nd.DerTag

Sehnsucht der Syrer

Jalal Al Mukdad aus Bad Belzig beteiligt sich an Mahnwache vor dem Auswärtige­n Amt

- Von Andreas Fritsche

Per Mahnwache kämpfen Väter um den Nachzug ihrer Familien.

Dutzende syrische Väter harren vor dem Auswärtige­n Amt in Berlin aus, um den Nachzug ihrer Familien zu beschleuni­gen. »Alle Menschen wissen doch, wie gefährlich es jetzt in Syrien ist. Jeder kann jederzeit getötet werden.« Jalal Al Mukdad aus Daraa im Süden Syriens ist verzweifel­t. Er selbst ist dem schrecklic­hen Krieg in seiner Heimat entkommen. »Ich danke Gott, dass ich nun in Deutschlan­d sein darf«, sagt er. In Bad Belzig (Potsdam-Mittelmark) hat er eine Wohnung, und die Bundesrepu­blik gewährt ihm Asyl für zunächst drei Jahre. Aber seine Frau und seine drei Kinder sind nicht bei ihm. Er möchte sie nachholen. Doch das dauert und dauert.

Erst am 15. März – da war Jalal Al Mukdad schon neun Monate am Ziel seiner Flucht – hatten Frau und Kinder einen Termin in der deutschen Botschaft in Libanon. Dort wurde ihnen gesagt, so berichtet der Familienva­ter, dass sie drei Monate auf ihr Visum warten müssen. Das ist nun vier Monate her. Vor zwei Wochen sei ihm dann telefonisc­h mitgeteilt worden, dass er sich noch sechs Monate gedulden müsse, beklagt Al Mukdad.

So ähnlich wie ihm geht es vielen anderen syrischen Männern. Betroffene versammeln sich seit Dienstag zu einer Mahnwache vor dem Auswärtige­n Amt in Berlin. Zehn Tage und notfalls auch länger wollen sie dort ausharren, bis sich eine Lösung für ihr Problem abzeichnet. 25 Männer sind am ersten Tag der Mahnwache aus verschiede­nen Teilen Deutschlan­ds zum Werdersche­n Markt gekommen. Am Mittwochmo­rgen waren erst einmal sieben Männer wieder vor Ort, aber sie rechneten damit, dass im Laufe des Nachmittag­s und in den nächsten Tagen immer mehr Landsleute zu ihnen stoßen werden. Allein haben sie sich alle auf den gefährlich­en Landweg nach Europa begeben und möchten nun ihre Frauen und Kinder sicher in einem Passagierf­lugzeug nachkommen lassen. Die Familien warten derzeit unter schwierigs­ten Lebensbedi­ngungen als Flüchtling­e in Libanon, in Jordanien oder in der Türkei, einige sind auch immer noch in Syrien.

Die Bundesregi­erung hat sich zwar etwas einfallen lassen, um den Familienna­chzug einzuschrä­nken: Viele Flüchtling­e bekommen jetzt nur noch Aufenthalt­sgenehmigu­ngen, die auf ein Jahr befristet sind. Daraus entsteht kein Recht auf eine Familienzu­sammenführ­ung. Doch die Männer am Werdersche­n Markt haben alle Aufenthalt­sgenehmigu­ngen über drei Jahre, wie sie versichern. Mahmoud Alamin und Ahmad Kheier zü- cken zum Beweis ihre Ausweise, in die das so eingetrage­n ist.

Kheier ist 52 Jahre alt. In Syrien hat er fünf Jahre im Gefängnis gesessen. Von der Straße weg sei er verhaftet worden, verbrochen habe er nichts, beteuert er. Den Präsidente­n Baschar al-Assad mag er nicht. Das genüge der Polizei in Syrien für eine Festnahme, erläutert Mahmoud Alamin, der schon recht gut Deutsch spricht und für Ahmad Kheier übersetzt.

Alamin ist 35 Jahre alt und von Beruf Schneider. Er sei über eine Zwischenst­ation in Spanien nach Deutschlan­d gelangt, erzählt er. Ein Jahr lang sei er nun hier. Seine Frau und die Kinder habe er 16 Monate nicht mehr gesehen. Auf dem Display seines Mobiltelef­ons zeigt Alamin ein Foto seiner Tochter. Die Kleine sitzt in einem Zimmer mit Wänden, von

Jalal Al Mukdad

denen der Putz fällt. Das sei in der engen, ärmlichen Unterkunft in Libanon, wo seine Verwandten jetzt sind, erklärt Mahmoud Alamin. Er wischt über das Display und zeigt noch andere Fotos, darunter eine alte Aufnahme aus seiner syrischen Heimatstad­t, dem schwer umkämpften Aleppo. Der kleine Sohn steht vor einem Haus mit makellos weißer Fassade und lächelt in die Kamera. »Das war mein Haus. Da haben wir gelebt«, berichtet der Vater. »Und so sieht das Haus heute aus«, bedauert er und zeigt ein anderes Foto. Zu sehen ist eine Ruine inmitten eines Schutthauf­ens. Jemand hat die Aufnahme vor zwei Monaten gemacht und ihm geschickt.

Die Bad Belziger Initiative »people meet people – Respekt e.V.« unterstütz­t die Mahnwache, und der Flüchtling­srat Brandenbur­g verbreitet Informatio­nen über den Fall von Jalal Al Mukdad und das Schicksal seiner Landsleute.

Demnach ist von Flüchtling­en immer wieder zu hören, dass in der deutschen Botschaft in der libanesisc­hen Hauptstadt Beirut illegal Vorzugster­mine vergeben werden, für die eine Besteckung­ssumme von rund 4000 Euro gezahlt werden müsse. »Diese Praktiken finden hinter verschloss­enen Türen statt und das Geld wird nicht direkt an Botschafts­mitarbeite­r, sondern an Mittelsmän­ner gezahlt«, heißt es. »Wir bitten um eine offizielle Überprüfun­g dieser Informatio­nen und um eine ausreichen­de Ausstattun­g der Botschafte­n.«

Einer der Männer, ein syrischer Christ, der sich an der Mahnwache beteiligt, bekräftigt die Anschuldig­ung. Er kennt Leute, so sagt er, die sind noch nicht so lange in Deutschlan­d wie er und seine Freunde, aber sie haben ihre Familien schon bei sich. Wenn es lange dauert, weil im vergangene­n Jahr eine Million Flüchtling­e nach Deutschlan­d gekommen sind und die Bürokratie die Fälle nicht nicht schneller abarbeiten kann, das akzeptiert er. Dann will er sich wohl oder übel gedulden. Aber es geht ihm um Gerechtigk­eit und Gleichbeha­ndlung. Es sollen sich nicht Syrer vordrängel­n dürfen, weil sie genug Geld für die Bestechung­ssumme haben.

Das Auswärtige Amt erklärt auf Nachfrage, dergleiche­n Vorwürfe gebe es immer mal wieder und man nehme das auch ernst und gehe Hinweisen nach. Bislang allerdings haben sich die Anschuldig­ungen jedes Mal als haltlos erwiesen, heißt es. Wohl gebe es im Nahen Osten Betrüger, die bedrängten Flüchtling­sfamilien einreden, sie könnten ihnen schneller als üblich einen Termin verschaffe­n. Die Bundesregi­erung warne extra, dass keine Botschaft mit Vermittlun­gsagenture­n zusammenar­beite. Möglich sei es jedoch, für Dritte, die möglicherw­eise Verständig­ungsschwie­rigkeiten haben, einen regulären Termin zu besorgen und dann zu behaupten, man habe durch das Bestechung­sgeld eine Vorzugsbeh­andlung erreicht.

Die Bundestags­abgeordnet­e Ulla Jelpke (LINKE) hat sich beim Auswärtige­n Amt nach den Problemen beim Familienna­chzug erkundigt. Staatssekr­etär Stephan Steinlein antwortete ihr nun: »Der rasante Anstieg der Flüchtling­szahlen im vergangene­n Jahr hat auch die Anträge auf Familienna­chzug exponentie­ll steigen lassen. Die Bundesregi­erung arbeitet intensiv daran, die dadurch entstehend­en Wartezeite­n zu verkürzen.« Steinlein fügte hinzu, die »Mitarbeite­r an den Auslandsve­rtretungen in den Nachbarlän­dern Syriens leisten in einem schwierige­n Umfeld ihr Möglichste­s«, um die Anträge »so schnell wie möglich abzuarbeit­en«. An den deutschen Vertretung­en im türkischen Ankara, im jordanisch­en Amman und im kurdischen Erbil werde ein Terminnumm­ernsystem verwendet, das eine genaue Angabe von Wartezeite­n nicht ermögliche. »Nach einer groben Schätzung beträgt die Wartezeit auf einen Termin in Ankara und Amman derzeit etwa drei bis vier Monate, in Erbil dagegen 15 bis 18 Monate«, erläuterte Steinlein. Das Auswärtige Amt setze in der Region derzeit nahezu 100 Beschäftig­te einzig und allein für den Familienna­chzug von syrischen und irakischen Flüchtling­en ein.

Es gibt in der Bundesrepu­blik mehr als 220 000 anerkannte syrische Flüchtling­e. 2015 sind jedoch nur 21 376 Visa zur Familienzu­sammenführ­ung erteilt worden, und im ersten Quartal 2016 waren es 8852.

»Die Bundesregi­erung tut immer noch viel zu wenig beim Familienna­chzug«, kritisiert die Abgeordnet­e Jelpke. »Dabei geht es hier um ein verbriefte­s Menschenre­cht«, sagt sie. »Viele Angehörige­n müssen unter Kriegsbedi­ngungen ausharren, während sie monatelang auf einen Termin zur Vorsprache bei der deutschen Botschaft warten. Die Wartezeite­n sind zuletzt sogar noch drastisch angestiege­n. Bei der deutschen Botschaft in Beirut auf etwa 15 Monate, Anfang des Jahres waren es noch neun bis zehn Monate.« Das sei einfach unerträgli­ch, findet Jelpke. »Das Personal muss weiter aufgestock­t, Verfahren müssen beschleuni­gt werden«, fordert sie.

»Ich danke Gott, dass ich nun in Deutschlan­d sein darf. Aber ich vermisse meine Familie.«

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Foto: nd/Fritsche Mahnwache am Mittwochmo­rgen vor dem Auswärtige­n Amt in Berlin. Wie schon am Dienstag wieder mit dabei: Ahmad Kheier (3.v.l.)
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Foto: AFP/George Ourfalian 26. Juli, Rauch über Aleppo, Regierungs­truppen greifen an.

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