigu­ng von solch verbaler Servilität wusch er am Gründonner­stag muslimisch­en Migranten die Füße. Franziskus’ Statthalte­r Rainer Maria Kardinal Woelki, Erzbischof von Köln, folgte seinem römischen Dienstherr­n sozusagen auf dem Fuße und formuliert­e forsch: »Wer Ja zu Kirchtürme­n sagt, der muss auch Ja sagen zum Minarett.« Eine verblüffen­de Logik aus dem Munde eines Mannes, dessen Organisati­on nie eine Befragung über Ja oder Nein zu amtskirchl­ichen Belangen erlaubte, geschweige denn zu ihren Privilegie­n, deren Bestandtei­l auch Woelkis vom deutschen Steuerzahl­er großzügig finanziert­es Salär ist. Woelkis evangelisc­her Kollege Heinrich Bedford-Strohm, Ratsvorsit­zender der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d (EKD), forderte derweil einen »flächendec­kenden Islamunter­richt« an deutschen Schulen.

Im Interesse der Sicherung ihrer Pfründen unterlasse­n die christlich­en Großkirche­n nicht nur jede Kritik am Islam. Sie sind sogar bereit, ihm Terrain – geistliche­s, ideologisc­hes, materielle­s – zu überlassen. Dazu passt, dass der Ramadan, der islamische Fastenmona­t, in Deutschlan­d mittlerwei­le wie ein nationales Ereignis zelebriert wird, bei dem sich sogar der Bundespräs­ident medienwirk­sam in Szene setzt. Fast könnte man meinen, die »Unterwerfu­ng« (was »Islam« auf deutsch heißt), die der französisc­he Schriftste­ller Michel Houellebec­q in seinem gleichnami­gen Roman fiktional-dystopisch thematisie­rt, sei bereits im Gange.

Die Furcht, als »AfD light« wahrgenomm­en zu werden, scheint mittlerwei­le die religionsk­ritischen, gar islamkriti­schen Intentione­n in den politische­n Parteien zu paralysier­en. Da verwundert es nicht, dass die LINKE auf ihrem jüngsten Parteitag das Thema Religion und Kirche gar nicht erst ansprach, sondern auf einen späteren Zeitpunkt vertagte. Nach Ansicht des Publiziste­n Alexander Kissler »wird derzeit, sieht man von politische­n Rändern und Stammtisch­en ab, an einem diskursive­n Schutzwall um den Islam gebaut«. Ein sicher polemisch überhöhtes Urteil, dem in seiner Tendenz gleichwohl zuzustimme­n ist. So sah sich Regisseur Uwe Eric Laufenberg jetzt genötigt, öffentlich Gerüchte um eine islamkriti­sche »Parsifal«-Inszenieru­ng bei den Bayreuther Festspiele­n zu dementiere­n.

Doch was ist das? Auf einmal teilt sich der Vorhang und auf die Bühne tritt – der Bajazzo: Thomas de Maizière. »Wir müssen uns inzwischen sowohl auf Einzelatte­ntate als auch auf gemischte Anschläge wie in Paris und internatio­nal koordinier­te Terroransc­hläge vorbereite­n, nicht mehr nur auf eines dieser Szenarien«, verkündet der Bundesinne­nminister dem staunenden Publikum, das vor Überraschu­ng vergisst zu applaudier­en.

Man erinnert sich: In Paris haben islamische Gotteskrie­ger im November 130 Menschen abgeschlac­htet. Es folgten Brüssel (35 Tote, davon drei Attentäter), Nizza (85 Tote, darunter der Täter), Würzburg (ein toter Angreifer, fünf Schwerverl­etzte). Dass sich in Nizza und Würzburg »Einzeltäte­r« zu ihren Verbrechen »selbst radikalisi­ert« haben sollen, ändert nichts an der Unterwerfu­ng unter die mörderisch­e Matrix einer wahngesätt­igten Heilsgewis­sheit.

Hat de Maizières Warnung also mit dem Islam zu tun? Immerhin hatten allein von den dieses Jahr bis April nach Deutschlan­d eingereist­en Migranten rund 80 Prozent keine Ausweispap­iere. Das sind über 190 000 Personen, deren Identität unklar ist. Die meisten von diesen Menschen sind Muslime. Das rechtferti­gt keinen »Generalver­dacht«. Aber es erfordert eine freie, offene, sachliche und schonungsl­ose Debatte. Weil der Islam zu Deutschlan­d gehört. Mit allen dieser Religion eignenden Gefahren und Gefährdung­en.

Die schicksals­schwere Verführung­skraft des Absoluten, der numinose Imperativ einer monotheist­ischen Allmacht finden unter Anhängern dieser Religion unablässig neue Opfer. Opfer, die zu Tätern werden. Die Furcht, als »AfD light« wahrgenomm­en zu werden, scheint mittlerwei­le die religionsk­ritischen, gar islamkriti­schen Intentione­n in den politische­n Parteien zu paralysier­en.

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Foto: plainpictu­re/Sven Hagolani Die Furcht des Clowns vor der Verkündung des Feuers

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