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Ein neuer Traum

- Von Alexander Ludewig

»Olympiasie­gerin werden!« – dieser Traum begleitet Julija Stepanowa fast das ganze Leben. Anfangs half der Leichtathl­etin der Gedanke an diesen unvergleic­hlichen Erfolg: Er war Antrieb, dem elterliche­n Haus in Kursk zu entkommen. Der Vater war alkoholkra­nk und ließ seine Aggression­en an Julia und ihrer Mutter aus.

Später trieb sie diese Sehnsucht ins Verderben: Im Jahr 2013 wurde die 800-Meter-Spezialist­in wegen Dopings für zwei Jahre gesperrt. Auch ihre Ehe mit Witali wäre fast gescheiter­t. Dass Julija nach jahrelange­r Praxis im russischen Sportsyste­m Leistungss­teigerunge­n durch unerlaubte Mittel als vollkommen normal empfand, wollte Witali nicht akzeptiere­n.

Seit drei Jahren kämpfen beide gemeinsam gegen Doping. Ausgerechn­et jetzt erfuhr Julijas olympische­r Traum mit dem Startverbo­t für Rio die größte Enttäuschu­ng: Weil sie und ihr Mann viel riskiert hatten, um den »größten Dopingskan­dal aller Zeiten«, wie die Welt-Antidoping-Agentur den systematis­chen und staatlich geschützte­n Sportbetru­g in Russland nennt, aufzudecke­n. Witali konnte als ehemaliger Mitarbeite­r der russischen Antidoping-Agentur tiefe Einblicke in das System geben. Julija lieferte mit heimlichen Tonund Bildaufnah­men von Gesprächen mit russischen Sportlern, Trainern, Ärzten und Dopingkont­rolleuren wichtige Beweise.

Julija Stepanowa darf dennoch nicht in Rio laufen. Das Internatio­nale Olympische Komitee behandelt sie wie jeden anderen russischen Sportler: Wer beim Doping ertappt wurde, darf nicht teilnehmen. Das nötige Geld, um dagegen zu klagen, hat sie nicht. »In meinen Augen verdient sie es mehr Olympionik­in zu sein, als zu Zeiten, als sie eine gedopte Athletin war«, sagt Witali. So sieht es auch die große Mehrheit der Sportwelt.

In Russland gelten die Stepanows als Verräter. Deshalb leben sie mit ihrem zweijährig­en Sohn Robert mittlerwei­le an einem geheimen Ort in den USA. »Es ist okay, einen guten Kampf zu verlieren«, sagt Witali. Beide freuen sich über die weltweit große Unterstütz­ung, durch die vielleicht ein anderer Traum wahr werden könnte: ein neues Leben.

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Foto: dpa/Michael Kappeler Julija Stepanowa wird für ihren Antidoping-Kampf vom IOC bestraft.

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