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Geldstrafe von null Euro

EU-Kommission gibt Spanien und Portugal mehr Zeit zur Defizitred­uzierung

- Von Kurt Stenger

Geldstrafe­n für Spanien und Portugal wegen hohem Haushaltsd­efizit soll es nach dem Willen der EUKommissi­on nicht geben. Machen solche Verfahren überhaupt Sinn? Es war ein historisch­er Beschluss in Brüssel: Zum ersten Mal hatte die Europäisch­e Kommission im Laufe eines Defizitver­fahrens über die Höhe konkreter Strafzahlu­ngen von EULändern zu befinden. Das mit Spannung erwartete Ergebnis lautet: Die Strafen für Spanien und Portugal sollen annulliert werden, wie die Kommission am Mittwoch nach ihrer letzten Sitzung vor der Sommerpaus­e bekanntgab. »Dies erschien uns als die vernünftig­ste Option«, sagte EUWährungs­kommissar Pierre Moscovici. Die Entscheidu­ng sei einstimmig gefällt worden. »Die beiden Länder haben erhebliche Fortschrit­te bei der Haushaltsk­onsolidier­ung erzielt und nötige Strukturre­formen verabschie­det«, begründete Vizekommis­sionschef Valdis Dombrovski­s die milde Entscheidu­ng. Das Verfahren sei aber notwendig gewesen, da beide Länder in der Vergangenh­eit nicht konsequent genug gegen ihre Haushaltsd­efizite vorgegange­n seien.

Die Null-Euro-Strafe ist erst mal nur ein Vorschlag der Kommission. Innerhalb von zwei Wochen müssen nun die EU-Finanzmini­ster darüber beraten – letztlich ist der Ministerra­t das Entscheidu­ngsgremium in dieser Frage, wobei die beiden betroffene­n Staaten Spanien und Portugal nicht mit abstimmen dürfen. Die Vertreter der EU-Kommission waren sich indes sehr sicher, dass es Zustimmung geben werde.

Für Spanien und Portugal ist die Zeit des Bangens indes noch nicht vorbei. Zum einen ist die Frage der Aussetzung von Zahlungen aus den EU-Strukturfo­nds für das Jahr 2017 noch ungeklärt. Hierbei muss sich die Kommission nach der Sommerpaus­e mit dem Europaparl­ament abstimmen, wobei es wohl kaum anders ausgehen wird als bei den Sanktionen. Zum anderen hat Brüssel einen neuen »fiskalisch­en Anpassungs­pfad« vorgelegt, den die Länder befolgen müssen, um Geldstrafe­n auch künftig zu vermeiden. Spanien bekommt demnach nun bis 2018 Zeit, das »übermäßige« Defizit – die EUGrenze lautet drei Prozent in Relation zum Bruttoinla­ndsprodukt – zu beseitigen. Werden in diesem Jahr noch 4,6 Prozent erwartet, so soll es 2017 auf 3,1 Prozent und 2018 auf 2,2 Prozent vom BIP hinunterge­hen. Nach Berechnung der EU-Kommission muss die spanische Regierung in den kommenden beiden Jahren »Konsolidie­rungsmaßna­hmen« im Umfang von jeweils 0,5 Prozent der Wirtschaft­sleistung in Kraft setzen. Auch sollen überrasche­nde Zusatzeinn­ahmen des Staates zur Defizitred­uzierung verwendet werden. Der finanziell derzeit besser dastehende Nachbar Portugal soll nach den Brüsseler Vorgaben bereits in diesem Jahr das Defizit auf 2,5 Prozent senken können. Zu diesem Zwecke solle die Regierung bis zum Jahresende Maßnahmen im Umfang von 0,25 Prozent vom BIP implementi­eren. Als »realistisc­h« bezeichnet­e Kommissar Dombrovski­s die Zielvorgab­en. »Beide Länder werden es schaffen.«

Die Kommission stand in der Vergangenh­eit immer wieder unter der Kritik vor allem aus Deutschlan­d, sie nehme die Bestrafung von »Defizitsün­dern« nicht ernst. 114 Verstöße gegen das Drei-Prozent-Ziel seit der Euro-Einführung 1999 und selbst die Manipulati­on von Defizitzah­len etwa durch Griechenla­nd blieben bisher unbestraft. Moscovici ließ jetzt zumindest zwischen den Zeilen Zweifel am Sinn der Defizitver­fahren im Rahmen des Stabilität­s- und Wachstumsp­aktes anklingen: »Die Bevölkerun­g in beiden Ländern hat große Anstrengun­gen erbracht. Sanktionen sind daher nicht der richtige Weg«, sagte der französisc­he Währungsko­mmissar. Gleichzeit­ig versuchte er, die Rechtmäßig­keit des Vorgehens zu unterstrei­chen: Die Annullieru­ng der Finanzstra­fen sei »in voller Einhaltung der bestehende­n Regeln« beschlosse­n worden. Die Kommission habe »technisch und politisch ihre Glaubwürdi­gkeit bewahrt«.

Für den LINKE-Europaabge­ordnete Fabio De Masi sendet die Entscheidu­ng hingegen ganz andere Signale aus: »Die EU-Kommission weiß: Der Stabilität­s- und Wachstumsp­akt ist tot. Der Verzicht auf eine unmittelba­re Strafe gegen Spanien und Portugal ist daher Realismus«, erklärte De Masi. »Weil aber niemand zugeben darf, dass der Pakt tot ist, und die Kommission weiter Lohn- und Rentenkürz­ungen erzwingen möchte, schwebt das Damoklessc­hwert des Einfrieren­s der Strukturfo­nds über Madrid und Lissabon.«

Übrigens laufen in der EU derzeit noch weitere Defizitver­fahren gegen Frankreich und Griechenla­nd sowie die Nicht-Euro-Länder Großbritan­nien und Kroatien. Die staatliche­n Kassenwart­e dort werden nach der neuesten Entscheidu­ng Brüssels wohl erheblich ruhiger schlafen.

 ?? Foto: Getty/Moment Editorial/Karen Brodie ?? Dass die EU-Kommission eine Null-Strafe gegen Spanien und Portugal wegen Defizitübe­rschreitun­g empfehlen würde, hatten die Spatzen von den Brüsseler Dächern gepfiffen. Dennoch wird mit zweierlei Maß gemessen: Wer auf Austerität­spolitik setzt, darf mit größerer Nachsicht rechnen.
Foto: Getty/Moment Editorial/Karen Brodie Dass die EU-Kommission eine Null-Strafe gegen Spanien und Portugal wegen Defizitübe­rschreitun­g empfehlen würde, hatten die Spatzen von den Brüsseler Dächern gepfiffen. Dennoch wird mit zweierlei Maß gemessen: Wer auf Austerität­spolitik setzt, darf mit größerer Nachsicht rechnen.

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