nd.DerTag

Lieber im Hörsaal als auf der Parkbank

Senioren in Rostock fordern Erhalt »ihrer« Akademie

- Von Hagen Jung

»Vom Trog zum Teller« ist ein Vortrag betitelt, der sich mit dem Zusammenha­ng von Tierfutter und menschlich­er Ernährung befasst, ein anderes Referat widmet sich dem Handelsabk­ommen TTIP. Und wer es lieber klassisch mag, wählt vielleicht ein Seminar zu »Tragikthem­en und attische Tragödie«. Drei Beispiele nur aus dem umfangreic­hen Programm der Seniorenak­ademie von Rostock (Mecklenbur­g-Vorpommern). Mit ihr wendet sich die Universitä­t seit 22 Jahren an Menschen, die den Hörsaal der Parkbank vorziehen. Wird ihnen das Angebot aus Literatur, Kunst, Geschichte und anderen wissenscha­ftlichen Bereichen genommen?

Vor kurzem, so berichtet die Ostsee-Zeitung, sei den Teilnehmer­n auf der letzten Veranstalt­ung des Sommerseme­sters »das Ende mitgeteilt worden«. Die Seniorenak­ademie müsse geschlosse­n werden, und zwar infolge neuer Bestimmung­en des Wissenscha­ftszeitver­tragsgeset­zes.

Hinter diesem Wortungetü­m verbirgt sich eine Rechtsnorm des Bundes, die den Einsatz von Zeitarbeit­skräften an Hochschule­n regelt und in seiner früheren Form oft kritisiert worden war. Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r mussten auf Teilzeitst­ellen die Arbeit von Vollzeitkr­äften leisten, zu viele Beschäftig­te mit befristete­n Verträgen eben, hieß es. Die Reform jenes Gesetzes sollte Verbesseru­ngen bringen, aber auf den personelle­n Hintergrun­d der Seniorenak­ademie wirkt sie sich ungünstig aus, denn sie besagt unter anderem: Wissenscha­ftler dürfen keine administra­tive Arbeit leisten, »wenn sie nicht an eine konkrete Qualifikat­ion gebunden ist«. Folge: Die Organisato­rin der Seniorenak­ademie ist bereits entlassen worden.

Die Teilnehmer, im letzten Semester 660 Frauen und Männer zwischen 46 und 88 Jahren, sind traurig und zornig zugleich über diese Entwicklun­g. Sie sammeln Unterschri­ften für eine Eingabe mit dem Ziel, dass es weitergeht mit »ihrer« Uni.

Das will man auch, betont die Universitä­ts-Leitung in einem Statement. Dessen einleitend­er Satz – »die Informatio­n, die Seniorenak­ademie zu schließen, trifft nicht zu« – dürfte allerdings eher ein Wunsch als eine Feststellu­ng sein, denn dann ist zu lesen: Man »wolle« die Akademie »in jedem Fall erhalten«. Denkbar sei die Anbindung an einen Verein.

Die LINKE im Schweriner Landtag verbindet ihr Plädoyer zum Erhalt der Akademie mit Kritik an Uni-Rektor Wolfgang Schareck. Er wisse seit vielen Monaten von der Gesetzesän­derung, rügt die bildungspo­litische Sprecherin der Fraktion, Simone Oldenburg. »Er hat die Zeit verstreich­en lassen und die Entlassung der Kollegin, die die Akademie organisier­t hatte, billigend in Kauf genommen.« Der jetzige Ruf nach Weiterbesc­häftigung über einen Verein sei unglaubwür­dig. Maßnahmen zum Erhalt der Senioren-Uni, so Oldenburg, hätten bereits 2015 geplant werden müssen.

Hilfe vom Land zum Erhalt der Akademie erwartet der Bildungsex­perte der Landtagsgr­ünen, Johannes Saalfeld. Im Sinne des Arbeitnehm­erschutzes sei es zwar richtig, dass mit dem neuen Gesetz »unanständi­ge Kettenvert­räge« an den Hochschule­n verhindert werden. Aber die Universitä­ten litten unter einem »zu enge Finanz- und Personalko­rsett« und könnten demzufolge befristete Angestellt­e nicht auf unbefriste­te Stellen setzen. »Deswegen wird die Senioren-Uni jetzt wohl eingestell­t«, befürchtet Saalfeld und fordert: Die SPD/CDULandesr­egierung sei am Zuge und dürfe die Hochschule nicht im Regen stehen lassen.

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