Sehnsucht der Syrer
Jalal Al Mukdad aus Bad Belzig beteiligt sich an Mahnwache vor dem Auswärtigen Amt
Per Mahnwache kämpfen Väter um den Nachzug ihrer Familien.
Dutzende syrische Väter harren vor dem Auswärtigen Amt in Berlin aus, um den Nachzug ihrer Familien zu beschleunigen. »Alle Menschen wissen doch, wie gefährlich es jetzt in Syrien ist. Jeder kann jederzeit getötet werden.« Jalal Al Mukdad aus Daraa im Süden Syriens ist verzweifelt. Er selbst ist dem schrecklichen Krieg in seiner Heimat entkommen. »Ich danke Gott, dass ich nun in Deutschland sein darf«, sagt er. In Bad Belzig (Potsdam-Mittelmark) hat er eine Wohnung, und die Bundesrepublik gewährt ihm Asyl für zunächst drei Jahre. Aber seine Frau und seine drei Kinder sind nicht bei ihm. Er möchte sie nachholen. Doch das dauert und dauert.
Erst am 15. März – da war Jalal Al Mukdad schon neun Monate am Ziel seiner Flucht – hatten Frau und Kinder einen Termin in der deutschen Botschaft in Libanon. Dort wurde ihnen gesagt, so berichtet der Familienvater, dass sie drei Monate auf ihr Visum warten müssen. Das ist nun vier Monate her. Vor zwei Wochen sei ihm dann telefonisch mitgeteilt worden, dass er sich noch sechs Monate gedulden müsse, beklagt Al Mukdad.
So ähnlich wie ihm geht es vielen anderen syrischen Männern. Betroffene versammeln sich seit Dienstag zu einer Mahnwache vor dem Auswärtigen Amt in Berlin. Zehn Tage und notfalls auch länger wollen sie dort ausharren, bis sich eine Lösung für ihr Problem abzeichnet. 25 Männer sind am ersten Tag der Mahnwache aus verschiedenen Teilen Deutschlands zum Werderschen Markt gekommen. Am Mittwochmorgen waren erst einmal sieben Männer wieder vor Ort, aber sie rechneten damit, dass im Laufe des Nachmittags und in den nächsten Tagen immer mehr Landsleute zu ihnen stoßen werden. Allein haben sie sich alle auf den gefährlichen Landweg nach Europa begeben und möchten nun ihre Frauen und Kinder sicher in einem Passagierflugzeug nachkommen lassen. Die Familien warten derzeit unter schwierigsten Lebensbedingungen als Flüchtlinge in Libanon, in Jordanien oder in der Türkei, einige sind auch immer noch in Syrien.
Die Bundesregierung hat sich zwar etwas einfallen lassen, um den Familiennachzug einzuschränken: Viele Flüchtlinge bekommen jetzt nur noch Aufenthaltsgenehmigungen, die auf ein Jahr befristet sind. Daraus entsteht kein Recht auf eine Familienzusammenführung. Doch die Männer am Werderschen Markt haben alle Aufenthaltsgenehmigungen über drei Jahre, wie sie versichern. Mahmoud Alamin und Ahmad Kheier zü- cken zum Beweis ihre Ausweise, in die das so eingetragen ist.
Kheier ist 52 Jahre alt. In Syrien hat er fünf Jahre im Gefängnis gesessen. Von der Straße weg sei er verhaftet worden, verbrochen habe er nichts, beteuert er. Den Präsidenten Baschar al-Assad mag er nicht. Das genüge der Polizei in Syrien für eine Festnahme, erläutert Mahmoud Alamin, der schon recht gut Deutsch spricht und für Ahmad Kheier übersetzt.
Alamin ist 35 Jahre alt und von Beruf Schneider. Er sei über eine Zwischenstation in Spanien nach Deutschland gelangt, erzählt er. Ein Jahr lang sei er nun hier. Seine Frau und die Kinder habe er 16 Monate nicht mehr gesehen. Auf dem Display seines Mobiltelefons zeigt Alamin ein Foto seiner Tochter. Die Kleine sitzt in einem Zimmer mit Wänden, von
Jalal Al Mukdad
denen der Putz fällt. Das sei in der engen, ärmlichen Unterkunft in Libanon, wo seine Verwandten jetzt sind, erklärt Mahmoud Alamin. Er wischt über das Display und zeigt noch andere Fotos, darunter eine alte Aufnahme aus seiner syrischen Heimatstadt, dem schwer umkämpften Aleppo. Der kleine Sohn steht vor einem Haus mit makellos weißer Fassade und lächelt in die Kamera. »Das war mein Haus. Da haben wir gelebt«, berichtet der Vater. »Und so sieht das Haus heute aus«, bedauert er und zeigt ein anderes Foto. Zu sehen ist eine Ruine inmitten eines Schutthaufens. Jemand hat die Aufnahme vor zwei Monaten gemacht und ihm geschickt.
Die Bad Belziger Initiative »people meet people – Respekt e.V.« unterstützt die Mahnwache, und der Flüchtlingsrat Brandenburg verbreitet Informationen über den Fall von Jalal Al Mukdad und das Schicksal seiner Landsleute.
Demnach ist von Flüchtlingen immer wieder zu hören, dass in der deutschen Botschaft in der libanesischen Hauptstadt Beirut illegal Vorzugstermine vergeben werden, für die eine Besteckungssumme von rund 4000 Euro gezahlt werden müsse. »Diese Praktiken finden hinter verschlossenen Türen statt und das Geld wird nicht direkt an Botschaftsmitarbeiter, sondern an Mittelsmänner gezahlt«, heißt es. »Wir bitten um eine offizielle Überprüfung dieser Informationen und um eine ausreichende Ausstattung der Botschaften.«
Einer der Männer, ein syrischer Christ, der sich an der Mahnwache beteiligt, bekräftigt die Anschuldigung. Er kennt Leute, so sagt er, die sind noch nicht so lange in Deutschland wie er und seine Freunde, aber sie haben ihre Familien schon bei sich. Wenn es lange dauert, weil im vergangenen Jahr eine Million Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind und die Bürokratie die Fälle nicht nicht schneller abarbeiten kann, das akzeptiert er. Dann will er sich wohl oder übel gedulden. Aber es geht ihm um Gerechtigkeit und Gleichbehandlung. Es sollen sich nicht Syrer vordrängeln dürfen, weil sie genug Geld für die Bestechungssumme haben.
Das Auswärtige Amt erklärt auf Nachfrage, dergleichen Vorwürfe gebe es immer mal wieder und man nehme das auch ernst und gehe Hinweisen nach. Bislang allerdings haben sich die Anschuldigungen jedes Mal als haltlos erwiesen, heißt es. Wohl gebe es im Nahen Osten Betrüger, die bedrängten Flüchtlingsfamilien einreden, sie könnten ihnen schneller als üblich einen Termin verschaffen. Die Bundesregierung warne extra, dass keine Botschaft mit Vermittlungsagenturen zusammenarbeite. Möglich sei es jedoch, für Dritte, die möglicherweise Verständigungsschwierigkeiten haben, einen regulären Termin zu besorgen und dann zu behaupten, man habe durch das Bestechungsgeld eine Vorzugsbehandlung erreicht.
Die Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke (LINKE) hat sich beim Auswärtigen Amt nach den Problemen beim Familiennachzug erkundigt. Staatssekretär Stephan Steinlein antwortete ihr nun: »Der rasante Anstieg der Flüchtlingszahlen im vergangenen Jahr hat auch die Anträge auf Familiennachzug exponentiell steigen lassen. Die Bundesregierung arbeitet intensiv daran, die dadurch entstehenden Wartezeiten zu verkürzen.« Steinlein fügte hinzu, die »Mitarbeiter an den Auslandsvertretungen in den Nachbarländern Syriens leisten in einem schwierigen Umfeld ihr Möglichstes«, um die Anträge »so schnell wie möglich abzuarbeiten«. An den deutschen Vertretungen im türkischen Ankara, im jordanischen Amman und im kurdischen Erbil werde ein Terminnummernsystem verwendet, das eine genaue Angabe von Wartezeiten nicht ermögliche. »Nach einer groben Schätzung beträgt die Wartezeit auf einen Termin in Ankara und Amman derzeit etwa drei bis vier Monate, in Erbil dagegen 15 bis 18 Monate«, erläuterte Steinlein. Das Auswärtige Amt setze in der Region derzeit nahezu 100 Beschäftigte einzig und allein für den Familiennachzug von syrischen und irakischen Flüchtlingen ein.
Es gibt in der Bundesrepublik mehr als 220 000 anerkannte syrische Flüchtlinge. 2015 sind jedoch nur 21 376 Visa zur Familienzusammenführung erteilt worden, und im ersten Quartal 2016 waren es 8852.
»Die Bundesregierung tut immer noch viel zu wenig beim Familiennachzug«, kritisiert die Abgeordnete Jelpke. »Dabei geht es hier um ein verbrieftes Menschenrecht«, sagt sie. »Viele Angehörigen müssen unter Kriegsbedingungen ausharren, während sie monatelang auf einen Termin zur Vorsprache bei der deutschen Botschaft warten. Die Wartezeiten sind zuletzt sogar noch drastisch angestiegen. Bei der deutschen Botschaft in Beirut auf etwa 15 Monate, Anfang des Jahres waren es noch neun bis zehn Monate.« Das sei einfach unerträglich, findet Jelpke. »Das Personal muss weiter aufgestockt, Verfahren müssen beschleunigt werden«, fordert sie.
»Ich danke Gott, dass ich nun in Deutschland sein darf. Aber ich vermisse meine Familie.«