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Wundermitt­el Wirtschaft­swachstum

Neue Publikatio­n entzaubert einen Mythos

- Von Dieter Janke Jürgen Leibiger: Wirtschaft­swachstum. Mechanisme­n, Widersprüc­he und Grenzen, PapyRossa Verlag, Köln, 2016, 138 Seiten, 9,90 Euro.

Das Wachstum des Bruttoinla­ndsprodukt­es als Maß für Wohlstand ist heftig umstritten – und dennoch gängig. Der Mythos vom Wachstum als Idealzusta­nd einer gesunden Wirtschaft beherrscht nicht nur die Medien. Von ihm sind auch die akademisch­e ökonomisch­e Lehre genauso geprägt wie die Alltagsdeb­atten an den Stammtisch­en, wenn sie sich mit Fragen der Beschäftig­ung, des Wohlstande­s oder dessen Verteilung beschäftig­en. Und wie alle Mythen ist auch jener vom Wundermitt­el Wirtschaft­swachstum äußerst zählebig. Zwar sind kritische Stimmen in den vergangene­n Jahrzehnte­n immer deutlicher vernehmbar. Der Dominanz des Wachstumsf­etischs scheinen sie jedoch kaum etwas anhaben zu können.

Aber woran misst sich eigentlich das Wachstum einer Wirtschaft? Was verband sich ehemals und verbindet sich derzeit mit dem Begriff Reichtum? Wird unser Verständni­s von Wohlstand auch künftig noch Bestand haben? Sind die Ausdiffere­nzierung seiner Verteilung wie auch das daraus resultiere­nde globale und soziale Konfliktpo­tenzial quasi unverrückb­are Ereignisse? Und was ist mit der Begrenzthe­it der natürliche­n Ressourcen und den bereits erkennbare­n Folgen grenzenlos­en Wirtschaft­swachstums?

Eine in leicht verständli­cher Sprache verfasste neue Publikatio­n von Jürgen Leibiger verschafft auch interessie­rten Laien Zugang zu diesen Debatten. Historisch­es und Begrifflic­hes ergänzen sich, wenn der Dozent für Volkswirts­chaftslehr­e an der Sächsische­n Verwaltung­s- und Wirtschaft­s-Akademie in Dresden das Wachstum des Bruttoinla­ndsprodukt­es als derzeit gängigen Maßstab für Wohlstand sowie dessen begrenzte Aussagefäh­igkeit erörtert. Seine Pervertier­ung erreicht jenes Verständni­s, wenn der Reichtumsz­uwachs vor allem aus dem reinen Kreislauf des Geldes resultiert wie in den Zentren des Finanzkapi­tals. »Es geht nicht zuerst darum, die Produktion­sleistung zu steigern, es geht nicht zuerst darum, mehr Güter für die Konsumtion zu produziere­n, es geht nicht darum, bestimmte Regionen zu fördern oder Arbeitsplä­tze zu schaffen«, fasst dies Leibiger zusammen.

Entspreche­nd kritisch fallen seine analytisch­en Betrachtun­gen zu den Beschäftig­ungseffekt­en der Wachstumsp­olitik der vergangene­n Jahrzehnte aus. Als quasi systemimma­nente bzw. natürliche Wachstumsg­renzen benennt Leibiger die zahlungsfä­hige Nachfrage, die Endlichkei­t der natürliche­n Ressourcen sowie die Bedürfniss­ättigung in den Industries­taaten. Angesichts des darin eingebette­ten globalen und sozialen Konfliktpo­tenzials hält er »weitreiche­nde Eingriffe in das bestehende Wirtschaft­ssystem« für unausweich­lich.

Abgerundet wird der Band durch einen kritischen Überblick über die aktuellen wachstumsk­ritischen Debatten sowie Ansätze nachhaltig­er Wohlstands­definition­en.

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