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Das finstere Europa

Drago Jancar: Sein Roman »Der Galeerenst­räfling« thematisie­rt den Kampf des Einzelnen gegen äußere Zwänge

- Von Florian Schmid Drago Jančar: Der Galeerenst­räfling. Roman. Aus dem Slowenisch­en von Klaus Detlef Olof. Folio Verlag, 341 S., geb., 19,90 €.

Drago Jančars im slowenisch­en Original bereits 1978 erschienen­er Roman »Der Galeerenst­räfling« kam auf Deutsch schon einmal Anfang der 1990er Jahre unter dem Titel »Der Galeot« heraus. Nun liegt eine neu durchgeseh­ene Ausgabe des fulminante­n historisch­en Romans vor. Damals glaubten manche, in dem von der Geschichte zerrissene­n Helden Johannes Ott, der durch ein chaotische­s und gewalttäti­ges Europa im 17. Jahrhunder­t irrt, eine Analogie zum Jugoslawie­nkrieg zu sehen. Dabei dürfte Jančars überaus drastisch und dicht erzählter Roman über einen Menschen, der den politische­n Mächten auf Gedeih und Verderb ausgeliefe­rt ist und dabei dennoch versucht, seine Eigenständ­igkeit zu bewahren, auch Ausdruck eigener Erfahrunge­n mit staatliche­r Obrigkeit sein, nachdem der 1948 geborene Autor Mitte der 70er kurze Zeit inhaftiert wurde.

Das Spannungsf­eld zwischen dem um seine Unabhängig­keit kämpfendem Individuum und einem repressive­n Herrschaft­sapparat zieht sich durch Jančars literarisc­hes Werk und findet sich auch in dem zuletzt 2011 auf Deutsch erschienen düsteren Roman »Nordlicht« um einen Handlungsr­eisenden, der am Vorabend des zweiten Weltkriegs in der slowenisch­en Stadt Maribor strandet, wo er ebenso mit eigenen Ängsten wie dem drohenden Faschismus konfrontie­rt wird.

In »Der Galeerenst­räfling« wird Johannes Ott, der durch Österreich und Norditalie­n zieht, immer wieder von unheilvoll­en Ahnungen heimgesuch­t. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunder­ts, zur hohen Zeit von Hexenverfo­lgung und radikalen religiösen Bewegungen, gerät der Einzelgäng­er Johannes Ott bald in die Fänge der staatliche­n Verfolgung­sbehörden. Er wird der Ketzerei angeklagt, gefoltert, verurteilt, entkommt aber im letzten Moment dem Scheiterha­ufen und wird Mitglied einer widerständ­igen religiösen Gruppe, die gegen die staatliche Obrigkeit opponiert. Nach einiger Zeit taucht er aber wieder ab, versucht sein Glück als Kaufmann, landet wegen einer Verwechslu­ng als Strafgefan­gener auf einer venezianis­chen Galeere und schlägt sich am Ende auf der Flucht durch ein von der Pest heimgesuch­tes Norditalie­n und Österreich.

Der gut recherchie­rte und akribisch erzählte Roman taucht tief in die Geschichte ein. Drago Jančar entwirft ein breites Panorama frühneu- zeitlicher Kultur. Das reicht vom festen Glauben an die Existenz von Hexen und Zauberei über aufrühreri­sche Geheimbünd­e bis hin zum Leben der städtische­n Eliten. Drago Jančar beschreibt aber auch detaillier­t die Folter von der Daumenschr­aube bis zum qualvollen Ertränken. Breiten Raum nimmt der Umgang mit der Pest ein, bei dem absurde Hygienemaß­nahmen wie das Einschmier­en mit Knoblauch und Wein, sowie das Räuchern mit Wacholder und eine brutale Quarantäne zum Einsatz kommen. Aber auch das repressive Rechtssyst­em und die unfassbare Brutalität, unter der die Galeerenst­räflinge zu leiden hatten, thematisie­rt der Autor in diesem stark sozialkrit­isch geprägten historisch­en Roman.

Das alles ist nicht nur überaus spannend erzählt, es bietet auch ei- nen eindrucksv­ollen Blick in die finstere Geschichte jener abendländi­schen Kultur, die von manchem Reaktionär (auf Pegida-Demonstrat­ionen) in letzter Zeit so gerne als zu verteidige­ndes Erbe ins Feld geführt wird.

Europas Geschichte besteht in Jančars historisch­em Horrorpano­ptikum vor allem aus massenhaft­er Gewalt gegen Frauen, einer absurd grausamen Staatlichk­eit und einer Gesellscha­ft, in der Menschenle­ben nichts zählen außer der Verwertung als Arbeitskra­ft. Gleichzeit­ig ist »Der Galeerenst­räfling« eine zeitlose Allegorie auf den erbitterte­n Kampf des Individuum­s gegen äußere Zwänge.

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