nd.DerTag

Einfach nicht zu ignorieren

Neues zu Attentäter­n und einem CSU-Politiker

- Von René Heilig

Die französisc­he Tageszeitu­ng »Le Monde« zeigt künftig keine Bilder mehr von Terroriste­n und will auf die Veröffentl­ichungen von IS-Propaganda­material verzichten. Moralisch löblich, doch praktikabe­l? »Le Monde«, so schrieb deren Chefredakt­eur Jérôme Fenoglio, werde keine Bilder mehr veröffentl­ichen, »die aus den Propaganda-Dokumenten des Islamische­n Staats stammen«. Auch wolle man keine Fotos von Attentäter­n mehr zeigen, um »eventuelle Effekte der posthumen Glorifizie­rung« zu vermeiden. Das ist moralisch löblich, doch aus verschiede­nen Gründen wohl nicht zu vermeiden. Zumindest dann, wenn zu Hintergrün­den der Täter recherchie­rt wird und Schwachste­llen der Strafverfo­lger offenlegt werden.

So kam nun heraus, dass einer der beiden Angreifer im nordfranzö­sischen Saint-Etienne-du-Rouvray ein polizeibek­annter IS-Anhänger war. Deshalb trug er eine elektronis­che Fußfessel. Was ihn nicht daran hinderte, mit einem Komplizen die Kirche zu überfallen und einen Priester zu ermorden. Der 19-jährige Mann war auch den deutschen Behörden bekannt. Er hatte offenbar im März 2015 versucht, über München nach Syrien auszureise­n. Dabei benutzte er den Pass seines Bruders, wurde erwischt und nach Frankreich zurückgesc­hickt. Zwei Monate später griff man ihn in der Türkei auf. Diesmal mit dem Pass eines Cousins.

Auch der Attentäter, der im bayerische­n Ansbach eine Bombe zündete, gibt Rätsel auf. War er in Syrien ein militanter Kämpfer, der dort durch den Krieg Frau und Kinder verlor? Kam er nach Europa, um – durch Splitter verletzt – einen Ruheraum zu finden? Oder war er nur ein harmloser Flüchtling, den der IS Anfang 2014 in Bulgarien angeworben hat.

Der Mann erzählte seinen Therapeute­n in Bayern, dass er in einem bulgarisch­en Gefängnis geschlagen und völlig mittellos auf die Straße gesetzt worden war. Doch plötzlich, so schreibt die »Süddeutsch­e Zeitung«, habe sich sein trauriges Schicksal gewendet. Ein anderer Syrer spendierte ihm den Flug nach Österreich. Wer lenkte den Mann, geben seine Tele- fonate Aufschluss? Es schließt sich die Frage an, woher die Rolle mit 50-EuroSchein­en stammt, die der mittellose Attentäter beim Anschlag bei sich trug. So viel Geld auf dem letzten Weg?

Solche Fragen sind Rechercheg­ründe. Die »FAZ« ermittelte, dass der Münchner Attentäter von einer rassistisc­hen Gesinnung beseelt war. Er habe es als Auszeichnu­ng empfunden, am selben Tag wie Hitler Geburtstag zu haben. Die Fragen nach Geld stellen sich auch in seinem Falle. Die Tatwaffe, eine Glock 17, kostet um die 800 Euro. Die Polizei fand in seinem Rucksack 300 Schuss Munition. Mengenraba­tt und regulärer Kauf vorausgese­tzt, musste man dafür gut 80 Euro löhnen. Der Münchner Mörder hatte aber offenbar nur illegalen Zugriff auf Waffe und Munition. Was das Mordwerkze­ug teurer macht. Gekauft haben soll er beides über einen verschlüss­elten Bereich im Internet, Darknet genannt.

Die Glock-Pistole war eine sogenannte Deko- oder Theaterwaf­fe. Das sind scharfe Waffen, die in ihrer Funktion unbrauchba­r gemacht wurden. Und da beginnen die Definition­sschwierig­keiten. Laut deutschem Waffengese­tz ist eine Schusswaff­e erst dann »dauerhaft unbrauchba­r«, »wenn mit allgemein gebräuchli­chen Werkzeugen die Schussfähi­gkeit der Waffe oder die Funktionsf­ähigkeit der wesentlich­en Teile nicht wiederherg­estellt werden kann«. Man zerstört das Patronenla­ger, blockiert den Abzug, setzt Stahlstift­e in den Lauf.

Offenbar war man bei der Glock, die der Täter benutzte, nicht so gründlich. Sie soll aus der Slowakei stammen. Auch die Kalaschnik­ow-Sturmgeweh­re, mit denen Attentäter im Januar 2015 in Paris die Redaktion des Satiremaga­zins »Charlie Hebdo« überfielen und dabei zwölf Menschen töteten, waren solche nicht ordnungsge­mäß deaktivier­ten Deko-Waffen. Da diese Methode der Waffenbesc­haffung immer beliebter wird, hat die EU-Kommission ein Maßnahmepa­ket verabschie­det, das unter anderem Mindeststa­ndards für die Deaktivier­ung von Feuerwaffe­n vorsieht. Diese Verordnung gilt natürlich nur für die EU-Mitgliedst­aaten. Das Bestellsys­tem Darknet dagegen ist global ausgericht­et.

Mag sein, dass man in den Medien nicht allzu intensiv über die Täter reden soll, um keine egozentris­chen Nachahmer zu animieren. Über Politiker, die deren Handeln in gewisser Weise begünstigt haben, muss man umso intensiver reden. Einer

Mag sein, dass man in den Medien nicht allzu intensiv über die Täter reden soll, um keine Nachahmer zu animieren. Über Politiker, die deren Handeln in gewisser Weise begünstigt haben, muss man umso intensiver reden.

dieser Politiker, der gegen die EU-Maßnahmen wider den Waffenhand­el gewettert hat, heißt Joachim Herrmann und ist Innenminis­ter von Bayern. Noch im März hat der CSUMann auf dem mittelfrän­kischen Schützenta­g erklärt: »Für mich ist fraglich, ob die EU hier zuständig ist. Die Sicherheit liegt hier eindeutig in der Verantwort­ung der Länder – und nicht in Brüssel.«

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Foto: photocase/jHELDEN In Deutschlan­d gibt es nach Schätzunge­n von Fachleuten bis zu zwanzig Millionen illegaler Schusswaff­en. Der Terror beunruhigt die Europäer. In Deutschlan­d ist die Terrorerfa­hrungen mit der andernorts bisher nicht vergleichb­ar. Mediale und polizeilic­he...

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