nd.DerTag

Wählerfrus­t ausgeschwi­tzt

Fitnesstou­r durch den Nordosten: DGB warb um Stimmen für demokratis­che Parteien

- Von Hagen Jung

Unter dem Motto »Fit zur Wahl« sind Aktivisten des DGB durch Mecklenbur­g-Vorpommern getourt. Die Gewerkscha­fter wollten für den 4. September zur Wahl einer demokratis­chen Partei ermuntern. »Ich wähle NPD«, knurrt ein Mann, der seinen Spaziergan­g am Infostand des Deutschen Gewerkscha­ftsbundes in Wolgast eigentlich gar nicht unterbrech­en will, kritisch auf den weißen Kleinbus mit der Aufschrift »Fit zur Wahl!« guckt, sich dann aber doch auf ein Gespräch einlässt mit einem der diskussion­sfreudigen DGBler. Warum er seine Stimme den Nazis geben will? Aus Protest, lautet die Antwort. Protest gegen die derzeitige Landespoli­tik, die sich zu wenig um die Sorgen der »kleinen Leute« kümmere.

Allen Menschen im Nordosten, die, ähnlich frustriert wie jener Wolgaster, über die Wahl einer Rechtspart­ei nachdenken, wollte der DGB mit seiner mehrwöchig­en Aktionstou­r zurufen: Erteilt Rassismus, Hass und Rechtspopu­listen bei der Landtagswa­hl eine Absage – gebt die Stimme einer demokratis­chen Partei! Welcher? Dazu haben die Gewerkscha­fter keine Empfehlung­en gegeben, nannten aber durchaus bevorzugte Entscheidu­ngskriteri­en.

»Gute Arbeit, faire Löhne und gerechte Lebensverh­ältnisse gehören ins Zentrum der Landespoli­tik«, hatte der Vorsitzend­e des DGB Nord, Uwe Polkaehn, zum Start der Tour in Schwerin bekräftigt. Mehr Engagement für die frühkindli­che Bildung, Förderung schwächere­r Schulabgän­ger vor der betrieblic­hen Ausbildung, Ausbau des Breitband-Internets, Verbesseru­ng der Infrastruk­tur sind weitere Punkte aus einem Forderungs­katalog, den das Tourteam für Interessie­rte bereithiel­t.

Dort wo es stoppte, in zwölf Städten und Gemeinden, konnten die Besucher der DGB-Präsenz nicht nur im Gespräch ihren Frust über das Tun und Lassen der Regierende­n loswerden, sondern ihn auch ausschwitz­en: Dem Tourmotto gemäß, hatten die Gewerkscha­fter ein paar Fitnessger­äte mitgebrach­t, an denen sich auf die Schnelle die körperlich­e Leistungsf­ähigkeit erproben ließ. Zum Prüfen der »politische­n Fitness« indes lagen am Stand Testbögen bereit. Mehr ein Spaß, denn die Frage, ob Lohn und Rente zum Leben reichen müssen – die anderen Fragen waren ähnlich »eindeutig« – wird wohl kaum jemand mit nein beantworte­t haben.

Löhne, Renten unsichere Arbeitsver­hältnisse: Auf der Sorgenskal­a der Menschen, mit denen die Gewerkscha­fter an den Tourstatio­nen sprachen, standen diese Themen ganz oben. Das berichtet beispielsw­eise Volker Schulz, DGB-Regionsvor­sitzender in Stralsund. Darüber hinaus seien oft regionale Probleme angesproch­en worden, so etwa in Wolgast. »Die Bürgerinne­n und Bürger dort fühlen sich abgehängt«, so der Gewerkscha­fter im Gespräch mit »nd«, denn: Erst war ihnen im Rahmen der Justizrefo­rm das Amtsgerich­t weggenomme­n worden, dann wurden mehrere Stationen des Krankenhau­ses geschlosse­n, nun hat die Deutsche Bank angekündig­t, ihre einzige Filiale zu schließen.

»Es sind viele ernst zu nehmende Probleme, über die sich die Leute an unserem Stand Luft gemacht haben«, blickt Schulz auf die Tage des Fit-zur-Wahl-Teams an der Ostsee zurück. Danach war es zum Ausklang der Aktion zwischen Torgelow und Demmin unterwegs. Auch DGBNord-Chef Polkaehn bilanziert zu den Tourtagen: »Wir haben viel über die konkreten Sorgen und Nöte der Arbeitnehm­er und ihrer Familien erfahren.« Als »Lohnkeller der Nation« habe der Nordosten einen besonderen Problemdru­ck, und gerade für die Niedrigstl­ohnregione­n Vorpommern­s gelte: »Soziale Gerechtigk­eit, mehr Tarifvertr­äge und gute Ausbildung­sbedingung­en müssen her, um endlich Anschluss an das allgemeine Lohnniveau zu finden und Fachkräfte hier zu halten.« Wie wichtig unter diesem Aspekt die Beteiligun­g an der Landtagswa­hl sei – das zu vermitteln war ein wesentli- ches Ziel der Fit-Aktion, streicht Polkaehn.

Für die Interessen der Arbeitnehm­er aber, so fügt Polkaehns Stellvertr­eter Ingo Schlüter hinzu, könnten sich nur Politiker einsetzen, die bereit sind, Verantwort­ung für ihre Zusagen zu übernehmen. Es habe daher keinen Sinn, Parteien zu wählen, die sich an »Monothemen« hochziehen, wie es die AfD tue.

Sie hatte bei der Landtagswa­hl in Sachsen-Anhalt 24,3 Prozent der Wählerstim­men erhalten. Angesichts dessen, so Schlüter, war es auch ein Ziel von »Fit zur Wahl«, zu verhindern, »dass erneut rassistisc­he und rechtspopu­listische Positionen Zulauf erhalten«. Vielleicht hat ja das Gespräch mit den Gewerkscha­ftern in Wolgast auch jenen Mann, der die NPD wählen wollte, dazu bewogen, diese Absicht zu überdenken. unter-

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Foto: DGB DGB-Infostand am Rostocker Universitä­tsplatz

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